Tatort – Nemesis

Hanczewski, Gröschel, Brambach, Hammelstein, Wagner. Fragen, viele Fragen

Foto: MDR / Daniela Incoronato
Foto Rainer Tittelbach

Ein Szene-Gastronom ist brutal erschossen worden. Schnabel und Kommissarin Winklers Vater kennen den Toten gut. Das Restaurant diente offenbar als Geldwaschanlage. Auch von Schutzgelderpressung ist die Rede. War die blutige Tat also vielleicht ein Mafia-Mord? Die Kommissarinnen haben bald eine andere Theorie: Mit der Familie des Ermordeten stimmt etwas nicht… Vor allem Cornelia Gröschels Leonie Winkler weiß sich in ihrem zweiten Fall zu bewähren. Die alten Männer in Dresden sind hingegen ein Auslaufmodell. Die Politik der Beziehungen ist in Stephan Wagners „Tatorts – Nemesis“ mindestens so interessant wie der Krimi. Die Opferfamilie mit ihren Treue- & Liebesschwüren, ihren Ängsten & Aggressionen  gibt von Anfang an Rätsel auf. Der Film ist flüssig & mitunter rasant erzählt, dann dominieren kraftvolle Dialoge, und Britta Hammelstein hinterlässt einen starken Eindruck.

Geldwäsche, Schutzgelderpressung: War die blutige Tat vielleicht ein Mafia-Mord?
Ein Szene-Gastronom ist mit einem Kopfschuss brutal hingerichtet worden. Blut, wohin das Auge reicht. Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) ist konsterniert. Er kannte jenen Joachim Benda und dessen Frau Katharina (Britta Hammelstein). Wie gut, das wird sich noch herausstellen. Auch Schnabels pensionierter Ex-Kollege und Kumpel Otto Winkler (Uwe Preuss) ging im Restaurant des Toten ein und aus. Seine Tochter Leonie (Cornelia Gröschel) wittert dahinter unlautere Machenschaften, zumal sie auch der Kontakt ihres Vaters zu einem halbseidenen Geschäftsmann (Marko Dyrlich) irritiert, der das Restaurant offensichtlich als Geldwaschanlage benutzt hat. Als die Witwe und ihre Söhne Viktor (Juri Winkler) und Valentin (Caspar Hoffmann) dann auch noch von Schutzgelderpressung und einem häuslichen Überfall berichten, ist für Schnabel der Fall klar: sieben Schüsse aus einer Waffe mit Vergangenheit – das riecht nach Mafia-Mord. Karin Gorniak (Karin Hanczewski) will sich da nicht so schnell festlegen. Und Kollegin Winkler verbeißt sich bald in eine ganz andere Theorie. Ihr Bauchgefühl sagt ihr: Mit dieser Familie stimmt was nicht. Und auch die Ehe war anscheinend nicht glücklich. Benda wollte seine Frau in die Psychiatrie einweisen lassen.

Tatort – NemesisFoto: MDR / Daniela Incoronato
Die Kommissarinnen nehmen die Frau des Toten (Britta Hammelstein) und deren Jungs (Juri Winkler, Caspar Hoffmann) ziemlich hart ran. Chef Schnabel ist entsetzt.

„Für ‚Nemesis‘ haben wir wieder nach einem Thema mit einer großen emotionalen Fallhöhe gesucht.“ (Mark Monheim, Co-Autor, „Tatort – Déjà-vu“)

„Die Staubwolken des ersten Falls haben sich etwas gelegt, Ruhe ist eingekehrt und die Drei haben sich zu einem Team entwickelt, dass sich zunehmend vertraut und ge-genseitig stärkt.“ (Claudia Gröschel)

„Unsere Welt ist zunehmend hysterischen Kommunikationsmustern ausgesetzt. Nicht nur in der Politik erleben wir den Übergang von rationaler Handlung zu manischen Reflexen tagtäglich. Vernunft scheint eine Größe zu sein, die immer weniger als Grundlage des Handelns gilt. Unsere Geschichte ist insofern auch eine Echokammer dieser Entwicklung: Was passiert, wenn das Misstrauen übernimmt?“ (Stephan Wagner, Co-Autor, Regisseur, „Mord in Eberswalde“)

