Wenn der Vater mit dem Sohne… auch noch Vater und Sohn spielen: Grimme-Preisträger Edgar Selge und sein Sohn Jakob Walser stehen in diesem „Tatort“ aus Berlin zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera. „Machtlos“ zeigt Selge in einer starken Rolle, das Krimi-Kammerspiel ist atmosphärisch dicht und intensiv inszeniert, aber die Geschichte, deren pfiffiger und ungewöhnlicher Beginn große Erwartungen weckt, nimmt eine enttäuschende Wendung. Statt das Psycho-Duell auszureizen, setzt Autor Klaus Krämer auf eine (finanz)politische Botschaft – und die kommt auch noch schnurgerade rüber. So bleibt der neue Fall der Hauptstadt-Cops Ritter und Stark gerade mal knapp über dem Durchschnitt.
Berlin. Der neunjährige Benjamin wird aus der Wohnung seines Musiklehrers entführt. Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) werden als Kontaktpersonen für die Eltern eingesetzt. Linda (Lena Stolze) und Hermann Steiner (Horst Günter Marx) verbringen Stunden voller Angst, bis sich der Entführer meldet. Die ersten 500.000 Euro Lösegeld übergibt Linda Steiner am Alexanderplatz. Der Entführer nimmt das Geld, beginnt, es unter den Passanten zu verschenken und lässt sich schließlich problemlos festnehmen. Seine zweite Lösegeldforderung möchte er den Eltern persönlich mitteilen – den Aufenthaltsort von Benjamin verschweigt er. Bei dem Entführer handelt es sich um Uwe Braun (Edgar Selge) – einen Mann ohne festen Wohnsitz, ohne Bankkonto, ohne Kontakt zu seiner Familie. Als die Eltern ihm im Vernehmungszimmer begegnen, stellt sich heraus, dass Bankdirektor Hermann Steiner den Mann kennt. Er kann sich nur nicht gleich erinnern, aus welchem konkreten Zusammenhang. Uwe Braun weiß das genau – und stellt seine zweite Lösegeldforderung: Zehn Millionen Euro, oder das Kind wird verdursten. Ritter und Stark müssen Braun von seinem Vorhaben abbringen. Ein Wettlauf gegen die Uhr und um das Leben des Kindes.
Für Buch und Regie von „Machtlos“ zeichnet Klaus Krämer verantwortlich. Der hat für die Berliner Kommissare auch schon den bemerkenswerten „Tatort: Hitchcock und Frau Wernicke“ geschrieben und inszeniert. Krämer liebt und beherrscht das Spiel mit und in geschlossenen Räumen. Teile des Krimis finden im Vernehmungsraum statt. Dem Regisseur gelingt es, eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen. In langen, intensiven und quälenden Einstellungen müssen sich die Kommissare durch das Verhör arbeiten. Das Psycho-Duell ist sehenswert. Nicht nur, weil Selge gewohnt beeindruckend den Entführer sein Macht-Spiel spielen lässt, sondern auch, weil die beiden Kommissare im Gegensatz zu sonstigen Einsätzen bemerkenswert ruhig und unaufgeregt agieren – und das obwohl oder weil sie „machtlos“ sind. Anregungen zu ihren Rollen holten sich Raacke und Aljinovic dafür beim (realen) LKA in Berlin. Das Ruhigbleiben, das gezielte Nachfragen und das Selbstbewusstsein der Ermittler – das haben die Schauspieler bei einem Treffen mit echten Ermittlern gelernt, sie unterzogen sich dabei selbst einer Verhörsituation, in der sie einen Mörder samt Komplizen geben durften.
Edgar Selge über die erste Zusammenarbeit mit seinem Sohn:
„Die Besetzung spekuliert sicherlich auf Ähnlichkeiten im Aussehen und in den Körperhaltungen. Mit der Kompliziertheit, der Vetracktheit verwandtschaftlicher Beziehung spielerisch umzugehen, war hier die sehr reizvolle Aufgabe.“
Die Schwächen dieses Krimis liegen im Drehbuch. Braun wurde von dem Banker um seine Existenz gebracht, hat alles verloren – was als Rachegeschichte beginnt, erhält reichlich unvermittelt eine politische Dimension. Wenn Edgar Selge das Schweigen über sein Motiv bricht und einen Monolog hält über Banken, die auf steigende Lebensmittel spekulieren und mithelfen, Menschen in den Tod zu stürzen, dann erschließt sich das nicht aus der Handlung und der Figurenzeichnung, sondern wirkt aufgesetzt und arg belehrend. „Ich will ein Zeichen setzen“, sagt Braun zu seinem (Film-)Sohn Michael. Ein Satz, der dafür steht, dass dieser „Tatort“-Krimi letztlich dann doch etwas zu viel will. In Erinnerung bleibt er durch eine nuanciert spielende Lena Stolze, einen famosen Selge und dessen erstem Zusammenspiel mit seinem Sohn Jakob Walser, der im Theater zu Hause ist und in „Machtlos“ seine erste, wenn auch kleine, professionelle Filmrolle meistert. (Text-Stand: 6.12.2012)