„Konntest du keine anderen Freunde finden?“ Eine Antwort bekommt Theresa Wolff (Nina Gummich) nicht. Finn Behrendt (Philip Günsch) liegt auf ihrem Sektionstisch. Kurz zuvor noch schwebte die Rechtsmedizinerin vermeintlich selbst in Lebensgefahr. Die Polizistin Janine Behrend (Angelina Häntsch), die Mutter des Opfers, bedrohte mit ihrer Dienstwaffe einen Mann, dem sie die Schuld am Tod ihres Sohnes gibt. Wolff ging dazwischen und versuchte, die aufgebrachte Frau zu beruhigen, die nach wie vor ihre Pistole auf sie richtete. Mit Hilfe von Kommissar Lewandowski (Aurel Manthei) konnte Behrend zur Vernunft gebracht werden. Bei dem bedrohten Mann handelt es sich um Eric Bolter (Henning Flüsloh), dem älteren Freund des Toten. Es ist seine Polizeiakte mit einer steilen Drogenkarriere, die ihn nicht nur für Janine Berend verdächtig macht. Jetzt sei er offenbar clean, dafür leidet er drogenbedingt unter einer Psychose. Geht die Polizei anfangs davon aus, dass Finn ein weiteres Opfer der Todesdroge Moonshadow ist, bestätigen die Laboruntersuchungen, dass Finn kaltblütig ermordet wurde. Widersprüchliche Aussagen, Kratzspuren, die Bilder der Überwachungskamera aus der Mordnacht, alles spricht gegen Bolter. Wolff mag es nicht glauben. Warum sollte er den Jungen töten, den er als seinen „Bruder“ bezeichnet? „Für Eric warst du sein bester Freund. Aber was war er für dich?“ Auch auf diese Frage erhält Theresa Wolff keine Antwort.
Foto: ZDF / Adrian Gross
„Nebel“ ist die siebte und letzte Episode aus der etwas anderen ZDF-Krimi-Reihe „Theresa Wolff“: eine Rechtsmedizinerin als Titelfigur, noch dazu eine, der die Toten näher sind als die meisten Menschen. Mit ihnen, allen voran Kommissar Lewandowski und seinem Kollegen Ceyan Topal (Sahin Eryilmaz), kommuniziert sie nur das Wesentlichste; immer wenn sie es mal wieder besser weiß, meldet sie sich zu Wort, findet aber nur selten Gehör. Daraus resultieren Spannungen und Alleingänge. Die Konstellation hatte anfangs großes Potenzial, insbesondere auch durch den abservierten Kollegen aus der Rechtsmedizin, verkörpert von Peter Schneider. Danach pendelten die Filme zwischen originellem Ritual und Reihenkrimi-Routine. Diesmal sieht es einige Zeit mehr nach business as usual aus. Da ist ein Verdächtiger, der möglicherweise mit seiner Drogenvergangenheit einen schlechten Einfluss auf den Toten hatte, der aber eigentlich nicht der Mörder sein kann. Das sagt jedem ZDF-Reihen-Fan sein Ü-60-Krimiverstand. Seltsamerweise aber drängt sich wenig Personal auf, dem man ernsthafte Mordabsichten zutrauen könnte. Also muss gegen Ende jemand mehr oder weniger aus dem Hut gezaubert und um diese Person(en) herum ein kriminelles Szenario aufgedeckt werden, das eine neue Perspektive auf die Handlung wirft. Es ist nicht Wolff, die diese neue Fährte aufspürt, sondern einer ihrer Doktoranden (Anton Guiseppe Arnold). Die Makro-Dramaturgie dieses Krimis ist also offensichtlich. Und auch im Detail finden sich die üblichen Verhaltensmuster: Wolffs Zweifel, die Zurechtweisung der Kolleg:innen bei der Polizei („meine Ermittlungsarbeit!“), Topals etwas grobschlächtige, übermotivierte Befragung, die den mental beeinträchtigten Eric Bolter ausrasten lässt.
In der zweiten Hälfte von „Nebel“ hat es mit dem Krimi-Ermittlungsgeplänkel ein Ende. Das Mitleid mit dem Verdächtigen wächst nicht nur bei der Titelheldin. Lewandowski gibt sich einsichtig und macht mit Bolter einen Vorort-Termin rund um den Tatort, treibt den labilen Mann dabei allerdings auch ein Stück weit in die Enge – und auch Wolff begibt sich zum Tatort und lässt die Ereignisse der Todesnacht an ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Im Schlussdrittel wird es dann richtig spannend. Sowohl Lewandowski als auch die Rechtsmedizinerin müssen sich grobe Fehler eingestehen. Dramaturgisch mag das allenfalls clever sein, inhaltlich aber ist es etwas, was in dieser Form in Krimis nur selten vorkommt. Falsche Intuition, selektive Wahrnehmung, eine emotional überzogene Befragung etc., das kann passieren in einem Ermittlerkrimi. Aber dass die beiden Hauptfiguren fundamental etwas falsch gemacht haben, ist schon eine Besonderheit. Sollte dies die Ursache dafür sein, dass es keine Zukunft im Amt für Wolff und Lewandowski geben wird? Liefert einem also auch die Geschichte eine Begründung für den Wechsel von „Theresa Wolff“ zum Spin-off „Der Thüringen-Krimi“ (in dem Emily Cox und Golo Euler deren Nachfolge antreten)? Doch der Rechtsmedizinerin steht bald noch Schlimmeres bevor. Noch mehrfach kommt die tödliche Droge spannungssteigernd ins Spiel. Und die Erklärung der tödlichen Umstände, ein Schlüsselmoment jedes Krimis, wird in „Nebel“ packend variiert.
Foto: ZDF / Adrian Gross
Und so fällt der Abschied von „Theresa Wolff“ am Ende doch schwerer als zwischenzeitlich gedacht. Vor allem wird man Nina Gummich vermissen – und Wolffs spröde Art, mit ihrer Umwelt umzugehen. Das wirkte mitunter leicht autistisch, aber immer auch authentisch, also nicht wie eine bloße Drehbuch-Erfindung. Die Zwiesprache mit ihren Leichen war zwar bald nichts Besonderes mehr. Wenn sie aber wie in „Nebel“ hüstelt, sich dafür beim Toten entschuldigt und den Sektionssaal verlässt, dann hat das schon was. Hinzu kommen die sehr speziellen Sätze, die Hansjörg Thurn und Carl-Christian Demke diesmal Gummich ins Textbuch geschrieben haben. Gleich zu Beginn, während die Waffe auf sie gerichtet ist, redet sich Wolff beinahe um Kopf und Kragen. Erst versucht sie es mit Vernunft. „Ihren Sohn bekommen Sie nicht zurück und für den Mord kriegen Sie lebenslänglich.“ Danach rät sie sichtlich konfus: „Ich würde vorschlagen, Sie erschießen sich selbst – am besten mit einem aufgesetzten Kopfschuss. Das wär‘ was für meine Studenten; das haben die noch nie gesehen.“ Später entschuldigt sich die Polizistin bei ihr. Doch Wolff winkt ab: „Der Tod ist für mich keine Bedrohung.“ Der Tod ist ihr Freund.

