Minister Magnus Mittendorf (Christian Berkel), sein Personenschützer Jonas Neimann (Max Simonischek) und die neu engagierte Pressesprecherin Katharina Borba (Friederike Becht) bewegen sich gleichermaßen professionell über das nach strengen Regeln geordnete politische Parkett. Auch für einen Fernsehfilm gelten ungeschriebene Gesetze. Sie geben vor, was den Zuschauer angeblich bei Laune hält und am Umschalten hindert. Schüsse in der ersten Minute und Sex in der zweiten, daran hält sich auch dieser ZDF-Fernsehfilm der Woche. Härte und Gefühl sind damit das frühe Versprechen, und der Konflikt ist vorprogrammiert.
Personenschützer Jonas Neimann ist sich seiner Pflicht bewusst. Für den Zuschauer diktiert die Stimme seines Vorgesetzen den Auftrag nochmal aus dem Off. Er verlangt unbedingte Loyalität zu Minister Mittendorf. Und bringt mit sich, dass Neimann seine Liebesbeziehung zur neu engagierten Pressesprecherin Katharina Borba unter Verschluss halten muss. Das scheint machbar. Aber schon der erste Kommentar eines Kollegen wird zur Belastungsprobe. „Bisschen flach, aber geiler Arsch“, urteilt der über den weiblichen Neuzugang. Neimann verzieht keine Miene. Auch nicht, wenn Pressechef Lenterer (Christian Clauss) der neuen Mitarbeiterin beim ersten Treffen mit dem Minister über den Mund fährt, weil er das Potential einer Konkurrentin in ihr erkennt. Wenig später gewinnt Bobra mit einer gelungenen Social-Media-Kampagne das Vertrauen des Ministers. Ihr Weg scheint geebnet.
Bis zu diesem Zeitpunkt nimmt sich „Trügerische Sicherheit“ immer wieder Zeit, um das Verhältnis zwischen einem angesehenen Landespolitiker und seinem Personenschützer auszuloten. Christian Berkel und Max Simonischek kommen mit wenigen Worten aus. Den Großteil der Kommunikation übernehmen die Art, wie gesprochen wird, die Körperlichkeit und das, was ein Schweigen sagen kann. Berkel, der in Rollen kühler Strategen aus nationalen wie internationalen Produktionen bekannt ist, unter anderem bereits zweimal als Helmut Schmidt vor der Kamera stand („Die Sturmflut“, 2006, „Mogadischu“, 2008), braucht nur eine bestimmte Sprachmelodie für den knappen Morgengruß, um seine Figur zu charakterisieren. Ein Machtmensch – klar, aber charmant. Simonischek verkörpert, wie es sein Rollenprofil als Personenschützer verlangt, den aufmerksamen Zuhörer. So reichen Halbsätze eines Telefonats auf dem Rücksitz, um dem wachen Ohr des Beifahrers (und dem Zuschauer) während der Dienstfahrt etwas vom privaten Unglück eines öffentlichen Mannes zu erzählen. Mit der Reduktion aufs Wesentliche in diesen Mono- und Dialogen macht Drehbuchautorin Annika Tempelmann, die unter anderem zwei Episoden der TV-Reihe „Schuld – nach Ferdinand von Schirach“ (2016/18) und den jüngsten Taunuskrimi „Muttertag“ (2022) schrieb, alles richtig. Auch auf visueller Ebene ist das Gespann Mittendorf/Neimann nicht statisch festgelegt. Obwohl Neimann seine Schutzperson um einen Kopf überragt, begegnen sich die beiden je nach Kameraposition und Einstellungswinkel in einigen Szenen auch auf Augenhöhe.
Die Wende bringt eine alkoholselige Feier, nach der es im Büro des Ministers zu einem sexuellen Übergriff kommt. Während Katharina Borba schweigt und nach der Tat nicht zu erreichen ist, geht Neimann einer Ahnung nach. Die Aufzeichnungen der bürointernen Kameras bestätigen seinen Verdacht. Unter dem Mantel des Schweigens verliert jetzt jeder auf seine Art die Fassung. Der Minister bekommt in seiner aufgesetzten Abgeklärtheit etwas diabolisches, Neimann in seiner Verzweiflung etwas hysterisches und das eigentliche Opfer, Borba, verschließt sich vor der Welt. Dramaturgisch etwas hingebogen, liefert diese Konstellation die Ausgangslage dafür, den Übergriff und seine Folgen vor allem aus Neimanns Perspektive zu betrachten. Sein Job bringt ihn in einen Loyalitätskonflikt, privat quält ihn Katharinas Zurückweisung, längst kann er das eine nicht mehr vom anderen trennen.
Unabhängig vom Ausgang der Geschichte und Vorbehalten gegenüber der gewählten Perspektive führt der ZDF-Fernsehfilm vor, welche Sicherheitsmechanismen in Machtgefügen bis heute fehlen. Regisseur Thomas Kronthaler und Szenenbildner Florian Langmaack dringen dafür in gläserne Konferenzräume und spartanisch geschmückte Versammlungssäle vor, leuchten mal das edle Interieur bei Familie Mittendorf aus oder sitzen mit dem disziplinierten Neimann in dessen karg ausgestatteter Single-Wohnung. Machtmissbrauch durch Männer, so vermutet Christian Berkel im Presseheft, gründe oft „in der Diskrepanz zwischen ihrer inneren Sehnsucht nach Grandiosität und der weniger schmeichelhaften Wirklichkeit“. Abseits aller moralischer Diskussion, die ein Film wie dieser anregen kann, zeigt „Trügerische Sicherheit“ erstmal beides. Abseits einer ARD oder ZDF-Themenwoche mit Doku und Diskussion im Anschluss ist das durchaus auch genug. (Text-Stand: 14.3.2022)