Aller guten Dinge sind drei: Nachdem sie bisher in zwei „Tatort“-Produktionen des HR („Der tote Chinese“/2008 und „Falscher Hase“/2018) mitwirkte, kehrt die in Freiburg im Breisgau geborene Schauspielerin Johanna Wokalek nun mit der SWR-Episode „Saras Geständnis“ gewissermaßen in die Heimat zurück. Wokalek spielt am Schauplatz Freiburg die Titelheldin, die ernst, gefasst, ungeschminkt und mit wenigen Habseligkeiten in der Hand in die Freiheit zurückkehrt. Ihre Freundin Marlene (Sophie Lutz) begrüßt sie freundlich lächelnd vor der Haftanstalt mit dem Satz: „Hello, Stranger“ – und das ist ziemlich treffend, denn vor ihrer vierjährigen Knastzeit war diese stille, niedergedrückt wirkende Sara ein dem Alkohol und Partys zugeneigtes Feierbiest aus wohlhabender Familie. Vier Jahre saß sie in Haft, weil sie ihren Vater im Suff erstochen haben soll. Ein altes Verhör-Video der Polizei zeigt eine ganz andere Person als die, die da gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde: Sara sitzt aufgedonnert und leicht abgerissen wie nach einer durchzechten Nacht dem damaligen Kommissar Werner Bauder (Werner Wölbern) gegenüber, sitzt lässig auf dem Stuhl und streckt auch mal den Mittelfinger in die Höhe – und bestreitet die Tat. Später allerdings legte die vom Kommissar und den Boulevardmedien in die Ecke gedrängte Sara ein Geständnis ab, hauptsächlich „damit der Wahnsinn aufhört“, wie sie Kommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und Kommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) erklärt.
Foto: SWR / Benoît Linder
Den Gegensatz zwischen der alten und der neuen Sara spielen Autorin Astrid Ströher und Regisseur Kai Wessel allerdings nicht weiter aus. Der Film bleibt in der Gegenwart, in der die Verurteilte, die ihre Strafe abgesessen hat, erst einmal weich in einem von Familie und Freunden gesponnenen Netz aufgefangen wird. Sara darf vorerst bei ihrer Freundin Marlene wohnen und wird auch von ihrem Ex-Mann Derek (Michael Klammer) und ihrer Tochter Evi (Samirah Breuer) mit offenen Armen aufgenommen. Zum Begrüßungsfest in der Freiheit kommen außerdem Ines (Annette Strasser), mit der sich Sara im Gefängnis angefreundet hatte, und deren Freund Robert (Atef Vogel). „Ich will einfach nur mit euch nach vorne schauen“, so Sara, aber die Hoffnung auf einen unbeschwerten Neuanfang erfüllt sich erwartungsgemäß nicht. Ein ehemaliger Polizist ruft sie mehrfach an. Sara sagt, sie wolle nicht mit ihm sprechen, aber dann steht er am Abend des Begrüßungsfests vor dem Fenster von Marlenes Wohnung. Tags darauf wird seine Leiche mit zwei Stichwunden im Rücken gefunden.
„Saras Geständnis“ erzählt von der klassischen Tätersuche und ist zugleich ein psychologisch überzeugendes Beziehungsdrama mit einer interessanten Hauptfigur. Sara ist eine Frau, die selten Emotionen zeigt, nur das Nötigste spricht, ganz zurückgezogen, aber nicht schwach wirkt. Johanna Wokalek vermeidet jedes Klischee, Sara ist weder wehrloses Opfer noch gefallener Engel noch gefühlskalte Erbin eines vermögenden Vaters, sondern eine ganz auf sich zurückgeworfene Frau, die die Vergangenheit hinter sich lassen möchte. Wokalek stattet sie mit sparsamen Gesten, mit Bedacht gesetzten Bewegungen, aber einem offenen Blick aus. Unverkennbar werden traditionelle Rollenbilder und die Diskriminierung einer Frau kritisiert, die sich einen ausschweifenden Lebensstil erlaubte. Weil Sara Partys, Alkohol und Affären genoss, machte sie der Boulevard zur „Hure“, der ein Vatermord ohne weiteres zuzutrauen wäre. Ein anonymer Hinweis bestärkte damals den offenbar voreingenommenen Kommissar Bauder in seiner Abneigung. Und der alte Ruf verfolgt Sara bis heute. Auf ihrer neuen Arbeitsstelle, wo sie als Küchenhilfe tätig ist, wird der Vorarbeiter (Gian Luca Rausch) zudringlich. Stark auch die Szenen mit Sara und Marlene, die von einer zärtlichen und zugleich fragilen Freundschaft zwischen zwei Frauen handeln, die sich schon seit Kindertagen kennen und sich nun ebenfalls wieder ganz neu kennenzulernen scheinen.
Foto: SWR / Benoît Linder
So baut sich die Spannung nicht nur über Wendungen in der Ermittlung, sondern vor allem auch über die Beziehungen und die Entwicklung der Figuren auf. Löbau und Wagner, die beide aus dem Südwesten stammen und somit eine im „Tatort“ durchaus nicht übliche authentische Besetzung sind, überzeugen mit ihrem unprätentiösen Spiel. Sinnvollerweise wird hier auf zusätzliche private Nebenhandlungen um das Ermittler-Duo verzichtet, allerdings haben Tobler und Berg mit verschiedenen Widrigkeiten zu kämpfen. Dabei weht auch ein wenig Zeitgeist durch den Film. Die Polizei ist mal wieder die technisch schlecht ausgestattete, überforderte Behörde. Während ein Webvideo mit einem erregten Kommissar Berg, der von einer aufdringlichen Gafferin provoziert und obendrein beschimpft wurde, umgehend viral geht, funktionieren auf der Freiburger Dienststelle zeitweise weder das Intra- noch das Internet. Und Berg klebt ebenso sprichwörtlich wie buchstäblich „die Scheiße am Schuh“, weshalb Hans-Jochen Wagner meist mit gequälter Miene durchs Bild läuft – ein begrenzt humorvoller, zum Glück (noch) geruchsfreier Auflockerungsversuch.