Die Neue hat den richtigen Riecher. Die alten Männer in Dresden sind Auslaufmodelle
Verdächtige Geldbewegungen, vermeintliche Schutzgeldzahlungen, eine Tatwaffe, die bereits bei einem Mord im Rotlichtmilieu benutzt wurde – auch wenn diese Spuren im Nichts verlaufen, so ist doch die erste Hälfte des MDR-„Tatorts – Nemesis“ alles andere als Leerlauf. Die Atmosphäre ist angespannt. „Wie gut kanntest du ihn?“, will die junge neue Kollegin von ihrem Ex-Polizistenvater wissen, „hast du Tipps gegeben, wenn’s eng wurde?“ Der Vater weicht aus, protestiert. Seine Vergangenheit dürfte ein mögliches Potenzial für kommende Geschichten bleiben. Dass ausgerechnet das Ermittler-Mäuschen, dessen Einstand in der vorangehenden Episode „Das Nest“ alles andere als souverän war und den eigenen Vater an den Fähigkeiten seines Nachwuchses zweifeln ließ, diesmal den richtigen Riecher hat, rückt das Verhältnis zwischen den Bullen der alten Schule und den forschen Jungermittlerinnen zurecht und ist ein Hinweis auf das künftige Kräfteverhältnis: Die alten Männer in Dresden sind Auslaufmodelle, an denen es sich abzuarbeiten gilt. Die feine Klinge ist das nicht gerade, aber es ist von Wert für die Richtungsbestimmung der Kommissarinnen. Und so handeln denn auch die beiden Frauen, während die Männer jammern („Diese Stadt geht vor die Hunde“), den Chef raushängen lassen („so und jetzt raus!“), beleidigen („Fehlt da oben irgendwas?!“) oder im Fernsehsessel abhängen. Neben diesen Zwischentönen des Umgangs miteinander bekommt der Zuschauer auch noch Nachhilfe in Sachen moderne Schutzgelderpressung: „Organisierte Kriminalität ist ein Business“, weiß selbst der alte Winkler. Und ein Informant wird da noch konkreter, spricht von einer Win-Win-Situation, bei der der Verlierer allein das Finanzamt ist – und weil’s um Geldwäsche geht, trifft man sich in einer Autowaschanlage.

Tatort – NemesisFoto: MDR / Daniela Incoronato
Einer dieser alten Männer. Zwischen Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und ihrem Vater (Uwe Preuss) scheinen Welten zu liegen. „Hast du dich kaufen lassen?“

Treue- & Liebesschwüre, Ängste & Aggressionen: eine merkwürdige Opferfamilie
Was die beiden Kommissarinnen erst spät erkennen, bekommt der Zuschauer schneller mit: Die emotionalen Beziehungen in dieser Familie sind alles andere als gesund. Übermäßige Nähe, Treue- und Liebesschwüre, aber auch Ausgrenzung („Du machst mich krank, Viktor“), Aggressionen und Angst sind bei den Bendas an der Tagesordnung. Das spezifische Verhältnis der drei wirkt von Anfang an merkwürdig, rätselhaft und wenig liebevoll. Nach einer Filmstunde erst geben die Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, der auch Regie geführt hat, erste konkretere Hinweise auf die Situation in der Benda-Ehe, nachdem sich zuvor Gorniak und Winkler auch schon gefragt haben, ob einer der Ehepartner womöglich eine „Zumutung“ für den anderen war oder ob hier Munition für einen Sorgerechtsstreit gesammelt wurde. Des Krimirätsels endgültige Lösung ist das jedoch noch nicht.

Der ganze Krimi ist ein Quiz: Fragen, viele Fragen! „Hast du dich kaufen lassen?“
Verfolgungsjagd und Showdown auf einem Parkdeck – dieser „Tatort“ bleibt spannend bis zum Schluss, selbst für den, der die Bedeutung des griechischen „Nemesis“ kennt. Der Film ist flüssig und abwechslungsreich erzählt, mal schnittig und rasant, dann mit kraftvollen Dialogen, und Britta Hammelstein hinterlässt als Episodenhauptrolle einen starken Eindruck. Auf Effektivität setzt vor allem auch die Narration. Es gibt viele Richtungen, in die ermittelt wird. Entsprechend zahlreich sind die Fall- und Mord-Hypothesen. Diese werden nicht umständlich ausformuliert, sondern immer wieder in knappe, prägnante Fragen gepackt: Diese Ratespiel-Rhetorik beteiligt den Zuschauer unmittelbar an der Krimihandlung. Dramaturgisch ist das ebenso clever wie durchschaubar – und somit auf Dauer etwas einfallslos. Andererseits spiegelt sich in diesem Frage-Spiel gelegentlich auch die Politik der Generationen. So stellt die Tochter ihrem Vater die Gretchenfrage für Polizisten: „Hast du dich kaufen lassen?“

Tatort – NemesisFoto: MDR / Daniela Incoronato
Sie erkennen mehr und mehr, was sie aneinander haben: Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel), die Neue, die sich diesmal sehr viel besser anstellt als bei ihrem ersten Fall, müssen sich nicht nur gegen die alten Männer behaupten.

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Reihe

MDR

Mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Britta Hammelstein, Juri Winkler, Caspar Hoffmann, Leon Ullrich, Peter Trabner, Uwe Preuss, Marko Dyrlich

Kamera: Hendrik A. Kley

Szenenbild: Jurek Kuttner

Kostüm: Ramona Klinikowski

Schnitt: Susanne Ocklitz

Musik: Ali N. Askin

Redaktion: Sven Döbler

Produktionsfirma: Wiedemann & Berg

Produktion: Nanni Erben

Drehbuch: Mark Monheim, Stephan Wagner

Regie: Stephan Wagner

Quote: 8,58 Mio. Zuschauer (27,3% MA)

EA: 18.08.2019 20:15 Uhr | ARD

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