Todesengel

Lohmeyer, Japp, Ratte-Polle, Klink, Osburg, Ziemnicki. Weniger Thrill, weniger Style

Foto: Degeto / Georges Pauly
Foto Tilmann P. Gangloff

Schon die letzte Craig-Russel-Verfilmung, „Carneval“, hatte längst nicht mehr die Qualität der ersten Adaptionen. Mit „Todesengel“ (Degeto / Tivoli) wird ein Trend daraus: Die Geschichte hat enormes Thrillerpotenzial, das von Regisseur und Koautor Jakob Ziemnicki aber allenfalls in Ansätzen genutzt wird. Dabei fasziniert die Story durch einige verblüffende Offenbarungen, die nicht zuletzt die Identität der Titelfigur betreffen: Hamburg erlebt anscheinend das Comeback einer Serienmörderin, die vor zehn Jahren einen grausamen Rachefeldzug gegen Männer geführt hat; die Fälle konnten nie aufgeklärt werden. Nun gibt es Morde mit der gleichen „Signatur“; die Spur führt zurück in die DDR der Achtziger. Die entsprechenden Rückblenden ufern allerdings irgendwann aus und bergen nur bedingten Erkenntnisgewinn, zumal es kaum Ähnlichkeiten zwischen den Darstellern der beiden Zeitebenen gibt.

Eine Szene wie ein Western-Duell: Ein Mann und eine Frau richten ihre Pistolen aufeinander. Er fragt: „Was war das damals mit uns?“ Sie: „Du weißt, was das war.“ Er: „Ich kann dich nicht gehen lassen!“ Dann fällt ein Schuss, und der Titel erscheint: „Todesengel“. Der Film beginnt mit dem Finale, und es dauert tatsächlich knapp 90 Minuten, bis er verrät, wie der Showdown ausgeht; und dass noch eine weitere Person beteiligt war. Beste Voraussetzungen also für einen packenden Thriller, denn bei dem Mann handelt es sich um Jan Fabel, die Hauptfigur der Craig-Russell-Verfilmungen, und bei der Frau um Sylvie, seine frühere Freundin. Natürlich bezieht die Handlung einen großen Teil ihrer zumindest potenziellen Spannung aus der Frage, warum sich das einstige Liebespaar gegenseitig umbringen will; und dies erzählt die fünfte Adaption aus der Fabel-Reihe in einer ausführlichen Rückblende.

Sie beginnt mit dem Fund einer grausam entstellten männlichen Leiche. Dem Hamburger Hauptkommissar (Peter Lohmeyer) genügt ein Blick, um die Handschrift zu erkennen: „Der Engel ist zurück.“ Vor zehn Jahren hat der „Todesengel“ St. Pauli in Angst und Schrecken versetzt, die Mordserie ist nie aufgeklärt worden; Sylvie (Stephanie Japp) hat damals ein Sachbuch über die Fälle geschrieben. Die Leichen waren ausnahmslos männlich und wurden von der mutmaßlich weiblichen Täterin bestraft, weil sie sich zu Lebzeiten als Vergewaltiger, Zuhälter oder prügelnde Ehemänner an Frauen vergangen hatten. Das aktuelle Opfer, ein Journalist, passt ins Muster, ihm stand ein Prozess wegen Vergewaltigung bevor, aber ein weiterer Toter mit gleicher „Signatur“ hat sich augenscheinlich nichts zu Schulden kommen lassen; der Mann arbeitete für ein Recyclingunternehmen mit hehren Ansätzen, und Fabel steht vor einem Rätsel.

Die Story fasziniert durch einige verblüffende Offenbarungen, die nicht zuletzt die Identität der Titelfigur betreffen. Interessant sind anfangs auch die Rückblenden innerhalb der Rückblende, denn während sich Fabel fragt, warum der „Engel“ seinen Rachefeldzug nach zehn Jahren Pause fortsetzt, bearbeitet Polizeipsychologin und Lebensgefährtin Susanne (Proschat Madani ersetzt Marie Lou Sellem) einen scheinbar ganz anderen Fall. Eine mehrfache Mörderin ist aus der Psychiatrie geflohen. Sie kann zwar nicht der „Todesengel“ sein, weil sie zum Zeitpunkt der damaligen wie auch der aktuellen Morde eingesperrt war, hätte aber das Zeug dazu, wie die Bilder aus ihrer Jugend zeigen: Margarethe Paulus (Anne Ratte-Polle) ist Mitte der Achtziger in einem Stasi-Lager zur Killerin ausgebildet worden. Ihre clever eingefädelte Flucht ist ungemein effektvoll inszeniert und der optische Höhepunkt des Films: Plötzlich wird ein Wandgemälde lebendig.

