Anne und Peter waren ohne ihre beiden Kinder ein paar Tage in ihrem Ferienhaus auf Sizilien. Kaum aus dem Flieger, sind sie schon wieder in der Mühle drin. Anne ist genervt, weil ihr Mann am nächsten Tag gleich wieder beruflich mehrere Tage unterwegs ist. Sie mag ihr Leben nicht mehr – steckt kurz vor ihrem 40. Geburtstag in einer seelischen Krise. Ihre Stimmung schlägt um, als sie Carolin kennenlernt, eine Südamerikanerin, die für ein halbes Jahr mit ihrem Sohn David nach Deutschland gekommen ist. Sie bringt Schwung und Lebenslust zurück in Annes grauen Alltag. Auf Carolins Drängen hin, lädt sie zum Geburtstag Freunde ein. Die Stimmung ist bestens – dann steht plötzlich Peter vor der Tür. Es sollte eine Überraschung für Anne werden, es wird vor allem eine Überraschung für Peter und Carolin.
Die existenziellen Konflikte und die tragischen Wendepunkte im Leben der drei Hauptfiguren näher auszuführen, könnte den Leser leicht in die Irre führen… „Und dennoch lieben wir“ ist ein Film, dessen Geschichte sich quasi aus dem Alltag herausschält, bevor die Schraube des Dramatischen langsam, aber systematisch angezogen wird. Auch in den spannungsreichen Situationen, wenn sich die beiden Frauen oder das Ehepaar tagelang aus dem Weg gehen oder wenn sie sich plötzlich wieder begegnen, lebt der Film von seinen magischen Momentaufnahmen, von Augen-Blicken, von zurückgenommen gespielten und dadurch umso intensiveren Szenen. Jedes Bild besitzt über ihre Sinnlichkeit des Augenscheins hinaus eine zwischenmenschliche Wahrheit. Bei dem Film von Matthias Tiefenbacher schreit jede zweite Einstellung nach Standbild, zugleich aber will man rufen: weiter, weiter. Mögen die Themen, Untreue, Eifersucht, Trauer, Tod, prädestiniert fürs Melodram sein, so zielt bereits das Buch von Martin Kluger / Maureen Herzfeld („Das Haus ihres Vaters“) in Richtung Drama.
Tiefenbachers Inszenierung und die Kamera von Holly Fink gehen noch einen Schritt weiter. Gefühle werden in diesem ARD-Freitagsfilm, den Andreas Schneppe und Sven Burgemeister für die Degeto entwickelten und produzierten, nicht nach außen, an die Landschaft, abgegeben und durch Ästhetisierung entschärft, die Filmsprache erzielt hier genau den umgekehrten Effekt: Der Zuschauer kann sich schwer entziehen, nicht nur, weil er mit Themen konfrontiert wird, die einem auch im wahren Leben den Boden unter den Füßen wegziehen, sondern auch, weil die Kamera den Figuren physisch zu Leibe rückt. Scharfe Anschnitte der Gesichter verstärken die verzweifelte Suche der Figuren nach ihren Gefühlen. Als Zuschauer sieht man, wie sich die Charaktere emotional sortieren. Man sieht aber auch, wie sich immer wieder einer am Ende zurückzieht. Nie wird man als Zuschauer emotional überwältigt. „Ich dachte, ich wäre gar nicht programmiert für so eine Liebe“, sagt Mark Waschke als Ehemann, während das Gesicht seiner Frau, gespielt von Claudia Michelsen, riesig ins Bild ragt. Viele Szenen klingen derart aus, dass es sich mitfühlend mitdenken lässt.
„Und dennoch lieben wir“ bietet die hohe Kunst des modernen Melo-Dramas. Die Merkmale: ein flüssiger, stimmungsvoller Erzählstil, getragen von einer extrem feinteiligen Auflösung durch den Regisseur, mit perfekten Auslassungen, wenig Dialog und getragen von Schauspielern, die jede Bedeutungsnuance ihrer Mimik kontrollieren, so wie sie über jede Gefühlsnuance ihrer Figuren Bescheid wissen. Claudia Michelsen, Melika Foroutan und Mark Waschke sind eine Traumbesetzung. Das Fernsehmelodrama ist hier in jeder Hinsicht, thematisch wie ästhetisch, erwachsen geworden. Der Vorbehalt, der Film erzähle in seinen 90 Minuten eine Geschichte zu viel, der beim Lesen der ARD-Inhaltsangabe durchaus aufkommen kann, läuft angesichts des perfekten Erzählstils dieses Films bereits nach wenigen Minuten ins Leere. Fazit: Mitgehen, mitfühlen, mitdenken. (Text-Stand: 28.9.2012)