Tatort – Hundstage

Hartmann, Schudt, Tezel, Konarske, Jeltsch, Stephan Wagner. Verlusterfahrungen

Foto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Foto Rainer Tittelbach

Die Stadt glüht. Faber und Bönisch fällt es schwer, einen klaren Kopf zu bewahren. Sie spürt Versagen, er Verzweiflung. Das bringt sie einander näher. Den Protagonisten in „Hundstage“ ist etwas verloren gegangen – ein (ungeborenes) Kind, das Glück, der Glaube, dass alles gut werden kann. Dem überraschend starken Projekt „Tatort“ Dortmund setzen Christian Jeltsch & Stephan Wagner im achten Film, einem raffiniert konstruierten Polizeifilm, die Krone auf. Bestechend ist das großartige Ensemblespiel und der geradezu hypnotisch-pulsierende Erzählrhythmus (inklusive Score). Gesellschaftliche Zwischentöne sind elegant in die dichte Narration eingeschrieben. Und bei allem Drama bleibt der Film ein richtiger Krimi!

Alte Geschichten, aktuelle Verzweiflungen
Die Hitze liegt über der Stadt. Faber, Bönisch, Dalay und Kossik versuchen dennoch, einen kühlen Kopf zu bewahren. Den beiden erfahrenen Kommissaren fällt das schwer, konfrontiert sie der neue Fall doch ständig mit ihren persönlichen Schwächen. Zwei Menschen strampeln nächtens im Dortmunder Hafen um ihr Leben. Faber (Jörg Hartmann) rettet eine Frau, für den anderen, einen Geschäftsmann kommt jede Hilfe zu spät. Hat Faber den Falschen aus dem Wasser gezogen? Ein Zeuge hat jedenfalls gesehen, dass jene Judith Stiehler (Anne Ratte-Polle) den Mann erschossen hat. Was macht aber eine Verkäuferin mit einem Top-Manager spätabends an diesem Ort? Und weshalb sprang die Frau, obwohl sie nicht schwimmen kann, ins Wasser? Bei Martina Bönisch (Anna Schudt) reißen der Tote und seine Frau, Eva Dehlens (Maren Eggert), alte, tiefe Wunden auf. Der dreijährige Sohn der Dehlens’ war vor 14 Jahren spurlos verschwunden. Es war einer ihrer ersten Fälle, ihr eigener Sohn schwebte damals in Lebensgefahr, heute räumt die Kommissarin ein, damals Ermittlungsfehler gemacht zu haben. Während sie und Faber ihren Schmerz betäuben, beendet das Ex-Paar Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske), durch dessen Dienstaufsichtsbeschwerde Faber nun einen Psychologen an der Backe hat, ihren Kollisionskurs. „Wir kriegen das hin“, versichern sie sich gegenseitig. Aber warum trinkt dann Kossik während der Arbeit?

Tatort – HundstageFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Nach einem Besuch beim Psychologen, Folge von der Dienstaufsichtsbeschwerde, die Kossik (Stefan Konarske) gegen ihn erwirkt hat, ist Faber (Jörg Hartmann) schnell wieder auf der gewohnten Betriebstemperatur und muss sein Mütchen verbal kühlen. Dafür gibt’s vom Kollegen was auf die Schnauze. Aber auch Faber ist mehr als ein Maulheld… Bönisch (Anna Schudt) wendet sich ab mit Grausen: tiefes Neandertal! Aylin Tezel

Verluste als Band zwischen den Protagonisten
„Ich habe mein Kind verloren“, diesen Satz, den Faber im Rausch ständig wiederholt, in der Hoffnung, dem Unglück seines Lebens, dem Verlust seiner Frau und seiner kleinen Tochter, eine tiefere Wahrheit zu entlocken, ist ein Leitsatz, der die Biographien der Hauptprotagonisten des achten „Tatorts“ aus Dortmund wie ein unsichtbares Band zusammenhält. Was Fabers Kollegen angeht: Da gab es die Abtreibung des gemeinsamen Kindes der beiden Youngsters, und Martina Bönisch versucht seit einiger Zeit, mit dem gefühlten Verlust ihres Sohns, der sich nach der Trennung für den Vater entschieden hat, vernünftig umzugehen. Aber auch der Krimifall von „Hundstage“ kreist um den Verlust der eigenen Kinder und verloren gegangenes Familienglück. Die Frau des Toten behauptet, dass die von Faber gerettete Verkäuferin vor 14 Jahren ihr Kind gestohlen habe. Nun hat sie ihr offenbar auch noch den Ehemann genommen. Aber weshalb das Treffen? Wollte der Manager mit Geld dem jahrelangen Hin und Her ein Ende machen? Wurde der renommierte Unternehmer vielleicht erpresst von der Frau, die sich womöglich bezahlen lassen wollte dafür, dass sie die Übergriffigkeit seiner psychisch kranken Frau nicht öffentlich macht? Aus dem Hafenbecken werden jedenfalls 100.000 € geborgen.

