Die Begegnung mit einem alten „Tatort“ ist immer auch eine Zeitreise. Ein Krimi ist immer auch ein Spiegel seiner Zeit, und das nicht nur in Sachen Mode, Frisuren, Einrichtung, Straßenbild, sondern auch hinsichtlich der Geschichte, die er erzählt; nicht zu vergessen die Art, wie er sie erzählt. Interessanterweise könnte die Handlung von „Schmutzarbeit“ (gedreht 1988) in wesentlichen Teilen auf ganz ähnliche Weise auch heute spielen: Pilot Ulf Thorning (Burghart Klaußner) stürzt mit seinem Flugzeug auf dem Weg nach Großbritannien ab. Ursache für das Feuer, das an Bord ausbricht, war offenbar ein Sabotageakt. In den Kisten, die er transportiert, sind Ziegelsteine. Der Mann hatte rausgefunden, dass er bisher ohne sein Wissen Waffen geschmuggelt hat, und vor dem Abflug seinen Bruder Rüdiger (Dietrich Mattausch) informiert. Der soll nun ebenfalls zum Schweigen gebracht werden.
Ulrich Kressins Drehbuch ist eine geschickte Kombination von Krimi und Thriller: Eigentlich suchen die Hamburger Kommissare Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) in ihrem siebten gemeinsamen Fall (für Stoever ist es der zehnte) nach dem Mörder einer Kassiererin (Angelika Bartsch). Aus Zuschauersicht besteht wenig Zweifel daran, dass die Frau von ihrem verheirateten Freund Horst Simmath (Wolf-Dietrich Sprenger) erschossen worden ist. Simmath steht außerdem auf der Lohnliste des Waffenschiebers, der den Piloten und dessen Bruder töten will. Durch Zufall erfährt Hilde Simmath (Irm Herrmann), die Frau des Ganoven, von den Mordplänen und informiert anonym die Polizei.
Bis zu diesem Punkt ist die Geschichte zeitlos, nun aber wird sie aus heutiger Sicht unrealistisch: Während sich Stoever über die seltene Möglichkeit freut, ein Verbrechen gar nicht erst geschehen zu lassen, hält Brockmöller das für Zeitverschwendung, schließlich seien sie die Mordkommission und kein „Mordverhinderungsverein“. Erst recht unglaubwürdig wird das Verhalten angesichts der Umstände: Rüdiger Thorning ist Experimentalphysiker und nimmt in Hamburg an einer Tagung zum Thema Nuklearer Winter teil (auch dies ein Jahr vor dem Mauerfall ein Aspekt mit deutlichem Zeitbezug). Kaum zu glauben, dass heutzutage ein (TV-)Polizist mit einem Achselzucken über ein Mordkomplott gegen einen Wissenschaftler hinweggehen würde. Brockmöller, der in diesem Film zudem durch sein gewalttätiges Verhalten gegenüber Kriminellen auffällt, ist ohnehin eine deutlich gestrigere Figur als Stoever, der mit seiner flapsigen Art fast eins zu eins auch heute noch „Tatort“-Ermittler sein könnte; selbst wenn man ihm vermutlich die Zigarren wegnehmen würde. Die Gesangseinlagen, für die das Duo bekannt ist, gab es erst ab 1996; hier aber stimmt Stoever schon mal ein Solo an.
Ein weiterer deutlicher Unterschied zu zeitgenössischen Krimis ist Werner Mastens Erzähltempo. Der Film dauert 109 Minuten, aber die Geschichte könnte ohne größere Verluste auch in 90 Minuten umgesetzt werden; im heutigen starren ARD-Schema gäbe es ohnehin keinen Überziehungskredit mehr. In einer bizarr anmutenden Szene wiederholt Masten einen kompletten Vernehmungsdialog, nur aus jeweils anderen Perspektiven gefilmt. Abgesehen davon ist die zusätzliche Spielzeit gewissermaßen eine Verbeugung vor Lou Castel (Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“), damals ein in ganz Europa beschäftigter Schauspieler, den der NDR für die Rolle des polyglotte Selbstgespräche führenden Killers gewinnen konnte und der sich herzerfrischend mehrsprachig durch den Film flucht. Allerdings verschwendet Masten viele Minuten damit, dem Mann dabei zuzuschauen, wie er im Hotelzimmer die Zeit tot schlägt, während im Fernsehen amerikanische Filme laufen.
Ansonsten fällt auf, dass Autofahrten oft wie Rückprojektionen wirken, dass sich die zudem etwas gewöhnungsbedürftige Musik (Stefan Melbinger) gern in den Vordergrund spielt, dass die Handlung erstaunlich lange undurchsichtig bleibt und einige Fragen überhaupt nicht beantwortet werden. Interessant sind auch die Unterschiede der Schauspielkunst: Manche mimischen Momente wirken doch sehr übertrieben; auch in dieser Hinsicht bildet Krugs sparsames Spiel eine wohltuende Ausnahme. Dass die Ermittler samt Schreibtisch ins Treppenhaus umziehen müssen, weil das Revier renoviert wird, gehört indes auch heute noch zu den Drehbuchversuchen, für ein bisschen Abwechslung zu sorgen. (Text-Stand: 2016)