Vier Menschen, die aus dem Kongo Zuflucht in Köln gefunden haben, stehen im Blickpunkt: Zwei sterben früh, die anderen beiden begegnen sich erst kurz vor dem Ende des Krimis. Mitten in der Nacht wird der afrikanische Arzt Dr. Patrick Wangila auf dem Nachhauseweg aus der Klinik erstochen. Ein rassistisches Verbrechen oder eine Beziehungstat? Die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) durchleuchten das Umfeld des Opfers: Der als Kriegsflüchtling anerkannte Mann war mit der Deutschen Vivien (Anne Ratte-Polle) verheiratet. Seine Kollegin, die Ärztin Dr. Sabine Schmuck (Julia Jäger), hatte Wangila aufgrund einer Empfehlung nach Köln in die Klinik geholt und ihm die Stelle beschafft. Sie kümmert sich gemeinsam mit Krankenpflegerin Angelika Meyer (Laura Tonke) auch ehrenamtlich um traumatisierte Menschen. Als Dr. Roth (Joe Bausch) feststellt, dass Dr. Wangila kurz vor seinem Tod noch Geschlechtsverkehr hatte, deutet vieles auf eine Beziehungstat hin. Doch dann stoßen die Kommissare auf einen Vorfall in einem Kölner Flüchtlingsheim wenige Tage zuvor, bei dem eine Kongolesin starb und ihre Begleiterin namens Cecil (Thelma Buabeng) flüchten konnte. Die Verbindung: Dr. Wangila war als Notarzt vor Ort im Einsatz! Dessen Bruder Théo will den Täter ebenfalls finden – um jeden Preis. Auch dessen Körper ist – wie der der toten Frau – übersät von Narben…
Rainer Butt, regelmäßiger Drehbuchschreiber für die ARD-Erfolgsserie „Großstadtrevier“ und Autor zweier RBB-„Polizeiruf 110“-Folgen („Wolfsland“ und „Über den Dächern von Schwerin“), hat in den 1990er-Jahren auch als Radio-Polizeireporter gearbeitet. Er kennt die reale Polizeiarbeit. Im „Tatort – Narben“ erzählt er einen schlüssigen Fall. Klug legt er falsche Fährten, leuchtet alle Beteiligten aus, um bis zum Finale die Spannung aufrecht zu erhalten. Es ist derzeit heikel, Geschichten über Flüchtlinge zu schreiben, vor allem, wenn nicht alle Flüchtlinge als gute Menschen rüberkommen. Oft versuchen Autoren political correctness über alles andere zu stellen. Butt zeigt hier Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire), aus dem nach aktuellen Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks derzeit mehr als 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Er befasst sich mit Opfern und Tätern, zeigt Gute und Böse, Gefolterte und Folterer, Traumatisierte und Mörder, die nebeneinander in Deutschland leben. Den Background zur Story verarbeitet der Autor geschickt, weil wenig erklärend, sondern mehr durch Handlungen der Protagonisten. Und es gelingt ihm – anders als in vielen Köln-„Tatorten“ – die Kommissare nicht mit persönlichen Befindlichkeiten und Privatproblemen „vollzutexten“. Ballauf und Schenk bleiben stets dicht am Fall, das tut der Stringenz des Erzählens und auch der Emotionalität und Komplexität der Geschichte gut. Der Titel „Narben“ steht für sichtbare Verletzungen, aber auch für seelische Wunden, die nicht heilen und für immer spürbar bleiben. Es geht um die Folgen von Folter, von Misshandlung, körperlicher und seelischer Pein. Und um Täter, die in Deutschland als vermeintlich ehrenwerte Leute leben, aber in ihrer Heimat weiter die Fäden ziehen. Ein brisantes Thema, ein schwerer Stoff, eine aufwühlende Geschichte, die Beklemmung verursacht.
Das „Tatort“-Duo Köln steht wie kaum ein anderes für die Beschäftigung mit gesellschaftlich relevanten Themen. Die Cops vom Rhein sind oft nah am aktuellen Geschehen. Das führt manchmal dazu, dass die Filme etwas zu erklärend oder gar dozierend geraten, manchmal aber stimmt die Balance, dann wird der (moralische) Zeigefinger nicht zu sehr gehoben, sondern mit dramaturgischen Kniffen und fiktionalen Spielmöglichkeiten ein Thema spannend & informativ zugleich aufbereitet. „Narben“ ist ein gelungenes Beispiel dafür.
Inszeniert hat den „Tatort – Narben“ einer, der bereits acht Filme der ARD-Vorzeige-Reihe gedreht hat (zuletzt den Köln-„Tatort – Der Fall Reinhardt“) sowie TV-Filme von „Romy“ über „Schurkenstück“ bis „Jahr des Drachen“ in Szene gesetzt und zwei Deutsche Fernsehpreise gewonnen hat: Torsten C. Fischer. Wie der Filmemacher die Kommissare wohltuend behutsam und zurückgenommen durch den Krimi führt, ihnen die – gerade bei Ballauf sonst häufig zu sehende – Larmoyanz nimmt, das tut diesem „Tatort“ gut. Den Film tragen fünf sehr unterschiedliche Frauen: die Witwe Vivien, die Ärztin Dr. Schmuck, die Krankenpflegerin Angelika Meyer, die Kongolesin Cecil und Ballaufs „Freundin“ Lydia Rosenberg (Juliane Köhler). Wie Fischer diese Charaktere zusammenführt, wie er sie mit wenigen Gesten oder Szenen charakterisiert, zeugt von intensiver und genauer Arbeit. Wie behutsam er beispielsweise die Alkoholabhängigkeit der Ärztin Dr. Schmuck zeigt, die bedingt durch die enorme psychische Belastung bei der Arbeit mit traumatisierten Frauen zur Flasche greift, ist klug und überlegt. Einmal sieht man sie zwei Gläser trinken, das reicht um zu ahnen. dass das fest zu ihrem Leben gehört. Da müssen sich nicht Flaschen türmen oder die Protagonistin wanken. Julia Jäger spielt das zurückgenommen, aber mit großer Intensität.
Der „Tatort – Narben“, Fall 66 für Ballauf & Schenk, ist wieder mal ein sehenswerter Köln-Krimi: ein brisantes Thema, differenziert erzählt, schnörkellos inszeniert, mit der richtigen Balance zwischen Krimi-Spannung und harten Facts, in der Ensembleführung überzeugend, weil jede der handelnden Figuren ihren Raum und ihre Spielmöglichkeiten bekommt. Dieser Krimi steht für das, was diese Reihe leisten kann: kluge Unterhaltung, die über die 90 Minuten hinaus den Zuschauer beschäftigt und bewegt. (Text-Stand: 8.4.2016)