Tatort – Spur des Blutes

Behrendt, Bär, Fürst, Hader, Nolting/Scharf, Tini Tüllmann. Der Reiz des Bösen

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Tilmann P. Gangloff

„Spur des Blutes“ (WDR / Bavaria) ist der 85. Fall der Kölner Kommissare und ein würdiger Jubiläumsfilm für das 1997 gestartete Duo Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Schon der effektvoll gestaltete Prolog verdeutlicht, dass alle Beteiligten einen besonderen Film im Sinn hatten. Im weiteren Verlauf wird Regisseurin Tini Tüllmann bei ihrem „Tatort“-Debüt noch einige Male ihr großes Talent beweisen. Neben ungewöhnlichen Schauplätzen zeichnet sich dieser wendungsreiche Krimi über die Suche nach dem Mörder einer jungen Prostituierten vor allem durch das zentrale Ensemble aus. Eine der Überraschungen im Drehbuch der Grimme-Preisträger Nolting & Scharf ist die Fokus-Verschiebung: Plötzlich steht nicht mehr das Duo Ballauf und Schenk, sondern Kriminaltechnikerin Förster (Tinka Fürst) im Zentrum. Ein Besetzungsknüller ist die Mitwirkung des österreichischen Kabarettisten Josef Hader.

Als die beiden damals noch vergleichsweise jungen Kommissare Ballauf und Schenk einst ihren ersten gemeinsamen Fall gelöst haben, war an den Beginn einer wundervollen Freundschaft zunächst nicht zu denken. Das war 1997; „Willkommen in Köln“ ist auch nach 25 Jahren noch ziemlich sehenswert. Zum Jubiläum beschert der WDR dem in Würde ergrauten Duo Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär einen Krimi, der dem Anlass angemessen ist; auch wenn die beiden in der zweiten Filmhälfte fast nur noch Nebenrollen spielen, weil die Handlung unversehens von Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) vorangetrieben wird. Schon die Gestaltung des Prologs verdeutlicht zudem das große Talent von Tini Tüllmann; „Spur des Blutes“ ist nach ihrem Kinodebüt mit dem Psychothriller „Freddy/Eddy“ (2018) über einen monströsen Doppelgänger sowie einigen Serienfolgen („Soko Hamburg“, „Check Check“) die Fernsehfilmpremiere der Regisseurin.

Tatort – Spur des BlutesFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Altbekannte Situation, optisch interessant gelöst. Das passt zu den „Tatort“-Jubilaren Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) und auch zu ihren Episoden der letzten Jahre, die intelligent auf spannende Variation des Immergleichen setzen.

Der Film beginnt mit zwei Teenagern, die durch die Stadt streifen, allerlei Unfug machen und sich schließlich gegenseitig einen Schmetterling in die Nackenhaut stechen. Spätestens jetzt ahnen Krimifans: Eine der beiden jungen Frauen wird die folgende Nacht nicht überleben. Zunächst setzen sie sich jedoch erst mal einen Schuss. Kim (Greta Bohacek) gerät auf einen schlechten Trip: Das Lagerfeuer auf einem Poster breitet sich im ganzen Zimmer aus und droht sie zu verzehren. Die Szene entwickelt eine enorme Intensität, und wer weiß, wie die Sache für das Mädchen ausgegangen wäre, wenn Lara (Charlotte Lorenzen) ihre Freundin nicht mit ein paar kräftigen Ohrfeigen in die Wirklichkeit zurückgeholt hätte, die allerdings ebenfalls nicht erbaulich ist: Kim und Lara verdienen das Geld für ihre Drogen auf dem Straßenstrich. Am nächsten Tag wird Lara tot in einem Auffangbecken der Kanalisation gefunden, und selbst wenn Kim so tun wollte, als würde sie die anscheinend durch einen sadistischen Triebtäter zu Tode gepeinigte junge Frau nicht kennen: Das Tattoo sagt alles.

Die rasante Sequenz zum Abschluss des Auftakts, als die Kamera erst dem Kanalverlauf folgt und schließlich aus extremer Vogelperspektive Laras Leiche in der Brühe zeigt, ist ähnlich spektakulär wie die Feuerszene. Der Schauplatz des selbst in Köln kaum bekannten „Randkanals“ mit seinem rotbraunen Wasser passt auf fast schon makabre Weise perfekt zum Episodentitel und ist ohnehin ungleich origineller als der übliche Leichenfund am Rheinufer. Mit der nun folgenden Ermittlungsroutine orientiert sich auch die Inszenierung erst mal an den gewohnten Konventionen. Fortan fesselt der 85. Fall für Ballauf und Schenk vor allem durch die Handlung, die zunächst in üblichen Krimibahnen verläuft: Die Aussage Kims sowie die Auswertung der Spermaspuren führen alsbald zu einem jungen Verdächtigen, der Lara mit dem Auto seines Vaters aufgegabelt hat, um sein „erstes Mal“ ausgerechnet in einer sogenannten Verrichtungsbox zu erleben. Beiläufig erwähnt eine Laborantin, dass Förster offenbar eine der DNS-Proben verunreinigt hat, jedenfalls hat die Analyse einen entsprechenden Treffer ergeben; und jetzt kann von Routine keine Rede mehr sein. Clever lässt das Drehbuch allerdings lange offen, warum die Kriminaltechnikerin plötzlich derart komplett neben der Spur ist, dass sie sich sogar einen Rüffel von Ballauf einfängt.

Tatort – Spur des BlutesFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Shopping ist besser als ein schlechter Drogen-Trip: Kim (Greta Bohacek), die sich ihre Schüsse auf dem Straßenstrich verdient. Ihre Freundin Lara ist ermordet worden.

Es gibt ein paar kleine darstellerische Unstimmigkeiten bei den Nebenfiguren, aber abgesehen von der irritierenden Art, mit der Lea Mornar die Mutter des Mordopfers versieht, fällt das nicht weiter ins Gewicht, zumal die zentralen Rollen umso besser verkörpert werden. Ein kleiner Besetzungsknüller ist der österreichische Kabarettist Josef Hader, der hier tatsächlich zum ersten Mal in einem „Tatort“ mitwirkt. Er spielt den fürsorglichen Besitzer eines Caravan-Verleihs, der einem vorbestraften jungen Mann eine zweite Chance gegeben hat; dieser Mitarbeiter gerät als Nächster ins Visier der Ermittler. Das Drehbuch stammt von Arne Nolting und Jan Martin Scharf. Das vielfach ausgezeichnete Duo (Grimme-Preise für die Serien „Club der roten Bänder“ und „Weinberg“) hat für die Kölner Kommissare zuletzt „Der Reiz des Bösen“ (2021) geschrieben. In diesem nicht minder fesselnden „Tatort“ ging es ebenfalls um die Suche nach einem Frauenmörder, auch diese Geschichte nahm einige überraschende Wendungen. „Spur des Blutes“ ist womöglich noch besser, zumal die Inszenierung weiterhin immer wieder Akzente setzt. Wie gut der Film funktioniert, belegen nicht zuletzt einige heitere Momente, die selbst in Anbetracht der grausigen Tat nicht deplatziert wirken und ein ironisches Spiel mit dem Alter der Ermittler treiben, weil sie den entschwundenen jugendlichen Elan durch eine schlaue Hase-und-Igel-Taktik ausgleichen. Optisch wie auch akustisch sehr effektvoll ist zudem eine Befragungsszene im Revier, als Kim unter Entzugserscheinungen und entsprechenden Wahrnehmungsstörungen leidet. Über allem schwebt jedoch eine Frage, die sich sehr gut nachvollziehen lässt: Endlich öffnet sich eine Tür, nach der man lange gesucht hat, und jetzt weiß man nicht, ob man wirklich hindurchgehen soll, denn anschließend wird sich alles ändern. (Text-Stand: 17.9.2022)

Tatort – Spur des BlutesFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Besetzungscoup: Kabarettist, Schauspieler und Regisseur Josef Hader gibt sich die Ehre in Köln. Sein erster „Tatort“, in dem er mitwirkt. Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Tinka Fürst, Greta Bohacek, Robert Stadlober, Josef Hader, Roland Riebeling, Lea Mornar, Joe Bausch, Charlotte Lorenzen, Michael Kind

Kamera: Ralph Kaechle

Szenenbild: Michaela Schumann

Kostüm: Martina Jeddicke

Schnitt: Benjamin Kaubisch

Musik: Reinhold Heil

Soundtrack: Aaron David Anderson & Brandon Robert Kitterman („Trouble“)

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf

Regie: Tini Tüllmann

Quote: 10,77 Mio. Zuschauer (34,8% MA)

EA: 23.10.2022 20:15 Uhr | ARD

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