Tatort – Lenas Tante

Folkerts, Bitter, Ursula Werner, Vogler, Dähnert, Lass. Der Besuch der alten Dame

Foto: SWR / Benoit Linder
Foto Tilmann P. Gangloff

„Lenas Tante”, der 77. „Tatort” mit Ulrike Folkerts (SWR), könnte sich anfangs auch zur Komödie entwickeln, denn die Titelfigur, eine pensionierte Staatsanwältin, entpuppt sich als ebenso resolut wie übergriffig. Tatsächlich ist die Handlung des Krimis eine ganze Weile lang nicht weiter ungewöhnlich: Nach dem makabren doppelten Ableben eines Altenheimbewohners scheinen die Ludwigshafener Kommissarinnen einem Pflegebetrug der Heimleiterin auf die Schliche zu kommen; doch dann entwickelt sich Stefan Dähnerts Geschichte in eine völlig andere Richtung, deren Wurzeln achtzig Jahre zurückliegen. Die Inszenierung (Tom Lass) setzt zwar keine nennenswerten Akzente, aber das Ensemble ist sehenswert, was vor allem für die alten Herrschaften rund um Ursula Werner gilt.

Wenn ein 96 Jahre alter Bewohner eines Seniorenstifts das Zeitliche segnet, fragt in der Regel niemand nach der Todesursache. Das ändert sich, als Fritz Herrweg ein zweites Mal stirbt und einem Bestatter im Krematorium den Schock seines Berufslebens beschert: Als die Flammen den Sarg ergreifen, öffnet sich der Deckel, aber jede Hilfe kommt zu spät. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass der keineswegs zuckerkranke alte Fritz Opfer einer Überdosis Insulin geworden ist. Nun sind Morde im Seniorenheim ein zwar wenig geläufiges, aber durchaus nicht ungewöhnliches Krimisujet, dieser Stoff allein würde also nicht reichen, um „Lenas Tante“, den 77. „Tatort“ mit Ulrike Folkerts, zu einem besonderen Film zu machen. Doch da ist ja noch die Titelfigur: Die pensionierte Staatsanwältin Niki Odenthal (Ursula Werner) entpuppt sich als Nervensäge, die kein Verständnis dafür hat, dass ihre Nichte immer noch in der finstersten Provinz versauert, obwohl sie ihre Karriere angesichts des bisherigen Erfolges längst in der Landeshauptstadt fortsetzen müsste. Natürlich mischt sich die Tante, die zu ihrer aktiven Zeit einen „Ruf wie Donnerhall“ genoss, auch in die Ermittlungen ein, aber das durchaus nicht ohne Eigennutz: Die Vogelkamera eines Heimbewohners offenbart, dass die alte Dame schon längst in der Stadt war, als Lena sie vom Bahnhof abgeholt hat. Offenbar hat sie Herrweg kurz vor dessen Tod einen Besuch abgestattet. Aber warum?

Tatort – Lenas TanteFoto: SWR / Benoit Linder
Komödienhafter Überraschungsbesuch von „Tantchen“ im Präsidium. Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Ursula Werner, Annalena Schmidt. Nichte Lena wirkt eher etwas genervt.

Stefan Dähnert schreibt schon seit über dreißig Jahren regelmäßig Drehbücher für die Sonntagskrimis aus Ludwigshafen; von ihm stammt unter anderem die Vorlage für den Odenthal-Klassiker „Tod im Häcksler“ (1991). Diesmal dauert es allerdings eine ganze Weile, bis seine Geschichte zum eigentlichen Thema kommt. Dann jedoch nimmt der Film eine gänzlich unerwartete Wende, an der Tante Niki, die das Heim angeblich als Altersruhesitz in Erwägung zieht, maßgeblichen Anteil hat. Etwa bis zur Hälfte tut der Film so, als ginge es in „Lenas Tante“ in erster Linie um Pflegenotstand und Pflegebetrug: Odenthals Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) vermutet, die Heimleiterin (Cristin Busse) sediere ihre Schutzbefohlenen, wenn ein Besuch des medizinischen Dienstes bevorsteht, damit die alten Leute einen höheren Pflegegrad bekommen und das Heim mehr Geld erhält. Vor diesem Hintergrund wäre Odenthals Besuch bei Herrwegs Enkel (Niklas Kohrt), einem verschwörungsgläubigen Holocaust-Leugner, bloß ein skurriler Exkurs, aber die Trauerfeier inklusive eines Kranzes mit dem SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ sowie ein Abstecher Sterns zur elsässischen KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof lassen keinen Zweifel mehr daran, dass Dähnerts Drehbuch ein ganz anderes Ziel hat

