Todesfrist – Nemez und Sneijder ermitteln

Preuß, Thiry, Verena Kurth, Christopher Schier. "Klipp und klapp ... die Daumen ab"

Foto: Sat 1 / Petro Domenigg
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Auftakt zur neuen Sat-1-Reihe „Nemez und Sneijder ermitteln“ erzählt eine einerseits typische, andererseits ziemlich originelle Serienkiller-Story: Ein Mörder tötet nach dem Vorbild der „Struwwelpeter“-Geschichten. „Todesfrist“ (Constantin, epo) basiert auf dem gleichnamigen Krimi von Andreas Gruber und bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus dem ungleichen Titelduo: Der Holländer Raymond Thiry fügt dem Rollenschema „notorisch schlechtgelaunter Ermittler“ eine neue Dimension hinzu und bildet mit der fröhlichen Josefine Preuß ein reizvolles Gespann. Dritter Einschaltgrund neben Handlung und Hauptdarstellern: ist die herausragende optische Qualität: Die Bildgestaltung hat nahezu Kinoniveau.

Abgesehen von der Leiche funktionieren TV-Krimis wie eine Quizshow: Es werden viele Fragen gestellt; das könnte erklären, warum beide Genres gleichermaßen beliebt sind. Filme über Serienmörder sind womöglich weniger populär, weil das Spannungspotenzial ungleich größer ist; erst recht, wenn der Killer kein Triebtäter ist, sondern systematisch vorgeht. Anders als beim Reihenkrimi gibt es in solchen Fällen einen doppelten Thrill: Die Ermittler müssen erst mal das Muster entschlüsseln, um dem Mörder auf die Spur zu kommen; und am Ende wandeln sich die Filme zu einem Wettlauf gegen die Zeit, weil es gilt, das letzte Opfer zu retten. Das Motiv der Täter ist dagegen in der Regel eher unoriginell; meist handelt es sich um Psychopathen, denen die Mutter einst übel mitgespielt hat. Deutlich mehr Ehrgeiz entwickeln die Autoren bei der Suche nach einer möglichst originellen Handschrift des Mörders.

Todesfrist – Nemez und Sneijder ermittelnFoto: Sat 1 / Petro Domenigg
„Kultiges Ermittlerteam, brutale Schockmomente“, so TV-Spielfilm über den Sat-1-Thriller.

Der österreichische Schriftsteller Andreas Gruber hat sich für den 2013 erschienenen Auftakt seiner Sabine-Nemez-&-Maarten-S.-Sneijder-Reihe, „Todesfrist“), einen perfiden roten Faden ausgedacht: Sein Täter mordet nach der Vorlage der „Struwwelpeter“-Geschichten. Das kann die junge Münchener KDD-Kommissarin Sabine Nemez (Josefine Preuß) natürlich noch nicht wissen, als in einer Kirche die Leiche einer ehemaligen Lehrerin gefunden wird; der Frau ist solange Tinte eingeflößt worden, bis sie daran ertrunken ist („Die Geschichte von den schwarzen Buben“). Zur scheinbar gleichen Zeit erhält die Wiener Psychologin Helene Berger (Mavie Hörbiger) grausige Post und einen Anruf: In dem Päckchen befindet sich ein Daumen („Die Geschichte vom Daumenlutscher“). Wenn sie innerhalb von 48 Stunden herausfindet, wem er gehört und warum das Opfer entführt worden ist, bleibt es am Leben. Weitere Finger verliert es trotzdem; der Film ist ohnehin nichts für schwache Nerven.

Schon die ersten Szenen von „Todesfrist“ verdeutlichen, dass den Verantwortlichen kein herkömmlicher Fernshkrimi vorschwebte. Thomas Kürzls aufwändige Bildgestaltung ist exquisit und wäre vermutlich auch auf einer Kinoleinwand ziemlich eindrucksvoll. Schon allein die Lichtsetzung ist eine Kunst für sich. Natürlich ist auch die Geschichte ungewöhnlich. Die originelle Story ist zwar ebenso wie die Gestaltung der beiden Titelfiguren das Verdienst von Vorlagengeber Gruber, aber die Drehbuchautorin Verena Kurth („Schnell ermittelt“, „Der Zürich-Krimi“) hat nicht zuletzt wegen der mitunter recht bissigen Dialoge zwischen dem Titelduo ebenfalls ihren Anteil an der Gesamtqualität des Films.

