Bislang waren die Hauptfiguren der diversen Helferreihen bei ARD und ZDF ausnahmslos weiblich. „Eifelpraxis“, „Inselärztin“, „Praxis mit Meerblick“ (ARD), „Lena Lorenz“, „Frühling“ (ZDF): eine Versorgungsassistentin, zwei Ärztinnen, eine Hebamme, eine Dorfhelferin. Angesichts dieser geschlechtlichen Eintönigkeit hatte die ARD-Tochter Degeto eine revolutionäre Idee: Nachdem das konservative Publikum Frauen auch im Fernsehen in typischen Männerberufen akzeptiert hat, ist es an der Zeit, Männer in typischen Frauenberufen zu emanzipieren. Den Auftakt macht Toni, Entbindungspfleger aus München; ein Hebammerich also. Der Titel des ersten Films ist von feiner Ironie: „Allein unter Frauen“. Die Frage ist bloß: Hat diese Reihe mehr zu bieten als die Umkehrung des Gender-Vorzeichens?
Ja und nein; mit Tendenz zum Nein. Titelheld Toni Hasler (Leo Reisinger), um die vierzig, ist ebenso wie seine Mitstreiterinnen aus den anderen TV-Reihen ein Helfer mit Herz, der seinen Schutzbefohlenen nicht nur mit Tat, sondern auch mit Rat zur Seite steht; wenn es sein muss, als schlechtes Gewissen. Das dramaturgische Muster entspricht der üblichen dreifachen Zopfdramaturgie: hier der Geburtshelfer, dort zwei Schwangerenschicksale, eins eher heiter, eins dramatisch. Tonis persönliche Ebene ist ähnlich ausgewogen. Zunächst differenziert das Drehbuch von Sebastian Stojetz und Sibylle Tafel zunächst zwischen Beruf und Privatleben, aber dann lässt sich das eine vom anderen dank einer cleveren Idee nicht mehr trennen: Toni verliert seine Stelle im Krankenhaus, weil er ständig mit seiner neuen Chefin (Juliane Köhler) aneinandergerät. Eine eigene Praxis kann er sich nicht leisten, aber sein ehemaliger Klinikmentor (August Zirner) vermittelt ihm den Kontakt zu seiner Tochter: Luise Fuchs (Wolke Hegenbarth) ist Gynäkologin und sucht eine Hebamme. Die Kombination wäre perfekt, wenn es da nicht ein delikates kleines Geheimnis gäbe: Die beiden teilen die Erinnerung an einen leidenschaftlichen Abend beim Kölner Hebammen-Weiberfastnacht. Toni hat damals seine Maske (natürlich Hase) im Gegensatz zu Luise (natürlich Fuchs) nicht gelüftet. Trotzdem ist Luise überzeugt, ihn von irgendwoher zu kennen. Folgen hatte die Begegnung vor allem für den Hebammerich, denn Gattin Hanna (Kathrin von Steinburg) hat ihn wegen des Seitensprungs vor die Tür gesetzt. Seither lässt er nichts unversucht, um die Ehe irgendwie doch noch zu retten, aber Hanna lässt ihn regelmäßig abblitzen.
Foto: Degeto / Kerstin Stelter
Dieser Teil des Films hat auch dank des romantischen Potenzials – ein Mann zwischen zwei Frauen – eine klare Dramedy-Ausrichtung. Für die heiteren Momente ist nicht zuletzt Tonis bester Freund Franzl (Frederic Linkemann) zuständig, wie schon sein ausgefallener Hemden-Geschmack signalisiert. Franzl lebt in einer ehemaligen Fabrik, hat entsprechend viel Platz und Toni bei sich aufgenommen; außerdem hält er sich für einen Frauenschwarm und wirft gleich mal beide Augen auf die offenbar alleinstehende Luise. Für amüsante kleine Spannungs-Momente sorgt die immer wieder auftauchende Hasenmaske, die Toni natürlich vor Luise verstecken muss. Für das Drama in „Dramedy“ steht sein hoffnungsloses Bemühen, Hanna zurückzugewinnen. Bei den beiden anderen Ebenen sind die Vorzeichen dagegen klar verteilt. Eher heiter, wenn auch ebenfalls nicht lauthals komisch, sind die Begegnungen mit Patientin Gina (Rosetta Pedone), die an die Mutter aus Coline Serreaus Komödienklassiker „Drei Männer und ein Baby“ (1985) erinnert: Sie hat drei Geliebte und keine Ahnung, wer der Vater ist. Als sich die Männer zufällig in einem Geschäft für Babyausstattung begegnen, kommt es prompt zur Rauferei, während bei der unbeachteten Gina die Wehen einsetzen. Das Ende dieses Erzählstrangs ist zwar unrealistisch, aber geht zu Herzen. Die zweite Nebengeschichte ist ungleich dramatischer: Bei einer Wohnungsbesichtigung trifft Toni zufällig auf Ida (Anja Antonowicz). Die junge Frau hat ihre Schwangerschaft derart konsequent verdrängt, dass nicht mal ein Babybauch zu sehen ist. Sie hat einen Herzfehler und fürchtet, dem Baby nicht lange genug eine Mutter sein zu können. Der Vater (Johannes Zirner) hat keine Ahnung von seinem Glück, und natürlich sorgt Toni dafür, dass sich das ändert. Aber jener Jan Rabe (Johannes Zirner) wird demnächst heiraten, und Ida verliert allen Lebensmut.
Die erfahrene Regisseurin Sibylle Tafel, für ihr ARD-Märchen „König Drosselbart“ mit Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet, weiß natürlich, wie das Genre funktioniert; außerdem hat sie den Auftakt zu „Die Eifelpraxis“ gedreht und zwei Filme zu „Praxis mit Meerblick“ beigesteuert. Deshalb wirkt auch „Allein unter Frauen“ trotz der ständig wechselnden Ebenen wie aus einem Guss. Die Figuren sind mit viel Sympathie entworfen; einzig Juliane Köhler fällt in ihren wenigen Szenen als überzeichneter Klinikdrachen aus dem Rahmen. Ansonsten passen die Schauspieler sehr gut zu ihren Rollen. Leo Reisinger, bislang bevorzugt als Nebendarsteller eingesetzt (zuletzt als homosexueller Bruder der Titelheldin in der etwas anderen Helferreihe „Tonio & Julia“, ZDF 2018), verkörpert den „Babyflüsterer“ jederzeit glaubwürdig. Er ist ein sympathischer Typ, mit dem sich Männer und Frauen gut identifizieren können, weil er in jeder Hinsicht ganz normal ist: ganz normal gutaussehend, ganz normal verzweifelt wegen der gescheiterten Ehe, ein ganz normaler Vater. Anders als einige der Kolleginnen aus den anderen Reihen, die zum Teil ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben, ist Toni auch bloß ganz normal hilfsbereit. Dass Reisinger selbst drei Kinder hat, war sicher hilfreich, um bei den Babyszenen die nötige Souveränität auszustrahlen.
Foto: Degeto / Kerstin Stelter
Soundtrack (Episode 1): „Allein unter Frauen“: Robin Thicke feat. T.I. & Pharrell Williams („Blurred Lines“), Wild Cherry („Play That Funky Music”), The Beatles („A Hard Day’s Night”), The hot club quartette („Blues en mineur”)
Der zweite Film, „Daddy Blues“, orientiert sich noch deutlicher als der erste an einer ABC-Dramaturgie: A wie Abenteuer, B wie Beziehung, C wie Comedy; wobei die Vorzeichen gern mal wechseln. Zentraler Konfliktherd ist die Beziehung zwischen Tonis Schwester Romy (Lara Mandoki) und ihrem Freund Florian, genannt Flocke (Jacob Matschenz). Der Wildwasserruderer hat sich gerade für die Olympischen Spiele qualifiziert, als er buchstäblich aus seinem gewohnten Leben gerissen wird. Fortan versinkt er in Selbstmitleid. Die Aussicht auf Vaterschaft verstärkt seine Depression eher noch, weshalb Toni ihm ein ums andere mal ins Gewissen reden muss. Abenteuerlich, wenn auch im übertragenen Sinn, sind die Erfahrungen, die eine türkischstämmige Frau mit ihrer Schwiegermutter erlebt: Die hochschwangere Leyla (Anastasia Papadopoulou) und ihr Mann Yussuf (Ben Akkaya), von allen bloß Seppi genannt, haben mit Religion nichts am Hut, aber davon hat seine Mutter Esra (Lilay Huser) keine Ahnung. Als die tiefgläubige Frau ihren Besuch ankündigt, wird die Wohnung mit allem nur erdenklichen Kitsch „getürkt“ (wie Seppi selbst feststellt). Allerdings geht Esra der Schwiegertochter mit ihren vielen Benimm- und Ernährungsregeln kräftig auf die Nerven; als männliche Hebamme ist Toni für die Türkin quasi der Leibhaftige schlechthin. Auf der C-Ebene geht es unter anderem um ein Bowlingturnier zwischen Frauenärzten und Hebammen sowie um die Freundschaft zwischen Toni und Franzl. Der WG-Kumpan will seinen Freund davon überzeugen, Hanna endlich hinter sich zu lassen und wieder seinen „Bumerang zu werfen“. Franzl-Darsteller Linkemann darf sich ohnehin stärker in den Vordergrund spielen, weil Flocke ihn mit Romy verkuppeln will. Auf der anderen Seite wird die Feindschaft zwischen Toni und Hebammenleiterin Evi Höllriegel („Evi the Evil“) vertieft.
Obwohl gerade das Schicksal von Flocke durchaus tragisch ist, wirkt „Daddy Blues“ insgesamt etwas leichter als „Allein unter Frauen“; das liegt nicht zuletzt an Lara Mandoki, deren Rolle allerdings auch längst nicht so dramatisch ist wie die von Anja Antonowicz im ersten Film. Außerdem kann Reisinger seine Figur nun deutlich lockerer ausleben, selbst wenn er Hanna immer noch nachtrauert. Ihr neuer Freund ist Yogalehrer. Toni lässt seinen Unmut an einer Buddhastatue in dessen Garten aus; damit sei sein „Karma-Konto im Arsch“, kommentiert Franzl. Neben den ausnahmslos überzeugenden Schauspielern sind es nicht zuletzt kleine komische Einfälle wie diese, die einen deutlichen Unterschied zwischen „Toni, männlich, Hebamme“ und den zumeist deutlich dramatischeren Helferinnen-Reihen ausmachen: Während die Frauen auf dem besten Weg zur Seligsprechung sind, macht Toni einfach seine Arbeit; ein Heiliger will er offenbar ohnehin nicht sein. (Text-Stand: 20.1.2019)