Drei ziemlich coole Frauen & ein verschwundener Whistleblower
Ein Whisteblower packt aus. Karin Berger (Anke Engelke), Chefredakteurin des angeschlagenen Nachrichtenmagazins „Der Puls“, wittert die ganz große Story. Paul Holthaus (Oliver Masucci), Lobbyist im Auftrag des Agrarkonzerns Norgreen Life Inc., ist bereit, über die Hintergrundverhandlungen zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP zu sprechen. Er selbst hat als gewiefter Spin Doctor ein juristisches Schlupfloch in die Vorverträge eingebaut, wodurch geltendes deutsches Recht ausgehebelt werden kann. Berger schickt ihre Vertraute und Ex-Geliebte Rommy Kirchhoff (Nina Kunzendorf) zum Interview nach Brüssel. In einem Hotelzimmer unter strengen Sicherheitsvorkehrungen beginnt das Gespräch. Nach einer kurzen Unterbrechung sind Holthaus und sein Kontaktmann spurlos verschwunden – und die Journalistin wacht 15 Stunden später auf einer Parkbank auf. Hat Lilian Norgren (Katja Riemann), die Herrscherin über das Norgreen-Imperium, ihre Hände im Spiel? Hat sie Holthaus, der maßgeblich für den Image-Wandel von TTIP Mitarbeiter verantwortlich war, aus dem Spiel nehmen lassen? Aber ist diese Frau so skrupellos, dass sie den Mann ihres (ungeborenen) Kindes töten lässt? Und weshalb ist dieser Mann überhaupt abtrünnig geworden? Hat das vielleicht etwas mit seiner krebskranken Frau (Sabine Timoteo) zu tun?
Foto: Degeto / Marco Krüger
„Wie gelingt es uns, unsere Freiheit, unsere Demokratie gegen Angriffe zu verteidigen, die so unbemerkt und subtil im Rahmen komplexer globalisierter Strukturen ablaufen, dass das Individuum sich nur noch ohnmächtig fühlt und davor kapituliert?“ (Produzentin Gabriela Sperl)
Farbe bekennen – wenn nicht beim umstrittenen TTIP, wann dann?!
„Tödliche Geheimnisse“ ist ein hochkarätig besetzter, auf Frauenpower setzender Wirtschaftsthriller im Journalisten-Milieu, der das Genre und seine Spannungsdramaturgie nutzt, um für das umstrittene Transatlantische Handelsabkommen (TTIP) zu sensibilisieren. „Das Thema TTIP in unserem Film steht pars pro toto für die unentwirrbare Verflechtung von Geld, Macht, Politik und Konzerninteressen, die ganz tief, ohne dass wir es merken, in unseren Alltag eingreifen und ihn umkrempeln“, betont die Produzenten Gabriela Sperl. Drehbuchautor Florian Oeller, der schon in Filmen wie dem Anleihen bei der Barschel-Affäre suchenden „Tatort – Borowski und der freie Fall“ oder dem „Polizeiruf 110 – Sturm im Kopf“ den Krimi mit guter Recherche und eben solcher Haltungsnote gesellschaftspolitisch veredelte, kam die schwierige Aufgabe zu, einen Thriller zu plotten, „der abstrakte Begriffe wie Freihandel oder Lobbyismus eingängig und mitreißend erzählen kann“. Dass sich ein fiktionaler Fernsehfilm so deutlich in den Dienst einer Sache stellt und direkten Einfluss nehmen will, ist selten geworden im (Krimi-)Genrefernsehen, das Gesellschaft fast nur noch in psychologischen Mikrostrukturen sucht. Wenn nicht beim umstrittenen Thema TTIP, wann dann?! Und so geht es in dem Film von Sherry Hormann nicht nur um das Leben zweier verschwundener Querdenker, sondern es geht auch um den schleichenden Ausverkauf der Demokratie, der nicht unmaßgeblich vom Zustand der Medien beeinflusst wird. Wie zuletzt „Die vierte Gewalt“ zeigt auch Oellers Geschichte die Grenzen des investigativen Journalismus’ auf: Die Gegenseite hat immer mehr Geld und die Aufdeckung eines politischen Skandals in der globalisierten Welt sorgt im Internet allenfalls noch für kurze Aufregung.
Foto: Degeto / Stephan Rabold
„Mit TTIP wird in meinen Augen der Versuch unternommen, auch solche Regeln zu ändern, die Werteentscheidungen einer Gesellschaft betreffen: höhere oder niedrigere Standards bei Lebensmitteln, höhere oder niedrigere Standards bei der Zulassung von Medikamenten, schnellere Innovationen oder mehr Sicherheit für uns als Bürger und Verbraucher?“ (Drehbuchautor Florian Oeller)
Klare Fragen lenken den Plot, die Zeit-Achse regelt die Spannung
Die Dominanz der Botschaft hat auch Auswirkungen auf die Erzählweise. Die Dramaturgie von „Tödliche Geheimnisse“ ist geradlinig, die Handlung übersichtlich und nie kompliziert. Wo sind die beiden spurlos Verschwundenen? Leben die beiden noch? Wer ist für deren „Entführung“ verantwortlich? Wie lässt sich diese kriminelle Tat öffentlichkeitswirksam aufdecken? Und wie kommt man als kritischer Journalist selbst heil aus der Sache heraus? Klare (W-)Fragen lenken den Plot. Auch die Charaktere sind nicht übermäßig komplex, sie spiegeln ihre sozialen Rollen, sind klare Träger von Moral bzw. Unmoral, sind bestechlich oder unbestechlich, integer oder skrupellos; eine tiefere individuelle Psychologie besitzen sie nicht. Genregemäß ist die Geschichte auf die äußere Handlung fokussiert: Der Zweck heiligt die Mittel, und die Figuren sind Mittel zum Zweck in einem Spiel, dessen Währung dem Genre gemäß Geld und Gefühle sind. Die Inszenierung ist temporeich, unauffällig, dient der Sache. Die Montage, die Bewegung in der Zeit, ist das Erzählprinzip dieses Recherche-Thrillers. Alles scheint im Fluss zu sein, angetrieben von einer Protagonistin, die kein Verschnaufen kennt. Aber auch die Antagonistin ist immer schon da. Die inszenierten Räume mögen Event-Charakter versprechen, Augenfutter sein, doch kaum eine Einzelszene bleibt in Erinnerung.
Foto: Degeto / Stephan Rabold
„Verhandlungen und Beschlüsse hinter verschlossenen Türen schüren zurecht Misstrauen und Unmut. Eine Einschränkung von demokratischer Kontrolle bedeutet zugleich eine Entwertung der Wählerstim-men und dies rüttelt an den Grundfesten unserer Demokratie.“ (Nina Kunzendorf)
Ein Themen-Thriller ohne „Aufsager“, dafür mit Journalisten als Helden
Was nach ästhetischen Kriterien wie eine Defizit-Liste aussehen könnte, das ist für das Sensibilisierungskonzept, dem sich die Macher verschrieben haben, aber durchaus die passende Umsetzung. Außerdem spürt man, dass sich Oeller, Hormann & Co der Erfordernisse und der Problematiken des Konzepts bewusst waren: Ein Themen-Thriller, geplant als Einzel-Event, also ohne begleitende Dokumentation oder Talkshow, muss selbst im Film eine gewisse Fakten-Basis schaffen, um verständlich zu sein und um die Anti-TTIP-Haltung plausibel zu machen. Andererseits weiß heute jeder qualitätsbewusste Drehbuchautor, dass es nichts Schlimmeres gibt als dröge Erklärsätze oder Szenen, die Gebrauchs-Anweisungen für ein schwieriges Thema liefern (besonders Fernsehkritiker sind gnadenlos, wenn etwas nach Belehrung klingt). Oeller wählt einen akzeptablen Mittelweg. Den Eindruck von „Aufsagern“ bekommt man als Zuschauer nie. Für einen politischen Thriller die journalistische Perspektive zu wählen, ist gesellschaftspolitisch naheliegend und immer ein guter Schachzug: Selbst ein Statement lässt sich im Milieu der Meinungsmacher noch als „realistisch“ verkaufen – und dass man sich die Fakten zum Thema gegenseitig temporeich um die Ohren haut, wirkt authentisch. Wenn man dann noch Schauspieler hat, die wissen, wie man Botschaften mit einem beiläufigen Lächeln versendet, kann nichts schiefgehen.
Foto: Degeto / Stephan Rabold
„Die Diktatur der Wirtschaft ist so umfassend und versucht alles, um als agierender Diktator nicht sichtbar zu sein, und – es funktioniert. Es ist gruselig, denn wir machen alle mit, wir befeuern es, für unseren Komfort und unsere Bequemlichkeit.“ (Katja Riemann)
Geballte Frauenpower – schön, kühl & auch schon mal neben der Spur
Nina Kunzendorf ist die Bild gewordene Recherche auf zwei Beinen. Ihre Journalistin ist ständig in Bewegung, ist für die gute Sache unterwegs, sie brennt. Mit Jeans, Schlabbersakko und Kurzhaarschnitt geht sie geradezu sportlich gegen das große Geld an, jene kühle Machthaberin, für die das Wichtigste im Leben die Täuschung ist. Katja Riemann verkörpert diese Domina des gegnerischen Systems, ein planungssicherer CEO, dem die anderen nur hinterhecheln können. Riemann spielt das wie eine Raubkatze, schön, attraktiv und immer kurz vor dem tödlichen Biss. Auch Anke Engelke überzeugt als Chefredakteurin, aufgerieben zwischen den Fronten, der man die schlaflosen Nächte deutlich ansieht, die Kämpfe mit dem Verlag und den Geldgebern, aber auch den Einsatz für relevanten Journalismus, der nun offenbar Menschenleben zu kosten scheint. Abgerundet wird die Frauenpower auf der Besetzungsliste durch Paula Beer, die nach „Poll“, „Das finstere Tal“ und Pampa Blues“ derzeit in Ozons „Frantz“ das Kinopublikum verzaubert; in „Tödliche Geheimnisse“ kommt ihr als Tochter von Mrs. Unmoral, die bereits in der Eingangsszene und dann noch einmal im Schlussbild ihre große emotionale Nähe zu Kunzendorfs Heldin an den Tag legen darf, die sozialutopische Funktion als Prinzip Hoffnung zu. Alle vier Frauen bleiben reduziert auf ihre gesellschaftliche Verantwortung; persönliche Bedürfnisse und psychologische Motive treten zurück – was in diesem Fall aber kein Manko ist, sondern für die notwendige Zuspitzung der Geschichte sorgt, die vor allem in den letzten 30 Minuten deutlich an Spannung gewinnt: Folgte die Narration mehr als eine Stunde lang der (naiven) Alltagslogik der Journalistinnen, immer wieder zweckmäßig unterbrochen von Rückblenden, nötigen Informationen aus der Vergangenheit über die Ehe des Verräters und die Liebschaft zwischen ihm und dem kalten CEO-Rauschgoldengel, übernimmt nun ganz das Genre die Regie. (Text-Stand: 9.10.2016)