Konfrontations- und Kollisionspause fürs Team
Autor Jürgen Werner hat mit seinen sieben Drehbüchern das Fundament für den „Tatort“ aus Dortmund gelegt und damit maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser WDR-Ableger des ARD-Krimiflaggschiffs zur größten Überraschung der letzten Jahre wurde; sicherlich auch, weil die Erwartungen nicht übermäßig hoch waren: Werner galt als Vielschreiber, Jauch als Regie-Routinier, und einen „Star“ im Team gab es auch nicht. Der Autor Christian Jeltsch hatte nun das Vergnügen, wie schon Werner selbst mit „Auf ewig Dein“ und Hydra“, Film 4 und 5, nach klugem Aussähen die Ernte einzufahren: Und so ist nach zwei weiteren Episoden, in denen die Beziehungs- und Konflikt-Parameter innerhalb des Kommissariats leicht verschoben wurden, nun der achte „Tatort“ aus der BVB-Stadt der bislang beste. Das liegt maßgeblich an Jeltsch selbst, der dem seit jeher durch das horizontale Erzählen biographisch überaus stark ausgestatteten Dortmunder Team – trotz eines kurzen handgreiflichen Scharmützels zwischen den beiden Testosteron-Bullen – untereinander eine Konfrontations- und Kollisionspause gönnt. In „Hundstage“ sind vor allem Selbstzweifel angesagt. Habe ich vor 14 Jahren versagt? fragt sich Bönisch. Faber wird grundsätzlicher: Bin ich überhaupt ein guter Bulle? „Warum sind Sie Polizist geworden?“, will der Psychologe von ihm wissen. Eine Frage, die den Kommissar völlig aus der Spur bringt. „Die Frage trifft ihn deshalb so, weil seine Familie noch leben würde, wenn er einen anderen Beruf hätte“, interpretiert Jörg Hartmann die Situation. Und so hört man immer wieder Fabers Tochter fragen: „Warum bist du Polizist geworden?“ Jetzt muss er den Beruf weiter ausüben, weil Ermitteln das ist, was er kann. Hartmann: „Nur durch seine spezielle Art des Ermittelns spürt er sich überhaupt noch.“

Tatort – HundstageFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Eines der „Themen“ des Films: die Sehnsucht nach Nähe. Wenn nur Mel Dehlens (Sinje Irslinger) auch mal diese Verbundenheit spüren würde. Bei ihrer Mutter dreht sich alles nur um den verlorenen Sohn! Patrick Mölleken, Anne Ratte-Polle, Dirk Borchardt

Ungute Befindlichkeiten vs. kühles Ermitteln
Und damit sich nun Fabers Selbstzweifel, Wut und Selbsthass nicht zu Schlimmerem auswachsen, lässt Jeltsch den Kamikaze-Bullen und seine Kollegin nach einem durchzechten Abend den Weg zurück in die Professionalität finden. Beides, Besäufnis wie Läuterung, erfahren sie gemeinsam. Selten waren sich die beiden so nahe. Bönisch, die nach ihrer Trennung nur bei One-Night-Stands oder einem Callboy Entspannung finden konnte, wäre offensichtlich zu noch mehr Nähe bereit. Ein Flüstern ins Ohr. Darauf Faber: „Lieber nicht.“ Jörg Hartmann und Anna Schudt spielen diese verzweifelte Lebenslust voller Zwischentöne und überraschender Momente (will Bönisch Faber etwa küssen?!). Doch die Biere zur rechten Zeit beleben nicht nur die Beziehung der beiden, sondern sorgen auf Seiten der Kommissarin  für die nötige Offenheit, die sie über den Fall von damals reden lässt. Das Berufliche mit dem Privaten kurzzuschließen, die eigenen Befindlichkeiten gelegentlich über das kühle Ermitteln zu erheben – darin waren die Dortmunder immer schon stark. In „Hundstage“ kommt Jeltschs besonderes Können, Szenen mehrere „Themen“ und ihnen so schon auf dem Papier eine enorme Dichte zu geben, hinzu. Neben den vielfältigen Verlustmotiven sind es vor allem die Erinnerungen an das Glück, die die Ermittlungen in ein melancholisches Licht tauchen.

Tatort – HundstageFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Faber spürt sich nicht – und er zweifelt an dem, was er bisher machte und konnte: seine spezielle Art des Ermittelns. Auslöser war ein Satz des Polizeipsychologen. Der Mann könnte, so er denn in der Reihe bleibt, Fabers „Psychokultur“ bereichern.

Stephan Wagners besondere ästhetische Temperatur
Dieser „Tatort“ ist ein raffiniert konstruierter Polizeifilm. Dass er auch cool aussieht und 90 Minuten in seinen Bann schlägt, das ist selbstredend auch der hohen Inszenierungskunst von Stephan Wagner (Grimme-Preise für „Dienstreise“, „Der Fall Jakob von Metzler“ und „Mord in Eberswalde“) und seinem Team, insbesondere Stammkameramann Thomas Benesch, zu verdanken. Die Hitze der regenlosen Sommertage wird sinnlich spürbar. Aber es ist mehr als die Hitze, die sich nur in Schweißperlen Bahn bricht. Mehr als die erhitzten Nerven, die direkt unter der Haut der herausragenden Schauspieler zucken. Dieser Film besitzt eine besondere ästhetische Temperatur: sein Rhythmus besitzt etwas Pulsierend-Hypnotisches, die Szenen fließen ineinander, der Tag schält sich aus dem Dunkel einer langen Nacht, in der viel Bier in die trockenen Kommissarskehlen geschüttet wurde. Der verhinderte Downbeat-Electro-Score von Krautrock-Urgestein Irmin Schmidt (Can) mit seinen gelegentlich kaum wahrnehmbaren Soundflächen und den häufig nur kurz angeschlagenen Tönen, die so klingen, als wollten sie zu einem TripHop-Song abheben, spiegelt die Dynamik, die der Film atmet, typisch wider; denn auch Wagners Bild-Montage arbeitet seit jeher explizit mit dem Formprinzip kurz/lang. Daraus ergibt sich ein Erzählrhythmus, der sehr ökonomisch ist, also ohne Redundanzen auskommt, und der mal schöne Beiläufigkeit, mal hohe physische Dringlichkeit besitzt.

Gesellschaftliches in die Narration eingebunden
„Hundstage“ führt nicht nur das intelligent weiter, was in den letzten Jahren biographisch für Faber & Co entwickelt wurde, dieser Film ist auch für sich überaus reich an Geschichten, an Aspekten von Zeitgeistigem und moralischer Kultur. Da ist die Sehnsucht nach dem Glück, ist die Familie als stärker denn je erhoffter Hort der Gemeinschaft, aber auch des Schreckens, da ist der Versuch, sein Schäflein ins Trockene zu bringen, die sozialisierte Gier, da konkurrieren emotionale Nähe mit den ökonomischen Möglichkeiten, und da sind die Biographien der Protagonisten, da ist die Vergangenheit, die das Leben in der Gegenwart mitbestimmt. Erzählt wird auch vom sozialen Gefälle, von Arm und Reich – und das Geld regiert auch in dieser Geschichte die Welt. Jeltsch findet kluge Wege, um neben den psychologischen Dispositionen der Kommissare auch Gesellschaft in die Geschichte zu integrieren, nicht in Form eines spannenden Themenfilms wie bei „Hydra“, sondern indem er „Klassengegensätze“ auf das Personal eines Krimis herunter bricht und diese Themen dicht in die Narration einwebt. Und Stephan Wagner taucht alles in einen filmischen Rhythmus, der einen trotz vieler Dramen nie vergessen lässt, dass man sich hier in einem Krimi befindet. Und so festigt der „Tatort“ Dortmund mit „Hundstage“ seine Position in der Top 5 der aktuellen „Tatort“-Ableger.

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Reihe

WDR

Mit Jörg Hartmann, Anna Schudt, Aylin Tezel, Stefan Konarske, Maren Eggert, Anne Ratte-Polle, Roland Kukulies, Dirk Borchardt, Patrick Mölleken, Sinje Irslinger, Verena Altenberger, Sybille Schedwill

Kamera: Thomas Benesch

Szenenbild: Claus Kottmann

Kostüm: Lore Tesch

Schnitt: Susanne Ocklitz

Musik: Irmin Schmidt

Produktionsfirma: Carte blanche Film

Drehbuch: Christian Jeltsch

Regie: Stephan Wagner

Quote: 9,34 Mio. Zuschauer (24% MA); Wh. (2017): 4,67 Mio. (16,1% MA)

EA: 31.01.2016 20:15 Uhr | ARD

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