Man kann sich das heute angesichts der „Tatort“-Allgegenwart kaum noch vorstellen: Vor dreißig Jahren, als es noch nicht jeden Tag in mindestens einem der dritten Programme eine Wiederholung gab, war so ein Sonntagskrimi ein singuläres Ereignis, denn das „Erste“ zeigte bloß eine Premiere pro Monat. Vermutlich fiel es da nicht weiter ins Gewicht, wenn ein Film wie „Schmerzensgeld“ aus heutiger Sicht beschaulich und unspektakulär wirkt. Selbst für damalige Verhältnisse aber ist der neue Frankfurter Hauptkommissar Edgar Brinkmann (Karl-Heinz von Hassel), der mit diesem Krimi seinen Einstand gab, ein eher trockener Typ. Erstausstrahlung war im Oktober 1985; da polterte Horst Schimanski schon seit vier Jahren durch Duisburg. Als Gegenentwurf zum korrekten Brinkmann, der stets mit Fliege ermittelte, darf sich sein junger Kollege (Frank Muth) auch mal illegaler Methoden bedienen. Der alles andere als charismatische Brinkmann ermittelte trotzdem bis zum Jahr 2001 in 28 Episoden.
Immerhin ist der Fall interessant. Fred Corbut (Peter Fricke), Filialleiter einer Vorortbank, hat eine halbe Million Mark unterschlagen, um seine enormen Spielschulden zu zahlen. Angesichts einer bevorstehenden Revision lässt er sich von einem Fremden (Rauch), der ihn im Casino beobachtet hat, zu einem Coup überreden: Corbut lässt die Bankeinnahmen verschwinden, bevor sie abgeholt werden, der Fremde überfällt den Geldtransporter und bekommt später seinen Anteil. Allerdings kommt ihnen ein weiterer Räuber (Arthur Brauss) zuvor: Er hat sich mit einem Mitarbeiter (Heinz W. Kraehkamp) des Sicherheitspersonals zusammengetan und klaut die Geldkisten, staunt aber nicht schlecht, als sich darin bloß Zeitungspapier befindet. Der Fremde aus dem Casino holt sich trotzdem seinen Anteil bei Corbut, und als die Konkurrenz rausfindet, wer sie um ihre Beute betrogen hat, erpresst sie den Banker.
Autor Hans Kelch erzählt die Geschichte nicht ohne Sympathie für die Kleinganoven, für die die Sache natürlich nicht gut ausgeht; wie immer, wenn kleine Leute im Krimi große Träume haben. Aber selbst Corbut wirkt eher wie ein Getriebener als wie ein hartgesottener Krimineller; daher passt auch die Besetzung mit dem beliebten Frauenschwarm Peter Fricke. Die Nebenrollen sind dagegen ganz nach Typ besetzt: Heinz W. Kraehkamp musste meistens Galgenvögel spielen, und für Christiane Krüger ist die Rolle einer Casino-Sirene ebenfalls nicht ungewöhnlich; selbst wenn die Frau für eine überraschende Schlusspointe sorgen darf.
Auch das Ende kommt etwas plötzlich: Mit nicht mal 75 Minuten ist „Schmerzensgeld“ einer der kürzesten Krimis der „Tatort“-Geschichte, und das, obwohl sich Wolfgang Luderer für seine Inszenierung viel Zeit nimmt. Alltägliche Vorgänge dauern, so lange sie eben dauern: Jemand steigt ins Auto, fährt los, kommt an und steigt wieder aus. Originell ist immerhin die Idee, Brinkmann einen Ganoven per Dampflok verfolgen zu lassen. Und dass der Kommissar die Frankfurter Rundschau liest (und nicht die FAZ), ist ein interessantes Statement; derlei ist im heutigen Sonntagskrimi ebenso selten geworden wie der Dialekt, der hier nicht nur von Lia Wöhr („Der blaue Bock“) hingebungsvoll gepflegt wird. Auch die mitunter an Tangerine Dream erinnernde Musik von Günter Fischer, der Synthesizerpassagen mit Saxophon und Querflöte kombiniert, ist ausgesprochen hörenswert. Bei der Erstausstrahlung hatte „Schmerzensgeld“ 19,22 Mio. Zuschauer. Nach heutigen Maßstäben sensationell, damals, als das Privatfernsehen noch in den Babyschuhen steckte, ganz normal. (Text-Stand: 13.7.2015)