Kein Glück im trauten Heim eines Abgeordneten: Die Frau von Raoul Ladumer (Cornelius Obonya) wurde durch Messerstiche getötet, die zehnjährige Tochter Jasmin muss lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus gebracht und ins Koma versetzt werden. Kaum haben Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) die Nachricht von dem Verbrechen erhalten, werden sie auch schon von ihrem Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) zurückgepfiffen. Der Innenminister persönlich wünscht, dass nicht sie ermitteln, sondern Kollegin Julia Soraperra (Gerti Drassl), die wie der Abgeordnete aus Tirol stammt. Natürlich fahren Eisner und Fellner trotzdem zum Tatort. Zwar gibt es keine Einbruchsspuren, aber Schmuck und Geld wurden gestohlen. Eisner hält es allerdings für „völlig überzogen“, dass Einbrecher eine Frau und ihr Kind ermorden. War es vielleicht ein Racheakt oder eine Bestrafung, weil sich Ladumer als „selbst ernannte Reinigungskraft der Nation“ (Eisner) im österreichischen Politsumpf viele Feinde gemacht hat und gerade eine Untersuchung gegen die Geschäfte der ukrainischen Unternehmerin Natalia Petrenko (Dorka Gryllus) anstrebt? Oder war es am Ende der Ehemann und Vater selbst, der die beiden Opfer auch gefunden haben will? „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, weiß Bibi Fellner.
Foto: ORF / Hubert Mican
Der „Tatort – Glück allein“ erfreut wieder mit seinem speziellen österreichischen Charme, dieser Mischung aus zum Teil absonderlichen Figuren, bissigen, bisweilen schwarzhumorigen Dialogen und einem Schuss Selbstironie: „Profis bei der Arbeit“, spottet Fellner über sich selbst, als sie die „ukrainische Geschichte“ googelt, in die sich Ladumer „verbissen“ hat, wie sich Eisner dunkel erinnert. Manche Drehbuch-Sätze sind auch einfach nur herrlicher Quatsch: „Kennen Sie das Sprichwort: Schwarze Seelen tragen weiße Hemden“?, fragt Petrenko. „Kennen Sie den Rechtsaußen von Rapid?“, kontert Eisner und lässt sie stehen.
Großartig außerdem Gerti Drassl, die wie in den „Vorstadtweibern“ eine vermeintlich unscheinbare, schwache Frau spielt, hier aber zugleich eine ernsthafte und tragische Neben-Figur verkörpert. Kommissarin Soraperra pflegt einen auffallend freundschaftlichen Umgang mit Ladumer, was sie etwas kurios zu erklären versucht: „Tiroler duzen sich alle.“ In Wahrheit hat sie eine Affäre mit Ladumer, wird von ihm mit Liebesschwüren umgarnt und gleichzeitig unter Druck gesetzt. Kollege Eisner wiederum behandelt sie abschätzig und von oben herab. In einem leicht komischen Nebenstrang versucht Assistent Manfred „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits), dessen Ehe gerade in die Brüche gegangen ist, mit Julia Soraperra anzubändeln. Die Auflösung des Falls ist erschreckend und auch ein bisschen hanebüchen, aber Gerti Drassls Darbietung als überforderte Kommissarin lohnt jedenfalls das Einschalten.
Die Zusammenarbeit von Eisner und Fellner wirkt diesmal harmonischer als in vielen anderen Episoden. Man scherzt miteinander, geht nach Dienstschluss auf einen Absacker in die Kneipe (wobei Bibis Alkoholsucht hier kein Thema ist), sagt sich auch mal die Meinung, aber es bleibt bei einem freundschaftlichen Umgang miteinander. Diesmal ist es Eisner, der von seiner Kollegin ab und zu „eingefangen“ werden muss, denn auf den Abgeordneten Ladumer reagiert der Kommissar allergisch. Dessen „selbstgefällige, arrogante Art“ erinnert Eisner an den eigenen Vater, von dem er in der Kindheit geschlagen wurde, wie man nun erfährt – eine weitere Facette der Figur, die 1999 eingeführt wurde. „Glück allein“ ist die 45. „Tatort“-Folge mit Moritz Eisner, diesem eigensinnigen, widerborstigen, aufbrausenden Kommissar, der hier instinktiv seiner persönlichen Abneigung folgt. Bibi Fellner ist der verbindende Sidekick und sein Korrektiv. Beide sind ein echtes Team – man hält zusammen angesichts der Einflussnahme des Ministers und der internen Konkurrenz mit Soraperra.
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Spannung gewinnt die Folge vornehmlich durch die Spannungen zwischen den Figuren. Der Fall selbst wirkt am Ende auf die Spitze getrieben und schwer nachvollziehbar, immerhin halten Drehbuch und Inszenierung bis zum Schluss alle Möglichkeiten offen. Weil die Diebesbeute bei einem Hehler auftaucht, wird einer der mutmaßlichen Einbrecher schnell ermittelt, doch der Ukrainer Maksym Kuptschyk (Dieter Egermann) schweigt und wird schließlich tot in seiner Zelle gefunden. Der Fall scheint gelöst, aber Eisner – und uns Zuschauer – treibt die Frage um, wer Ladumer wirklich ist. Vor zehn Jahren nahm sich dessen erste Tochter das Leben. Sie hieß wie die zweite Tochter, die nicht mehr aus dem Koma erwachen wird: Jasmin. Beide waren drogenabhängig, auch die Zehnjährige. (Bibi Fellners Reaktion auf diese Erkenntnis: „Ich glaub‘, ich würd‘ jetzt gerne eine rauchen.“) Der bullige Cornelius Obonya gibt zwar den Raoul Ladumer schön zwiespältig, aber die gewaltigen Abgründe, die sich da in der Familie Ladumer auftun, wirken eher herbei konstruiert und vage ausgeleuchtet. Ein trotz der packenden Schlussszene unbefriedigendes Ende.