TodesengelFoto: Degeto / Georges Pauly
Jan Fabel (Peter Lohmeyer) und Anna Wolff (Ina Paule Klink) jagen den Engel von St. Pauli in dem Degeto-Thriller „Todesengel“.

Die Rückblenden ufern allerdings irgendwann aus, ohne zunächst für weiteren Erkenntnisgewinn zu sorgen. Die entscheidenden Figuren tauchen zwar nach und nach alle in der Gegenwart auf, aber da es nicht mal flüchtige Ähnlichkeiten zwischen den Darstellerinnen und Darstellern der beiden Zeitebenen gibt, lassen sie sich einander kaum zuordnen. Einzige Ausnahme ist dank seines Schnurrbarts der Ausbilder, „Onkel Georg“ (Joachim Nimtz). Was er und sein damaliger Vorgesetzter, Oberst Adebach (Manfred Zapatka), mit den Morden des „Todesengels“ zu tun haben, gehört zu den offenen Fragen, denen der Film seinen Reiz verdankt. Umso bedauerlicher, dass Jakob Ziemnicki (Regie und Buch, Koautor: Nils-Morten Osburg) das große Potenzial der Geschichte nicht nutzt. Für einen Thriller ist der Film bei weitem nicht fesselnd genug, selbst wenn es zwischendurch zu einer Verfolgungsjagd mit Schießerei kommt, bei der Fabel erneut eine Mitarbeiterin verliert. Weil er sich zuvor über eine ausdrückliche Anweisung seines Chefs hinweggesetzt hat, trägt er eine erhebliche Mitschuld am Tod der Kollegin, was ihn seltsamerweise nicht weiter zu bekümmern scheint.

Ziemnicki hat nach seinem Kinodebüt „Polnische Ostern“ (2011) zwei „Polizeiruf“-Episoden für den RBB gedreht. „Grenzgänger“ (2015, ebenfalls mit Zapatka) war der erste Film nach der Versetzung von Olga Lenski (Maria Simon) an die deutsch-polnische Grenze, verlor sich aber nach flottem Auftakt zwischen den verschiedenen Handlungsebenen; „Das Beste für mein Kind“ (2017) handelte von einem entführten Säugling und seinen diversen Erzeugern, war mehr Drama als Krimi. Der gebürtige Pole würde einem bei der Suche nach einem Thriller-Spezialisten also nicht unbedingt als erstes in den Sinn gekommen, zumal gerade die frühen Fabel-Filme hohe Maßstäbe gesetzt haben: „Wolfsfährte“ (2010) und „Blutadler“ (2012) waren exquisit fotografierte und ausgesprochen düstere Großstadtkrimis, die von renommierten Regisseuren wie Urs Egger und Nils Willbrandt haarscharf am Rande des Jugendschutzes inszeniert worden sind. Mit „Brandmal“ (2015) konnte Nicolai Rohde atmosphärisch und stilistisch an die Arbeiten der Kollegen anknüpfen, mit „Carneval – Der Clown bringt den Tod“ (2018) allerdings nicht mehr. Ziemnicki hat aus dieser Tendenz nun mit „Todesengel“ einen Abwärtstrend gemacht, der nicht zuletzt auch mit der Dezimierung des Ensembles zusammenhängt. Zwischenzeitlich war Fabel Kopf eines ausgezeichnet besetzten Teams, aber von den früheren Mitwirkenden (u.a. Hinnerk Schönemann, Lisa Maria Potthoff) ist niemand mehr übrig. So richtig überzeugt war man wohl auch bei der ARD und ihrer Tochter Degeto nicht (siehe Info-Kasten oben), denn anders als die bisherigen Russell-Adaptionen zeigt das „Erste“ den Film sonntags um 21.45 Uhr. (Text-Stand: 18.11.2019)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Peter Lohmeyer, Stephanie Japp, Anne Ratte-Polle, Ina Paule Klink, Proschat Madani, Julia Richter, Manfred Zapatka, Joachim Nimtz, Hans Löw

Kamera: Jakob Beurle

Szenenbild: Zazie Knepper

Kostüm: Gurli Thermann

Schnitt: Kilian von Keyserlingk

Musik: Dirk Dresselhaus

Redaktion: Christoph Pellander, Claudia Grässel

Produktionsfirma: Tivoli Film

Produktion: Thomas Hroch , Gerald Podgornig

Drehbuch: Nils-Morten Osburg, Jakob Ziemnicki – Vorlage: Craig Russell („Walküre“)

Regie: Jakob Ziemnicki

Quote: 3,56 Mio. Zuschauer (14% MA)

EA: 15.12.2019 21:45 Uhr | ARD

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