Tatort – Tollwut

Hartmann, Schudt, Tezel, Bartholomäi, Werner, Zahavi. Virus-Tod & faustischer Pakt

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

Ein toter Häftling erliegt dem Tollwut-Erreger. Der Gefängnisarzt, einst der Rechtsmediziner der Dortmunder Kommissare, wird auch sterben. Und dann grinst Faber auch noch sein Lieblingsfeind, der in derselben JVA sitzt, arrogant ins Gesicht. Was geht vor in diesem Knast? Panik macht sich langsam breit und von einem Motiv fehlt jede Spur … In „Tollwut“ (WDR / Bavaria Fiction), „Tatort“ 11 mit Hartmann & Co entwickelt Jürgen Werner eine komplexe, abwechslunsgreiche Geschichte. Mit der Wiederkehr zweier alter Bekannter füllt er geschickt die Lücke, die Stefan Konarskes Kossik in das Ermittlergefüge reißt. Die interne Geschichte mit der aufsässigen Nora Dalay fällt ein wenig ab, macht aber besonders deutlich, was Werner hier seit Jahren erzählt: die Ermittlungsarbeit einer dysfunktionalen Familie. Regisseur Zahavi lässt das pralle Buch wenig Spielraum. Dennoch zeigt er seine Klasse.

Krämpfe, Tobsucht und Schaum vor dem Mund – ein Toter in der JVA Dortmund erlag eindeutig dem Tollwut-Erreger. Zu dieser Erkenntnis kommt ein früherer Kollege von Faber (Jörg Hartmann), Boenisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel): Der ehemalige Rechtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) arbeitet jetzt als Gefängnisarzt – und er schockt die drei mit einer traurigen Nachricht. Bei einer Messerstecherei vor wenigen Wochen ist der jetzt Verstorbene mit einem Messer schwer verletzt worden und auch er selbst habe etwas abbekommen. Das Messer muss mit dem Rabies-Virus infiziert gewesen sein. Jetzt ist es für eine Behandlung zu spät: Er werde ebenfalls sterben. Die Emotionen schlagen noch in anderer Hinsicht hoch: Graf (Florian Bartholomäi), der mutmaßliche Mörder von Fabers Frau und Tochter, sitzt auch in Dortmund ein und sucht offenbar Kontakt zu dem Mann, den er für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Das kann kein Zufall sein, ist sich der Kommissar sicher und verbeißt sich bei den Ermittlungen wieder in seinen Lieblingsfeind, während die Frauen den Mörder eher im Umfeld eines albanischen Clans vermuten. Nachdem es einen zweiten Toten gegeben hat, führen tatsächlich Spuren zum Knast-Dealer Tomek Kodra (Murathan Muslu) und seinem möglichen Handlanger Nico Rattay (Rick Okon). Auch wenn Graf mit den Morden nichts zu tun haben sollte, will Faber ihm Informationen entlocken, denn er ist sich sicher: Graf weiß, wer die Toten auf dem Gewissen hat.

Tatort – TollwutFoto: WDR / Thomas Kost
Kommt sich mal wieder besonders schlau vor: Markus Graf (Florian Bartholomäi) der mehrfache Mörder junger Frauen. Auch Frau und Tochter von Faber (Hartmann) dürfte er auf dem Gewissen haben. Der Kommissar schließt mit ihm einen Deal ab.

Kollege Kossik ist weg. Nach dem finalen Bombenanschlag im zehnten Dortmunder „Tatort – Sturm“, den alle vier Kommissare überlebt haben, hat sich der streitbare Kollege, der die zynischen Psychospielchen und Alleingänge seines Chefs nicht länger ertragen konnte, in Richtung LKA Düsseldorf abgesetzt. Auch Dalay liebäugelt mit einem Wechsel dorthin. In „Tollwut“ nun hat Drehbuchautor Jürgen Werner ihr den Anti-Faber-Part überschrieben. Durch diese Übertragung und die Lücke, die im Team entstanden ist, zeigt sich nun besonders deutlich, um was für eine Interaktion und Konstellation es sich bei diesem 2012 gestarteten „Tatort“-Ableger immer schon gehandelt hat: eine dysfunktionale Familie. Jetzt, in Episode 11, droht sie endgültig auseinanderzubrechen. Erst war es der Sohn, der gegen den Vater aufbegehrt, jetzt probt die Tochter den Aufstand und droht damit, ebenfalls das Elternhaus zu verlassen. Dabei hat sie zuletzt noch die Rolle von Papas Liebling genossen und fühlte sich nach einer kurzen – nennen wir es – Inzest-Episode mit dem Bruder und nach dessen fortwährendem Geklammer stärker zum Vater hingezogen. Jetzt scheint Nora ein schlechtes Gewissen gegenüber Daniel zu haben und nimmt deshalb stellvertretend seine Rolle ein. Es ist aber ein Anliegen Fabers die Familie zusammenzuhalten. Allein, er kann einfach nicht über seinen Schatten springen. Im Schlussdrittel sagt er dann schließlich auf seine Art, dass er Nora braucht (im Familienkontext: „liebt“). Wie sehr sich Werner an die Psychologie einer Familie hält, wird auch durch die Mutterrolle deutlich: Boenisch fällt Faber nicht in den Rücken („Wir konzentrieren uns jetzt auf Markus Graf“), wie das nun mal bei erzieherisch kompetenten Eltern der Fall ist, obwohl sie in der Graf-Sache gar nicht seiner Meinung ist.

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Albanien-Connection: Was haben Knast-Dealer Tomek Kodra (Murathan Muslu) und sein vermeintlicher Handlanger Nico Rattay (Rick Okon) mit den Toten zu tun?

Die Lücke, die Kossik bzw. sein Darsteller Stefan Konarske hinterlässt, wird besonders spürbar in den („häuslichen“) Szenen auf dem Kommissariat. Durch den wütenden jungen Mann war das aggressive Pingpongspiel vielschichtiger, war mehr Dynamik im Spiel. Jetzt wirken diese emotionalen Dreier-Szenen seltsam leer. Auch psychologisch ist die neue Situation psychologisch nicht so plausibel wie der Zwist zwischen den Männern, der sich über mehrere Episoden hochgeschaukelt hat. Der Konflikt wirkt ein bisschen gewollt, vom Autor ausgedacht. Und was die Darstellung angeht, fallen diese („Familien“-)Szenen deutlich ab gegenüber dem, was sich zwischen Jörg Hartmann und Florian Bartholomäi in den wenigen, aber hoch konzentrierten Minuten ihres Zusammenspiels an emotionaler Spannung aufbaut. Die Kossik-Lücke mit zwei „Altbekannten“ zu füllen, dem Ex-Kollegen und dem ewigen Faber-Gegenspieler, ist hingegen eine dramaturgisch kluge Drehbuchidee, die sich im Film durchweg gut vermittelt: Die beiden laden das Beziehungsdreieck neu auf und befeuern zugleich die Konflikte zwischen den Ermittlern. So sorgt Zander unter anderem dafür, Fabers Unfähigkeit zur Empathie (wieder einmal) ins Spiel zu bringen, während die „Beziehung“ des Kommissars zu Graf, die Werner im Dialog der beiden auf das Verhältnis Freier/Hure bringt, die Kolleginnen an die inneren Dämonen ihres Chefs erinnern und Schlimmes erahnen lässt. Vor allem Nora hält ihn für größenwahnsinnig und wirft ihm vor, er störe mit seinen krankhaften Obsessionen die Ermittlungen. Und als er dann auch noch einen faustischen Pakt mit dem Mephistopheleschen Graf schließen will, ist er auch bei Boenisch unten durch.

Tatort – TollwutFoto: WDR / Thomas Kost
Treffen an der Hotelbar: ein letzter Wunsch für die tragische Figur dieser Episode: Jonas, den Todgeweihten. Thomas Arnold und Anna Schudt

Nimmt man zu alldem noch die rätselhaften Vorgänge im Knast, das undurchsichtige Treiben einiger Häftlinge und Tatverdächtigen, die Panik, die sich in der JVA unter den Insassen breitmacht, selbstredend den mysteriösen Tollwut-Erreger und das bis kurz vor Filmende nicht zu ermittelnde Motiv für die beiden Morde, dann ist das viel Stoff für 90 Minuten. Jürgen Werner, Vielschreiber mit Niveau, gelingt es, das alles in eine stringente Erzählung zu bringen, wobei man nur selten die Absicht des Autors hinter seinen Erfindungen (und Erzählfunktionen) erkennt. Da bleibt Raum für Trauer, für Wut, für ein tieftragischer Augen-Blick in einem Hotelzimmer, kurze Momente, die nicht nur die Figuren in Erregung versetzen, sondern auch beim Zuschauen – mal mehr, mal weniger – emotional nahegehen. Das Handlungsgefüge ist kleinteilig, trotzdem vermittelt sich der Eindruck einer konsistenten Geschichte. Das komplexe Drehbuch gibt den Takt in diesem „Tatort“ vor und lässt der Regie wenig Spielraum für einen magischen Bilderfluss, wie man ihn von Dror Zahavi ja schon oft gesehen hat. Der macht trotz strenger räumlicher und zeitlicher Vorgaben das Beste daraus. Der Knast bekommt die „Lebendigkeit“, die dem Trio in seinen gemeinsamen Szenen fehlt, und auch die zahlreichen Parallelszenen geben dem Ganzen zumindest einen filmischen Anstrich. Und ein Mal dürfen Zahavi & seine präzise miteinander kooperierenden Gewerke dann doch richtig zeigen, was sie draufhaben: Im dreieinhalbminütigen Intro legen sie eine fulminante Montage hin, die einen als Zuschauer bannt, die aber mehr ist als ein formales, wirkungsvolles Accessoire vor der eigentlichen Geschichte. Wischwasser auf dem Knastflur, ein geifernder Schäferhund (auf der Tonebene meint man anfangs sogar einen heulenden Wolf zu vernehmen), ein Fixierter auf der Krankenstation, der todbringenden Speichel spuckt. Eine ebenso narativ stimmige wie packende „Tollwut“-Ouvertüre.

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Reihe

WDR

Mit Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel, Florian Bartholomäi, Thomas Arnold, Rick Okon, Ulrike Krumbiegel, Holger Handtke, Murathan Muslu, Yvonne Yung Hee Bormann

Kamera: Gero Steffen

Szenenbild: Gabriele Wolff

Schnitt: Fritz Busse

Redaktion: Frank Tönsmann

Produktionsfirma: Bavaria Filmproduktion

Produktion: Sonja Goslicki

Drehbuch: Jürgen Werner

Regie: Dror Zahavi

Quote: 9,70 Mio. Zuschauer (25,6% MA); Wh. (2020): 5,36 Mio. (18,6% MA)

EA: 04.02.2018 20:15 Uhr | ARD

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