Todesfrist – Nemez und Sneijder ermittelnFoto: Sat 1 / Petro Domenigg
Makaber. Blutig-brutale Morde nach „Struwwelpeter“-Motiven. Cooler Kopf: Raymond Thiry

Die personelle Konstellation folgt der spätestens seit „Das Schweigen der Lämmer“ auch im Krimi gern verwendeten  Kombination „Die Schöne und das Biest“: Der aus Holland stammende BKA-Profiler Maarten S. Sneijder ist zwar ein brillanter Analytiker, aber auch ein alter Kotzbrocken, wie Nemez recht bald zu spüren bekommt. Der Niederländer Raymond Thiry verkörpert den Spezialisten nach allen Regeln der Misanthropie und verzieht praktisch nie eine Miene. Gespräche reduziert Sneijder, der seine chronischen Kopfschmerzen mit Joints bekämpft, auf knappen Informationsaustausch. Wenn jemand in seiner Gegenwart versucht, komisch zu sein, reagiert er regelmäßig allergisch. Das klingt zwar nach der üblichen Schablone schlechtgelaunter Kommissare, aber Thiry gewinnt dem Schema dank seines düsteren Charismas eine neue Dimension ab. Kein Wunder, dass er auch ein ausgezeichneter Schurkendarsteller ist, wie er in dem zweiteiligen „Amsterdam-Krimi“ (2018, Degeto) gezeigt hat. Trotzdem gelingt ihm das Kunststück, zunehmend Sympathien für Sneijder zu wecken.

Natürlich liegt ein weiterer Reiz des Films in der Konfrontation mit der gern als Frohnatur besetzten Josefine Preuß (für Sat 1: „Dein Leben gehört mir“). Deshalb ist die Qualität von „Todesfrist“ das Ergebnis gleich mehrer Spannungsebenen: Als Nemez & Sneijder rausfinden, dass es bereits frühere Opfer gegeben hat, die ebenfalls nach „Struwwelpeter“-Manier ermordet worden sind, forscht das ungleiche Duo nach Verbindungen. Im Zentrum der Verknüpfungen muss der Täter stehen, offenbar ein großer Freund von schwarzer Pädagogik, denn er will nicht nur die Opfer bestrafen, sondern auch die Menschen, die er mit seinen kaum lösbaren Rätseln konfrontiert. Parallel zu den Ermittlungen sucht die Wiener Psychologin fieberhaft nach Antworten, um das Leben einer vermeintlich fremden Frau zu retten, mit der sie jedoch mehr gemeinsam hat, als sie ahnt. Und schließlich will Nemez ihre Sache besonders gut machen, denn sie möchte unbedingt zum BKA. Außerdem ist sie indirekt persönlich betroffen: Die tote Lehrerin war mehr als nur eine gute Freundin ihrer Mutter.

Todesfrist – Nemez und Sneijder ermittelnFoto: Sat 1 / Petro Domenigg
„Todesfrist – Nemez und Sneijder ermitteln“. Bekommt einen Wink mit dem Daumen: die Psychologin (Mavie Hörbiger).

Die Geschichte ist klasse, aber zu einem überdurchschnittlich guten TV-Krimi wird der Thriller erst durch die Inszenierung. Der österreichische Regisseur Christopher Schier hat zwar zuletzt mit der etwas mutlos wirkenden Krimiserie „Dead End“ (2019, ZDF Neo) nicht den Erwartungen entsprochen, zuvor aber zwei ausgesprochen sehenswerte „Tatort“-Episoden aus Wien gedreht („Wehrlos“ und „Die Faust“, 2017/18). Gemeinsam mit Kameramann Kürzl setzt Schier immer wieder optische Akzente. Bei Snejders ersten Auftritten zum Beispiel lässt die Kameraführung keinen Zweifel daran, dass dieser Mann ein Genie ist. Mitunter sind es nur nebensächliche Kleinigkeiten, die die Liebe zum Detail verraten (eine Reflektion im Türknauf), aber in anderen Einstellungen wirken beispielsweise die Farben bestimmter Requisiten höchst intensiv; vor allem zum Schluss, als ein roter Regenschirm („Die Geschichte vom fliegenden Robert“) zum letzten wichtigen Accessoire des Mörders wird. Gruber hat vier weitere Krimis mit Nemez und Sneijder geschrieben; eine zweite Adaption, „Todesurteil“, ist bereits in Auftrag gegeben. (Text-Stand: 24.9.2019)

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Reihe

Sat 1

Mit Josefine Preuß, Raymond Thiry, Mavie Hörbiger, Nils Hohenhövel, Stefan Pohl, Heinz Arthur Boltuch, Michael Rast, Dagny Dewath

Kamera: Thomas Kürzl

Szenenbild: Conrad Reinhardt

Kostüm: Amanda Frühwald

Schnitt: Nils Landmark

Musik: Markus Kienzl

Soundtrack: Richard Elliott (Johann Sebastian Bach: „Passacaglia und Fuge in C-Moll“, BWV 582

Redaktion: Wolfgang Oppenrieder, Thomas Kren

Produktionsfirma: Constantin Television, epo-Film

Produktion: Friedrich Wildfeuer, Karsten Rühle, Jakob Pochlatko, Dieter Pochlatko

Drehbuch: Verena Kurth – Romanvorlage: Andreas Gruber

Regie: Christopher Schier

Quote: 1,66 Mio. Zuschauer (7,4% MA)

EA: 07.10.2019 20:15 Uhr | Sat 1

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