Frau weg, Kinder weg, Job weg. Ein Mann am Abgrund – und noch immer auf der Suche nach dem Traum vom Familienglück. Eine psychisch kranke Persönlichkeit steht im Mittelpunkt des 400. „Tatorts“. Ein Vater, der zwischen liebevoller Fürsorge und gewalttätigen Ausbrüchen schwankt, ein von Angst beseelter Mensch, der zum Mörder wider Willen wird. Christian Berkel spielt diesen Täter, der zugleich auch Opfer ist, und stellt in „Schwarzer Advent“ die Ermittler Batic und Leitmayr vor große Probleme. „Vielleicht will er einfach nur ein guter Vater sein!?“ glaubt Kommissar Batic, der selbst in einer kleinen Identitätskrise steckt. Der Kroate will verstehen, wie dieser Rainer Wenisch funktioniert, der zunächst seine Ex-Frau im Affekt tötet und dann seine beiden Kinder entführt. Es besteht die Gefahr, dass er sich umbringen wird und auch die Kinder tötet. Davor aber will er noch seinem nach Chile ausgewanderten Vater, der seit Jahren mal wieder zu Besuch in Deutschland ist, eine heile Familie vorspielen. Eine Prostituierte muss bei diesem krankhaften Plan seine Ex-Frau mimen.
„Schwarzer Advent“ ist ein psychologischer Krimidrama. Der „Mörder“ ist von Anfang an ausgemacht. Offen bleibt allein, wie er zur Strecke gebracht wird und ob er jemanden mit in den Tod reißt. Die zentrale Frage aber ist: warum läuft Herr W. Amok? Die Antworten lassen sich im Verhalten und der nach und nach Konturen annehmenden Biographie Wenischs ablesen. Wenisch ist ein Mann, der sein ganzes Leben vergeblich um die Liebe seines autoritären Vaters gebuhlt hat. Jetzt will er ein Ende machen. Und je mehr der Held sich in sein (Denk-)System verrennt, umso mehr entwickelt sich der Krimi in einen auf Reduktion angelegten psychologischen Kammerspielthriller (wie er in den Neunzigern eher selten war).
Für Hauptdarsteller Berkel ist Wenisch kein Monster, sondern ein Mensch, „der sich in seiner diffusen Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung den Forderungen der Außenwelt nicht gewachsen zeigt“. Eher ein unauffälliger Zeitgenosse. „Er gehört zu denen, über die die Nachbarn sagen, ‚ach, der war doch so nett, ein bisschen introvertiert vielleicht, aber freundlich‘ und ‚völlig normal‘, bis – oft durch eine Nebensächlichkeit – die Katastrophe ausgelöst wird.“ Um diesen emotional vereisten Typen zu spielen beschäftigte sich Berkel mit ähnlichen Menschenbildern, unterhielt sich mit Psychologen, las Täterprofile, schaute sich Filme an. Der gebürtige Berliner fragte sich, „wieviele Verletzungen ein Mensch ertragen haben muss, ohne sich jemals wehren zu können, und wieviele nie ausgelebte Aggressionen er in sich hineingefressen haben muss, bevor er durchdreht“. (Text-Stand: 8.11.1998)