Tatort – Lenas TanteFoto: SWR / Benoit Linder
Pflegerin Simona (Maja Zećo) kümmert sich intensiv um Herrn Kahane (Rüdiger Vogler), der gar nicht so hilfebedürftig ist, wie es den Anschein hat. In dem Krimi geht es offenbar um Pflegebetrug. Doch dann entwickelt sich der Plot von Autor und Lena-Odenthal-Kenner Stefan Dähnert („Die Fahnderin“ / „Tatort – Die Pfalz von oben“ / „Kommissarin Lucas – Die Unsichtbaren“) in eine völlig andere Richtung.

Soundtrack: SQÜRL („Magic Hour“), Luciano Pavarotti („Manon Lescaut: Donna non vidi mai“), Gianna Nannini („Bello e impossibile”), Art Garfunkel („The Things We’ve Handed Down”)

Regie führte der ansonsten vor allem als Schauspieler tätige Tom Lass, der mit „Lenas Tante“ nach verschiedenen Kinofilmen sowie Episoden für die Serien „Druck“ (funk) und „Liebe. Jetzt!“ (ZDF neo, 2020) seinen ersten Fernsehfilm gedreht hat. Seine Inszenierung setzt keine auffälligen Akzente, aber die Bildgestaltung durch den SWR-Kameramann Michael Merkel ist sorgfältig, die Kammermusik ist interessant und passt prima zur Handlung, und die Arbeit mit dem Ensemble ist durchweg gut. Ursula Werner hat spürbar Spaß an ihrer Rolle als eigenwillige Pensionärin, die das Revier mit Anekdoten unterhält und zu allen einen guten Draht hat; außer zu ihrer Nichte. Dabei ist gerade Lena der Tante zu tiefstem Dank verpflichtet, wie Dähnert verrät. Nicht minder sehenswert sind die weiteren Mitwirkenden. Sehr präsent ist Maja Zeco als Altenpflegerin, die sich vor nichts fürchtet, weil sie aus Bosnien stammt. Rüdiger Vogler spielt Herrwegs Zimmernachbarn, der angesichts seiner angeblich erheblichen Pflegebedürftigkeit erstaunlich vital ist und sich über den nun freigewordenen Fensterplatz freut, Dieter Schaad einen weiteren Heimbewohner, dessen Super-8-Film von den Grauspechten vor seinem Fenster Lena erst darauf bringt, dass Tante Niki in die Sache verwickelt ist. Als es zu einem weiteren Todesfall kommt, gerät die alte Dame gar in Mordverdacht. Wenig zielführend ist allein das romantische Geplänkel zwischen Stern und dem Arzt, der den Totenschein ausgestellt hat: Hanno Roters (Johannes Dullin) wirkt überhaupt nicht wie ein Mann, der die Kommissarin aus dem Konzept bringen könnte, aber die Wege der Liebe sind natürlich unergründlich. Der Beitrag dieses zum Teil unnötig ausführlich erzählten Handlungsstrangs zur Wahrheitsfindung ist dennoch recht überschaubar.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

SWR

Mit Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Ursula Werner, Rüdiger Vogler, Maja Zeco, Cristin König, Dieter Schaad, Annalena Schmidt, Peter Espeloer, Niklas Kohrt, Johannes Dullin, Kailas Mahadevan

Kamera: Michael Merkel

Szenenbild: Stefanie Probst

Kostüm: Stephanie Kühne

Schnitt: Sabine Garscha

Musik: Manouk Roussyalian

Redaktion: Ulrich Herrmann

Produktionsfirma: Südwestrundfunk

Produktion: Nils Reinhardt

Drehbuch: Stefan Dähnert

Regie: Tom Lass

Quote: 8,99 Mio. Zuschauer (28,2% MA)

EA: 22.01.2023 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach