Toulouse

Catrin Striebeck, Matthias Brandt, David Schalko, Michael Sturminger. Zerstörungslust

Foto: HR / Bettina Müller
Foto Thomas Gehringer

Zwei Personen, ein Hotelzimmer: Der vielseitige österreichische Autor David Schalko („Aufschneider“, „Braunschlag“) hat mit „Toulouse“ (ARD / Hessischer Rundfunk) ein bitterböses Kammerspiel über eine gescheiterte Ehe und egozentrische Mitteleuropäer geschrieben. Für seine Variation des Geschlechterkampfs nutzt er das aktuelle Thema Terror als fernes Szenario und Katalysator für die private Hölle. Das unterhaltsame Fernseh-Drama, das noch vor der Uraufführung der Theaterfassung ausgestrahlt wird, ist ein dialogstarkes Fest für zwei Schauspieler, top besetzt mit Catrin Striebeck und Matthias Brandt.

Der Kampf der Geschlechter wird in „Toulouse“ als (nicht nur) verbaler Ringkampf zwischen einem Mann und einer Frau um die 50 inszeniert. Silvia (Catrin Striebeck) und Gustav (Matthias Brandt) beziehen in einem französischen Luxushotel ein großzügiges Doppelzimmer mit Blick aufs Meer. Dabei leben sie nach 19 Jahren Ehe eigentlich getrennt, und Gustavs Neue weiß nichts von dem heimlichen Treffen. Eingeladen hat offenbar Silvia, die zu Beginn, so scheint es, eine in ein Tuch gewickelte Pistole in den Zimmersafe einschließt – ein kleiner, die Spannung fördernder Hinweis auf das dramatisch-absurde Finale, aus dem man als Beispiel für Schalkos garstige Dialogkunst folgenden Satz zitieren könnte: „So ein Leben auf der Flucht hat durchaus seinen Reiz. Vor allem für eine Frau in meinem Alter. Wenigstens wird man gesucht.“ Aber hier bekommen beide Geschlechter ihr Fett ab. „Du bist eigentlich ganz unterhaltsam, seit ich dich nicht mehr ernst nehme“, sagt Silvia über Gustav.

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Geschlechterkampf im Duett: Silvia (Catrin Striebeck) und Gustav (Matthias Brandt). Individuelle Gesellschaftskritik. Zerstörungsakte.

Silvia gibt den Ton an in dem auch erotischen Spiel
Aber will Silvia nur Rache? Hofft sie nicht in Wirklichkeit auf eine Wiedervereinigung mit Gustav? Schließlich hat sie ihn an den Ort gebeten, in dasselbe Zimmer, in dem beide das letzte Mal miteinander geschlafen haben. Silvia ist der interessantere, weil weniger vorhersehbare Charakter. Mal ist sie die gekränkte Ex, die ihm Vorwürfe macht, in Selbstmitleid oder Wut flüchtet. Dann wieder umgarnt sie den verlorenen Ehemann, oder sie gibt die ihm gewogene Ratgeberin. Es ist nicht zuletzt ein erotisches Spiel, das Striebeck und Brandt hier miteinander treiben. Die weibliche Hauptfigur aber gibt den Ton an und nimmt das Heft des Handelns zunehmend in die Hand. Silvia, so scheint es, will ihren Ex, wenn sie ihn schon nicht zurückhaben kann, wenigstens vernichten. Gustav ist eine typische Männerfigur in der Midlife-Krise. Ein wohlhabender Geschäftsmann, der sich nach langen Ehejahren auf eine Jüngere einlässt. Der seine Firma verkauft hat, weil er sein Leben ändern will. Der sich aber in Wahrheit selbst gar nicht sicher ist. Soll er wirklich noch einmal von vorn anfangen, sogar das erste Mal Vater werden? Oder doch lieber zurück in den vertrauten Ehe-Hafen? Auf Silvias Vorwurf, er würde seine jeweiligen Partnerinnen immer wieder betrügen, antwortet er bestimmt: „Nein!“ Und schiebt dann stammelnd ein „Vielleicht, ich weiß nicht“ hinterher.

Der Hessische Rundfunk kommt dem Theater zuvor
Die Konstellation mit seinen konventionellen Rollenbildern und den eigentlich schon so oft gesehenen Figuren-Typen mag im Ansatz ein bisschen langweilig sein, der von Michael Sturminger inszenierte Geschlechterkampf ist es nicht. Der Österreicher, der zurzeit auch beim „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen Regie führt, war vor allem für Theater und Oper tätig. Und auch „Toulouse“ ist – sieht man von Kurzauftritten eines Hotelpagen und eines staubsaugenden Statisten ab – ein klassisches Zwei-Personen-Drama, das Schalko fürs Theater geschrieben hat. Ungewöhnlich, dass das Stück nun seine Uraufführung im Fernsehen hat; die Bühnen-Premiere ist erst für den April 2019 im Wiener Theater an der Josefstadt angekündigt. Und Schalko schrieb die Drehbuchfassung für den vom Hessischen Rundfunk produzierten Film selbst. Das Dialogstück „Toulouse“ ist also vor allem eine herrliche Vorlage für die beiden Schauspieler, und unter der Regie des Theater-erfahrenen Sturminger können Striebeck und Brandt ihr Können voll entfalten. Viel stärker, als es im Theater möglich ist, sorgt die Kamera (Wolfgang Thaler) für Nähe zu den Protagonisten – und dafür, dass die verschiedenen Räume und Winkel der Luxus-Suite im Schau-Spiel zur Geltung kommen. Striebeck und Brandt bringen wahrhaftig Leben in die unpersönliche Hotel-Atmosphäre. Und zumindest Gustav kommt reichlich (und sichtbar) ins Schwitzen.

Die gemeine Pointe: Der Terror legt die Lügen bloß
Außerdem hat es die Variation des altbekannten Themas in sich: Kurz nachdem Gustav mit seiner neuen Partnerin telefoniert hat, erfährt er via Smartphone, dass es in Toulouse ein Attentat gegeben hat, just in dem Konferenzzentrum, in dem er sich angeblich aufhält. Schalko treibt nun das Spiel böse auf die Spitze. Auch Moskowitz, den Gustav als Stellvertreter zu der Konferenz geschickt hat, befindet sich nicht in Toulouse, sondern in Nizza – ebenfalls mit einer Geliebten. So wird der Handlungsort zwar nicht verlassen, aber es wird zeitweise mit unsichtbaren Personen telefoniert, es werden Kurzmitteilungen verschickt, und im Fernsehen wird eine französische Nachrichtensendung eingeschaltet. Schon bald ist vom „größten Attentat in der Geschichte Frankreichs“ und von 240 Toten die Rede, auch Gustav und Moskowitz stehen auf einer Liste der Vermissten, was die untreuen Gatten erst recht in Erklärungsnöte bringt. Der Terror legt ihre Lügen und Scheinheiligkeit bloß, wahrlich eine gemeine Pointe. Nun hat Frankreich allerdings tatsächlich bereits mehrere Anschläge durchlitten, und es ist schon etwas zynisch, den realen Terror noch einmal fiktional zu steigern und als „Kulisse“ zu benutzen. Aber die blutige Fantasie wird nicht unverhältnismäßig ausgeschmückt und steht zweifellos im Dienste der Geschichte.

Toulouse

ToulouseFoto: HR / Bettina Müller
OBEN: Telefonate gehören zur Dramaturgie des Zweipersonen-Stücks. UNTEN: Attentat in Toulouse: der Terror dient als eine Art Lügendetektor. Catrin Striebeck und Matthias Brandt

Schalkos Gesellschaftskritik zielt aufs Individuum
So darf man sich unter anderem an „Zeit der Kannibalen“ (2014) erinnert fühlen. Hier wie dort spielt zum Beispiel das Sounddesign eine wesentliche Rolle, um Impulse der Außenwelt in die Erzählung an einem abgeschlossenen Film-Schauplatz aufzunehmen. Doch während in dem Kapitalismus-kritischen Kino-Kammerspiel drei Unternehmensberater mit Unruhen direkt vor ihrer Hotel-Tür konfrontiert werden, bleibt der Terror in „Toulouse“ fern und dient nur als Katalysator für die private Hölle. Schalkos Ehe-Drama, das in ein aberwitziges, tragikomisches Finale mündet, zielt aufs Individuum, auf den ganz auf sich selbst fixierten Mitteleuropäer aus der gehobenen Gesellschaftsschicht. „Ich bin ausschließlich von egozentrischen Arschlöchern umgeben“, schimpft Gustav und übersieht dabei, dass er selbst eines ist. „Sie sind für mich um nichts besser als die Terroristen“, giftet er am Telefon, weil Moskowitz sich dazu entschlossen hat, seiner Frau die Wahrheit zu sagen, was wiederum Gustavs Frau nicht verborgen bleiben dürfte. Auch bei Silvia hält sich das Mitleid mit den Terror-Opfern in Grenzen. Im Gegenteil: Je mehr Gustav in Bedrängnis gerät, desto besser wird ihre Laune. Während er zunehmend außer Fassung gerät, buchstäblich die Form verliert, nimmt sie ein Bad und macht sich schick – für den finalen Akt der Zerstörung. Nein, sympathisch sind die Protagonisten wirklich nicht, unterhaltsam schon.

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Fernsehfilm

HR

Mit Catrin Striebeck, Matthias Brandt

Kamera: Wolfgang Thaler Szenen- und

Kostümbild: Andreas Donhauser, Renate Martin

Ton: Katja Schenk

Schnitt: Mücke Hano

Musik: Bertram Denzel

Redaktion: Lili Kobe, Liane Jessen

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: David Schalko – nach seinem gleichnamigen Theaterstück

Regie: Michael Sturminger

Quote: 3,20 Mio. Zuschauer (11,6% MA)

EA: 12.09.2018 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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BIC: COBADEFFXXX

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