„Ich war vier Jahre lang Einzelkind – dann kam Sarah und für meine Eltern wurde ich mit einem Schlag unsichtbar“, erzählt Simon Bergmann im Intro von Winfried Oelsners Debütfilm „Vom Atmen unter Wasser“. Als er sieben war, wollte er seine Schwester für immer loswerden. Er setzte sie in einen Bus. Doch eine Stunde später war sie wieder da. 14 Jahre später wurden seine Wunschvorstellungen von der Realität brutal eingeholt. Nach einer Party wurde Sarah ermordet. Ein knappes Jahr später setzt die Handlung ein. Anne Bergmann möchte ihrem Leben am liebsten ein Ende setzen. Ihr Sohn Simon versucht alles, sie aus dem Teufelskreis von Trauer und Verlassensein herauszuholen. Die Mutter hat nie von der Tochter Abschied nehmen können. Mit Hilfe ihres Sohns versucht sie es nun. Es ist ein steiniger Weg.
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Winfried Oelsner, Absolvent der Filmakademie Ludwigsburg, hat sich nach zwei Selbstläufern, dem Event-Movie „Tsunami“ und dem Dokumentarfilm „Projekt Gold – Eine deutsche Handball-WM“, einem schweren Stoff angenommen. 90 Minuten Trauerarbeit. Der 36-jährige Regisseur wollte zeigen, „wie Menschen in einer solchen Situation auf sich selbst zurückgeworfen werden, wie sie aneinander vorbeieilen, sich Nischen und Fluchtwege suchen“. Jeder geht anders mit dem Verlust um: die Mutter reagiert vornehmlich aggressiv, der Vater sucht die Nähe einer anderen Frau und der Sohn arbeitet die Schuld ab, die er schon als Kind auf sich geladen hat, indem er die Schwester aus seinem Leben verbannen wollte. Das, was er jahrelang ersehnt hat, wird jetzt Wirklichkeit: er und seine Mutter kommen sich nahe. Dafür stört jetzt der Vater und Ehemann jenes symbiotische Gleichgewicht.
Die Drehbuchautorin Lisa-Marie Dickreiter scheut keine Konfliktlage. In ausschnitthaften Szenen und präzisen Dialogen zeigt sie den Niedergang einer Familie – ohne Schuldzuweisungen, ohne moralische Verurteilungen, ohne einfache Lösungen. Entsprechend nimmt Regisseur Oelsner in Augenschein, was die Protagonisten umtreibt. Die Kamera geht nah ran und bleibt doch auf Distanz zum bewegenden Geschehen. Die Schauspieler entäußern ihre Empfindungen, den Kummer, die Verzweiflung, die Ratlosigkeit, auf eine Art und Weise, die einem beim Zusehen Schmerzen bereitet und die zugleich fasziniert.
Andrea Sawatzki ins Gesicht zu schauen, sich von ihren Blicken durchbohren zu lassen oder ein kurzes Lächeln zu erhaschen, ihren oftmals kalt dahingesagten Worten zu lauschen – das allein erzählt eine eigene Geschichte. Adrian Topol ist der wärmende, identifikationsstiftende Gegenpart, der dem Zuschauer den Film „erträglich“ macht. Sensibel und mit großer Beiläufigkeit spielt der herausragende 27-jährige Jungdarsteller den Familienretter, der in dieser Ausnahmesituation als Einziger in der Lage ist zu geben. Thorsten Merten und Paula Kalenberg passen sich mit ihrer zurückgenommenen Spielweise nahtlos ein in das Mutter/Sohn-Szenario. „Vom Atmen unter Wasser“ ist ein großartiger kleiner Film, der es dem Zuschauer nicht leicht macht.