Tatort – Schmerzensgeld

Karl-Heinz von Hassel, Fricke, Krüger, Brauss. Lass doch mal die "Fliege" ran!

Foto: HR
Foto Tilmann P. Gangloff

„Schmerzensgeld“ war 1985 der erste „Tatort“ mit dem stets etwas ausstrahlungsarmen Frankfurter Kommissar Brinkmann alias Karl-Heinz von Hassel. Bei seinem ersten Fall kommen sich mehrere Ganoven, die es auf denselben Geldtransport abgesehen haben, in die Quere. Höchst gemächlich inszeniert und alles andere als ein Klassiker der Reihe. Dafür gibt es ein Wiedersehen mit Arthur Brauss, Peter Fricke und Miss Äppelwoi Lia Wöhr.

Man kann sich das heute angesichts der „Tatort“-Allgegenwart kaum noch vorstellen: Vor dreißig Jahren, als es noch nicht jeden Tag in mindestens einem der dritten Programme eine Wiederholung gab, war so ein Sonntagskrimi ein singuläres Ereignis, denn das „Erste“ zeigte bloß eine Premiere pro Monat. Vermutlich fiel es da nicht weiter ins Gewicht, wenn ein Film wie „Schmerzensgeld“ aus heutiger Sicht beschaulich und unspektakulär wirkt. Selbst für damalige Verhältnisse aber ist der neue Frankfurter Hauptkommissar Edgar Brinkmann (Karl-Heinz von Hassel), der mit diesem Krimi seinen Einstand gab, ein eher trockener Typ. Erstausstrahlung war im Oktober 1985; da polterte Horst Schimanski schon seit vier Jahren durch Duisburg. Als Gegenentwurf zum korrekten Brinkmann, der stets mit Fliege ermittelte, darf sich sein junger Kollege (Frank Muth) auch mal illegaler Methoden bedienen. Der alles andere als charismatische Brinkmann ermittelte trotzdem bis zum Jahr 2001 in 28 Episoden.

Immerhin ist der Fall interessant. Fred Corbut (Peter Fricke), Filialleiter einer Vorortbank, hat eine halbe Million Mark unterschlagen, um seine enormen Spielschulden zu zahlen. Angesichts einer bevorstehenden Revision lässt er sich von einem Fremden (Rauch), der ihn im Casino beobachtet hat, zu einem Coup überreden: Corbut lässt die Bankeinnahmen verschwinden, bevor sie abgeholt werden, der Fremde überfällt den Geldtransporter und bekommt später seinen Anteil. Allerdings kommt ihnen ein weiterer Räuber (Arthur Brauss) zuvor: Er hat sich mit einem Mitarbeiter (Heinz W. Kraehkamp) des Sicherheitspersonals zusammengetan und klaut die Geldkisten, staunt aber nicht schlecht, als sich darin bloß Zeitungspapier befindet. Der Fremde aus dem Casino holt sich trotzdem seinen Anteil bei Corbut, und als die Konkurrenz rausfindet, wer sie um ihre Beute betrogen hat, erpresst sie den Banker.

Autor Hans Kelch erzählt die Geschichte nicht ohne Sympathie für die Kleinganoven, für die die Sache natürlich nicht gut ausgeht; wie immer, wenn kleine Leute im Krimi große Träume haben. Aber selbst Corbut wirkt eher wie ein Getriebener als wie ein hartgesottener Krimineller; daher passt auch die Besetzung mit dem beliebten Frauenschwarm Peter Fricke. Die Nebenrollen sind dagegen ganz nach Typ besetzt: Heinz W. Kraehkamp musste meistens Galgenvögel spielen, und für Christiane Krüger ist die Rolle einer Casino-Sirene ebenfalls nicht ungewöhnlich; selbst wenn die Frau für eine überraschende Schlusspointe sorgen darf.

Auch das Ende kommt etwas plötzlich: Mit nicht mal 75 Minuten ist „Schmerzensgeld“ einer der kürzesten Krimis der „Tatort“-Geschichte, und das, obwohl sich Wolfgang Luderer für seine Inszenierung viel Zeit nimmt. Alltägliche Vorgänge dauern, so lange sie eben dauern: Jemand steigt ins Auto, fährt los, kommt an und steigt wieder aus. Originell ist immerhin die Idee, Brinkmann einen Ganoven per Dampflok verfolgen zu lassen. Und dass der Kommissar die Frankfurter Rundschau liest (und nicht die FAZ), ist ein interessantes Statement; derlei ist im heutigen Sonntagskrimi ebenso selten geworden wie der Dialekt, der hier nicht nur von Lia Wöhr („Der blaue Bock“) hingebungsvoll gepflegt wird. Auch die mitunter an Tangerine Dream erinnernde Musik von Günter Fischer, der Synthesizerpassagen mit Saxophon und Querflöte kombiniert, ist ausgesprochen hörenswert. Bei der Erstausstrahlung hatte „Schmerzensgeld“ 19,22 Mio. Zuschauer. Nach heutigen Maßstäben sensationell, damals, als das Privatfernsehen noch in den Babyschuhen steckte, ganz normal. (Text-Stand: 13.7.2015)

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Reihe

HR

Mit Karl-Heinz von Hassel, Frank Muth, Peter Fricke, Angelika Bender, Christiane Krüger, Arthur Brauss, Heinz W. Kraehkamp, Erika Skrotzki, Siegfried Rauch, Lia Wöhr

Kamera: Werner Hoffmann

Schnitt: Beate Gottschall

Musik: Günther Fischer

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Hans Kelch – Vorlage: Peter Hebel

Regie: Wolfgang Luderer

Quote: 19,22 Mio. Zuschauer (47% MA)

EA: 13.10.1985 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach