Der deutsche Herbst ’77 – das waren die Geiselnahme und spätere Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, die Entführung des Passagierflugzeugs „Landshut“, Mogadischu und der Selbstmord des RAF-Führungskaders im Hochsicherheitstrakt von Stammheim. Fast 20 Jahre danach nimmt sich nun Grimme-Preisträger Heinrich Breloer („Wehner“) dieser dramatischen 45 Tage an, die die Nation bewegten und die deutsche Nachkriegsdemokratie auf den Prüfstand stellten.
Ausschnitt aus einem Text zu den Dreharbeiten:
Mit dem Film beschreibt Breloer die Geschichte des Terrorismus, und er fügt der „Geschichte der Linken und deren Desillusionierung“ ein weiteres Kapitel hinzu. „Die Gläubigkeit der 68er-Generation, dass man die Geschichte verändern könne, der Größenwahn meiner Generation ist eines der zentralen Themen“, so Breloer. Ein anderes: die Geschichte der Medien in diesem geschichtsträchtigen Herbst. Eine sechswöchige Nachrichtensperre war nicht nur ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, sie erschwerte natürlich auch die Arbeit des Filmemachers. Bausteinchen um Bausteinchen, Zitat um Zitat musste er sich bei Zeitzeugen zusammensuchen. Mit dem Resultat: „Ich kann Facetten einer bisher unerzählten Geschichte rekonstruieren. Ich kann die Fernsehbilder von damals jetzt vervollständigen.“ Die „Kein-Kommentar“-Statements übernächtigter Krisenstäbler kann er nun ergänzen mit Spielszenen aus den Sitzungen jener informellen Großen Koalititon, die souverän von Kanzler Helmut Schmidt angeführt wurde. Breloers Ziel: ein möglichst objektives Bild der Zeit geben. tit.
Foto: WDR / Sibylle Annek
Erst heute könne man mit größerer Unbefangenheit auf das Geschehen blicken, „genauer und detaillierter die historischen Abläufe von damals beleuchten“, so Breloer. Der Filmemacher, der auch für „Todesspiel“, sein bisher aufwendigstes Projekt (2 Jahre Arbeit, 7 Mio. Mark), auf den bewährten Mix aus Doku-Material und Spielszenen setzt, holte für den Zweiteiler Helmut Schmidt, den BKA-Präsidenten Horst Herold und die Schleyer-Witwe vor die Kamera. Rund 50 Zeitzeugen hat er gesprochen, über 100 Stunden Interviews mitgeschnitten. Für die gespielten Szenen wurden Kanzleramt wie Stammheim „millimetergenau nachgebaut“.
Der erste Teil, „Volksgefängnis“, zeigt die brutale Entführung Schleyers und die bisher aufwendigste Fahndung in der bundesdeutschen Geschichte. Über 100 höhere Beamte waren auf den Fall angesetzt, an die 1000 Polizisten wurden zusammengezogen. BKA-Präsident Herold spielte den Psychologen und Helmut Schmidt den Krisenmanager, für den die Freilassung führender Terroristen gegen das Leben Schleyers von vornherein nie in Frage kam. Das wäre die Einladung für weitere Entführungen, die Bankrotterklärung der junge Demokratie gewesen. Breloer wollte „die Geschichte über die Gesichter der Gegenwart erzählen“. Denn erstmals nach 20 Jahren brachen etliche Politiker und Terroristen ihr Schweigen. Für den mehrfachen Grimme-Preisträger, bekannt für seine Mischung aus Spielszenen und Doku-Material, war das die Voraussetzung für „Todesspiel“. Der erste Teil ist journalistisch angelegt, der zweite Teil, „Entführt die Landshut“ orientiert sich stärker am Genre des Flugzeug-Thrillers, ist emotionaler, nervenaufreibender. Breloer: „Da bin ich ganz bewusst näher an den Opfern dran. Sie hatte ich im Gegensatz zu Schleyer als Zeitzeugen.“ Für einige, wie die couragierte Stewardess Gaby Dillmann, bekam der Film eine geradezu therapeutische Funktion. „Das Nachspielen nahm der Situation eines von ihrer Bedrohung.“
Foto: WDR / Sibylle Annek
Kritik: „Todesspiel“ (15.6.1997)
Dass im deutschen Herbst ’77 das Leben von Hanns-Martin Schleyer der Staatsräson geopfert wurde – das will Helmut Schmidt nicht gelten lassen. Oberstes Ziel sei damals gewesen: die Handlungsfähigkeit des Staates nicht zu gefährden, den Terroristen kein Frei-Abo für weitere Geiselnahmen auszustellen. In „Todesspiel“ hat sich der fünffache Grimme-Preisträger an einen deutschen Mythos gewagt – und sich ihm analytisch kühl, dann emotional-dramatisch genähert. Die Wirklichkeit, das sind nicht nur harte objektive Fakten, Denkmuster und politische Strukturen, zu ihr gehören auch die Menschen in ihrer ganzen Subjektivität – das ist Breloer ’97, einer, der sieht, was ein Stoff intellektuell braucht, der aber auch weiß, was er dem Zuschauer(geschmack) schuldig ist. So wurde „Todesspiel“ ein brillantes Wechselspiel zwischen Journalismus und Spiel(szenen), zwischen Kopf und Bauch. Der Film über Ohnmacht und politisches Taktieren, zugleich eine positive Neuinterpretation des Pragmatikers Helmut Schmidt, dokumentiert mit den vielfältigsten Mitteln des Fernsehens eine Zeit der totalen Nachrichtensperre, eine Krise der Demokratie. Breloer hilft dem Einzelnen, sich zu erinnern an eine politisch überhitzte Zeit, und er gibt den Deutschen ein Stück Demokratie zurück. Breloer will der historischen Wahrheit auf die Spur kommen. Er rekonstruiert das Geschehen und lässt es aus heutiger Sicht kommentieren, von Ex-Terroristen ebenso wie vom Ex-Kanzler. So lassen sich vorm Fernseher Erfahrungen machen: sinnliche Erkenntnis. Einzigartig.
Großartig auch sind die Leistungen der Schauspieler. Noch für die kleinsten der 105 Rollen konnte Breloer namhafte Mimen wie Hans Brenner als Schleyer, Sebastian Koch als Baader, Claudia Michelsen oder Karoline Eichhorn gewinnen. Nur Manfred Zapatka bleibt ungewohnt blass gegen sein „Vor-Bild“ Helmut Schmidt. Breloer weiß das: „Der musste gegen den echten Kanzler regelrecht anspielen. Denn der ist auch ein großer Mime.“ (Text-Stand: 15.6.1997)