Todesspiel

Hans Brenner, Sebastian Koch, Zapatka, Breloer. Trauma eines heißen Herbstes

Foto: WDR / Sibylle Annek
Foto Rainer Tittelbach

Schleyer, „Landshut“, Mogadischu, Stammheim – Heinrich Breloer verfilmte 1997 im Zweiteiler „Todesspiel“ den legendären deutschen Herbst 1977. Ein journalistisch anspruchsvolles Projekt, das besonders in Teil 2 auch als Suspense-Thriller funktioniert. Breloer gelang ein Stück televisionärer Geschichtsschreibung, für das die sechswöchige Nachrichtensperre die größte Herausforderung war. Das Ergebnis: Facetten einer bisher unerzählten Geschichte. Aber auch filmisch überzeugt Breloers spannende Fleißarbeit. Die Schauspieler sind bestens gecastet, Hans Brenner als Schleyer ist das Gesicht des Films; der, der einen ebenso emotional in seinen Bann zieht, ist eine reale Person: Helmut Schmidt.

Der deutsche Herbst ’77 – das waren die Geiselnahme und spätere Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, die Entführung des Passagierflugzeugs „Landshut“, Mogadischu und der Selbstmord des RAF-Führungskaders im Hochsicherheitstrakt von Stammheim. Fast 20 Jahre danach nimmt sich nun Grimme-Preisträger Heinrich Breloer („Wehner“) dieser dramatischen 45 Tage an, die die Nation bewegten und die deutsche Nachkriegsdemokratie auf den Prüfstand stellten.

Ausschnitt aus einem Text zu den Dreharbeiten:
Mit dem Film beschreibt Breloer die Geschichte des Terrorismus, und er fügt der „Geschichte der Linken und deren Desillusionierung“ ein weiteres Kapitel hinzu. „Die Gläubigkeit der 68er-Generation, dass man die Geschichte verändern könne, der Größenwahn meiner Generation ist eines der zentralen Themen“, so Breloer.  Ein anderes: die Geschichte der Medien in diesem geschichtsträchtigen Herbst. Eine sechswöchige Nachrichtensperre war nicht nur ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, sie erschwerte natürlich auch die Arbeit des Filmemachers. Bausteinchen um Bausteinchen, Zitat um Zitat musste er sich bei Zeitzeugen zusammensuchen. Mit dem Resultat: „Ich kann Facetten einer bisher unerzählten Geschichte rekonstruieren. Ich kann die Fernsehbilder von damals jetzt vervollständigen.“ Die „Kein-Kommentar“-Statements übernächtigter Krisenstäbler kann er nun ergänzen mit Spielszenen aus den Sitzungen jener informellen Großen Koalititon, die souverän von Kanzler Helmut Schmidt angeführt wurde. Breloers Ziel: ein möglichst objektives Bild der Zeit geben.  tit.

TodesspielFoto: WDR / Sibylle Annek
Stuttgart-Stammheim, Hochsicherheitstrakt. 13.9.1977. Andreas Baader (Sebastian Koch). Die RAF-Mitglieder fordern, in ein Land ihrer Wahl ausgeflogen zu werden.

Erst heute könne man mit größerer Unbefangenheit auf das Geschehen blicken, „genauer und detaillierter die historischen Abläufe von damals beleuchten“, so Breloer. Der Filmemacher, der auch für „Todesspiel“, sein bisher aufwendigstes Projekt (2 Jahre Arbeit, 7 Mio. Mark), auf den bewährten Mix aus Doku-Material und Spielszenen setzt, holte für den Zweiteiler Helmut Schmidt, den BKA-Präsidenten Horst Herold und die Schleyer-Witwe vor die Kamera. Rund 50 Zeitzeugen hat er gesprochen, über 100 Stunden Interviews mitgeschnitten. Für die gespielten Szenen wurden Kanzleramt wie Stammheim „millimetergenau nachgebaut“.

