Tatort – Treibjagd

Möhring, Weisz, Lust, Pose, Hessler/Oeller, Radsi. Vor allem ein spannender Krimi

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Thomas Gehringer

Wutbürger contra Polizei und Rechtsstaat: Die NDR-Folge „Treibjagd“ (Wüste Media) spielt in der aufgeheizten Atmosphäre einer Siedlung, die von einer Einbruchsserie heimgesucht wird. Die Nachbarschaft stachelt sich auf einem Forum im Netz gegenseitig an, bis einer von ihnen schließlich zum Mörder wird. Trotz der nicht ganz glaubwürdig erzählten Geschichte und der überdeutlichen Bezüge zur Realität ist dieser Film ein packender, temporeicher und dramatischer Krimi. Bürger und Polizei liefern sich ein Wettrennen, wer die einzige Zeugin zuerst in die Hände bekommt. Im Schatten von Möhrings impulsiven Falke steht Franziska Weisz als Kollegin Grosz, dafür ist ihr der entscheidende Durchbruch vorbehalten.

Die Bundespolizei hilft im Kampf gegen eine Einbruchsserie in einem Hamburger Vorort, Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) hält die eingerichtete Sonderkommission allerdings selbst für eine „PR-Maßnahme“. Die Stimmung ist angespannt, in der betroffenen Siedlung hat sich ein „Forum Nachbarschaftshilfe“ gegründet, das im Netz die vermeintliche Tatenlosigkeit der Polizei anprangert. Falke und Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) haben gerade wieder einen Verdächtigen mangels Beweisen laufen lassen müssen, als die Lage eskaliert. Dieter Kranzbühler (Jörg Pose) erschießt einen Einbrecher in seinem Haus, angeblich in Notwehr. Es ist Kolya Daskalow (Tilman Pörzgen), der noch am selben Tag von Falke und Grosz verhört worden war. Der zweite maskierte Einbrecher ist auf der Flucht. Noch am Tatort stellt die Polizei Ungereimtheiten fest: Eine zweite Patronenhülse deutet darauf hin, dass Kranzbühler auch ein zweites Mal geschossen hat. Auf der Straße stellt Falke den Schützen zur Rede, empörte Nachbarn schießen ein Foto und stellen es umgehend mit einem entsprechenden Kommentar ins Netz. „So schnell?“, wundert sich Falke, als erfahre er gerade das erste Mal, wie soziale Netzwerke funktionieren, was ein bisschen altbacken wirkt.

Tatort – TreibjagdFoto: NDR / Christine Schroeder
Der emotionalisierte Falke (Wotan Wilke Möhring) verhält sich ungeschickt gegenüber den aufgebrachten Bürgern und treibt die Ermittlungen voran. Kollegin Grosz (Franziska Weisz) hat nicht viel mehr zu tun, als ihren Kollegen zu beschwichtigen.

Das Gefühl der Verunsicherung nach einem Einbruch nur schwach angedeutet
Der Filmtitel „Treibjagd“ hat hier eine mehrfache Bedeutung. Zuerst einmal treiben die Wutbürger die Polizei im Netz vor sich her, und der leicht reizbare Falke, den die vielen negativen Posts auf der Forum-Seite nicht jucken, liefert ihnen das Material. Grosz ist da sensibler („Das fliegt uns wieder um die Ohren“), dringt bei ihrem Kollegen aber lange Zeit nicht durch. Die Zuschauer sind den Kommissaren in dieser „Tatort“-Folge meist einen Schritt voraus, was der Spannung allerdings keinen Abbruch tut. Dieter Kranzbühler gesteht seinem Bruder Bernd (Andreas Lust), den Einbrecher vorsätzlich „abgeknallt“ zu haben: „Das war die Gelegenheit, auf die wir in der Siedlung immer gewartet haben.“ Dabei wirkt Dieter alles andere als schießwütig und wird von Jörg Pose auch still und eher nachdenklich gespielt. Gut so, dass da kein Wutbürger-Klischee inszeniert wird, aber der Film hat schon eine beträchtliche Fallhöhe: Kleinbürger stacheln sich gegenseitig an, bis einer schließlich zum Mörder wird? Damit greift der Film reale Zustände auf und spitzt sie fiktional zu. Aber so richtig glaubhaft erscheint das nicht. Zumal das nachvollziehbare Gefühl der Verunsicherung, das durch das Eindringen von Fremden in die eigene Wohnung ausgelöst wird, nur schwach angedeutet wird – mit Bildern von durchwühlten Schränken und der Äußerung eines Anwohners, der behauptet, er und seine Familie würden bereits überlegen, weg zu ziehen.