Der erste Teil, „Volksgefängnis“, zeigt die brutale Entführung Schleyers und die bisher aufwendigste Fahndung in der bundesdeutschen Geschichte. Über 100 höhere Beamte waren auf den Fall angesetzt, an die 1000 Polizisten wurden zusammengezogen. BKA-Präsident Herold spielte den Psychologen und Helmut Schmidt den Krisenmanager, für den die Freilassung führender Terroristen gegen das Leben Schleyers von vornherein nie in Frage kam. Das wäre die Einladung für weitere Entführungen, die Bankrotterklärung der junge Demokratie gewesen. Breloer wollte „die Geschichte über die Gesichter der Gegenwart erzählen“. Denn erstmals nach 20 Jahren brachen etliche Politiker und Terroristen ihr Schweigen. Für den mehrfachen Grimme-Preisträger, bekannt für seine Mischung aus Spielszenen und Doku-Material, war das die Voraussetzung für „Todesspiel“. Der erste Teil ist journalistisch angelegt, der zweite Teil, „Entführt die Landshut“ orientiert sich stärker am Genre des Flugzeug-Thrillers, ist emotionaler, nervenaufreibender. Breloer: „Da bin ich ganz bewusst näher an den Opfern dran. Sie hatte ich im Gegensatz zu Schleyer als Zeitzeugen.“ Für einige, wie die couragierte Stewardess Gaby Dillmann, bekam der Film eine geradezu therapeutische Funktion. „Das Nachspielen nahm der Situation eines von ihrer Bedrohung.“

TodesspielFoto: WDR / Sibylle Annek
Richtung Mogadischu. Kapitän Mahmud, so nannte sich der palästinensische Luftpirat Zohair Akache (Birol Ünel) während der Entführung der Landshut. Das Entführerkommando hat sich für die Hitze in den arabischen Emiraten umgezogen. Die T-Shirts mit dem Che-Signet hatte das Kommando in Mallorca eingekauft.

Kritik: „Todesspiel“ (15.6.1997)
Dass im deutschen Herbst ’77 das Leben von Hanns-Martin Schleyer der Staatsräson geopfert wurde – das will Helmut Schmidt nicht gelten lassen. Oberstes Ziel sei damals gewesen: die Handlungsfähigkeit des Staates nicht zu gefährden, den Terroristen kein Frei-Abo für weitere Geiselnahmen auszustellen. In „Todesspiel“ hat sich der fünffache Grimme-Preisträger an einen deutschen Mythos gewagt – und sich ihm analytisch kühl, dann emotional-dramatisch genähert. Die Wirklichkeit, das sind nicht nur harte objektive Fakten, Denkmuster und politische Strukturen, zu ihr gehören auch die Menschen in ihrer ganzen Subjektivität – das ist Breloer ’97, einer, der sieht, was ein Stoff intellektuell braucht, der aber auch weiß, was er dem Zuschauer(geschmack) schuldig ist. So wurde „Todesspiel“ ein brillantes Wechselspiel zwischen Journalismus und Spiel(szenen), zwischen Kopf und Bauch. Der Film über Ohnmacht und politisches Taktieren, zugleich eine positive Neuinterpretation des Pragmatikers Helmut Schmidt, dokumentiert mit den vielfältigsten Mitteln des Fernsehens eine Zeit der totalen Nachrichtensperre, eine Krise der Demokratie. Breloer hilft dem Einzelnen, sich zu erinnern an eine politisch überhitzte Zeit, und er gibt den Deutschen ein Stück Demokratie zurück. Breloer will der historischen Wahrheit auf die Spur kommen. Er rekonstruiert das Geschehen und lässt es aus heutiger Sicht kommentieren, von Ex-Terroristen ebenso wie vom Ex-Kanzler. So lassen sich vorm Fernseher Erfahrungen machen: sinnliche Erkenntnis. Einzigartig.

Großartig auch sind die Leistungen der Schauspieler. Noch für die kleinsten der 105 Rollen konnte Breloer namhafte Mimen wie Hans Brenner als Schleyer, Sebastian Koch als Baader, Claudia Michelsen oder Karoline Eichhorn gewinnen. Nur Manfred Zapatka bleibt ungewohnt blass gegen sein „Vor-Bild“ Helmut Schmidt. Breloer weiß das: „Der musste gegen den echten Kanzler regelrecht anspielen. Denn der ist auch ein großer Mime.“ (Text-Stand: 15.6.1997)

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Serie & Mehrteiler

NDR, WDR

Mit Hans Brenner, Sebastian Koch, Manfred Zapatka, Gerd Preusche, Dieter Mann, Ulrich Matthes, Susanne Schäfer, Anya Hoffmann, Claudia Michelsen, Karoline Eichhorn

Kamera: Hans-Günther Bücking

Schnitt: Monika Bednarz-Rauschenbach

Musik: Hans Peter Ströer

Produktionsfirma: Cinecentrum Hamburg

Drehbuch: Heinrich Breloer

Regie: Heinrich Breloer

EA: 15.06.1997 20:15 Uhr | Arte

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