„Eine Zustandsbeschreibung unserer politischen Kultur“
Dass Dieter nicht in Notwehr gehandelt haben kann, findet Falke jedenfalls schnell heraus. Der tote Einbrecher hatte die Spielzeugpistole, von der sich Dieter angeblich bedroht fühlte, in der rechten Hand. Kolya hatte sein Verhörprotokoll allerdings mit links unterschrieben. Als die Kommissare Dieter zur Rede stellen und Falke ihn hart unter Druck setzt, erleidet der eine Herzattacke. Das Einbruchsopfer auf der Trage der Sanitäter – das gibt wieder ein schönes Foto fürs Forum, und die Polizei hat den nächsten Shitstorm am Hals. Zahlreiche aggressive, beleidigende Nachrichten ploppen auf, und wahrhaft bedrohlich wird es später, wenn im Forum die Privatadressen der Ermittler veröffentlicht werden. Für die Drehbuch-Autoren Benjamin Hessler und Florian Oeller „ist die Geschichte auch eine Zustandsbeschreibung unserer politischen Kultur. Alle scheinen ihrer Wut und ihrem Hass hinterherzulaufen“. Das mag wohl sein, am Ende aber ist „Treibjagd“ einfach nur ein spannender Krimi, was hier eindeutig als Kompliment gemeint sein soll. Der Film verschwendet keine Zeit auf Milieu-Schilderungen, weder in der kleinbürgerlichen Siedlung noch auf Seiten des Einbrecher-„Clans“, von dem zwar die Rede ist, der aber unsichtbar bleibt.

Tatort – TreibjagdFoto: NDR / Christine Schroeder
Im Angesicht des Blaulichts. Die Wutbürger-Brüder Bernd (Andreas Lust) und Dieter (Jörg Pose) halten zusammen.

Auf der Flucht: Michelle Barthel als angeschossene Einbrecherin
Denn das anfängliche Duell Wutbürger contra Wutkommissar weitet sich zu einem Wettrennen aus, wer die einzige Zeugin zuerst in die Hände bekommt. Und damit wird auch die Perspektive um einen dritten Part erweitert, die der angeschossenen Maja (Michelle Barthel), der Freundin des getöteten Kolya, die bei dem Einbruch dabei war. Sie versteckt sich in einem Waldstück, und sowohl die Polizei als auch die „Nachbarschaftshilfe“ beginnen gleichzeitig mit der Suche nach ihr. Die Folge gewinnt nun in der Inszenierung von Samira Radsi („Deutschland ’83“, „Die Protokollantin“) an Tempo und Dramatik – das Dranbleiben lohnt sich jedenfalls. Zumal die braven Bürger ihre Hemmungen immer mehr zu verlieren scheinen. Einmal die Schwelle zur Selbstjustiz übertreten, setzt sich eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, und scheinbar harmlose Familienväter, die den Zeitpunkt der Umkehr verpasst haben, werden zu brutalen Schlägern. Als Jäger tut sich insbesondere Bernd hervor, aus Loyalität zu seinem Bruder, der ihm vorwarf, „immer nur zu reden“.

Eine Feierabend-Milch mit Kater Elliot
Etwas im Schatten steht in dieser Folge Franziska Weisz als verlässliche, bedachte Partnerin des aufbrausend agierenden Wotan Wilke Möhring. Falke mag sich ungeschickt gegenüber den von der Einbruchsserie aufgebrachten Bürgern verhalten, zeigt aber auch eine klare Haltung und treibt die Ermittlungen wesentlich voran. Grosz hat nicht viel mehr zu tun, als Falke zu beschwichtigen und die Wogen zu glätten – bis zum Finale, in dem der Kommissarin auf ihre ruhige Art der entscheidende Durchbruch gelingt. Nach der cleveren Zusammenarbeit im letzten Fall („Alles was sie sagen“) kehrt das NDR-Team im fünften gemeinsamen Auftritt zu einer recht konventionellen Rollenaufteilung zurück. Dafür wird das Verhältnis des alleinerziehenden Kommissars zu seinem Sohn Torben (Levin Liam) aufgefrischt und mit einer Spur Humor weiter erzählt. Und Kater Elliot ist auch mal wieder dabei und trinkt mit Falke eine Feierabend-Milch. (Text-Stand: 20.10.2018)

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Reihe

NDR

Mit Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, Andreas Lust, Jörg Pose, Michelle Barthel, Sascha Nathan, Tilman Pörzgen, Levin Liam

Kamera: Stefan Unterberger

Szenenbild: Carola Gauster

Kostüm: Anette Schröder

Schnitt: Nils Landmark

Musik: René Dohmen, Joachim Dürbeck

Redaktion: Donald Kraemer

Produktionsfirma: Wüste Medien

Produktion: Björn Vosgerau, Uwe Kolbe

Drehbuch: Benjamin Hessler, Florian Oeller

Regie: Samira Radsi

Quote: 9,34 Mio. Zuschauer (26,4% MA)

EA: 18.11.2018 20:15 Uhr | ARD

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