Tatort – Frau Bu lacht

Abseits der "Tatort"-Routine: Dominik Grafs "befremdlicher" Kindesmissbrauchskrimi

Foto: BR / Rolf von der Heydt
Foto Rainer Tittelbach

Das Beeindruckendste an diesem „Tatort“ ist die Intelligenz und Sensibilität, mit der sich Dominik Graf dem Thema Kindesmissbrauch nähert. Jenseits eines naturalistischen Ausländer-Dramas kehrt der Krimi mit seinen oft bizarren Dialogen immer wieder zum menschenunwürdigen Thaifrauen-Leasing deutscher Eheinstitute zurück. Graf sucht nicht den Konsens, sondern eine starke Geschichte. „Wenn ich 90 Minuten große Kinderaugen, böse Erwachsene & ratlose Polizisten sehe, dann tue ich dem Thema keinen Gefallen.“

Am Anfang gibt es die obligatorische Leiche, doch dann ist fast alles anders als im ritualisierten „Tatort“-Alltag. Dominik Grafs „Frau Bu lacht“ ist ein Schlag ins Gesicht jener Krimi-Routiniers, die des Deutschen liebstes Fernsehgenre in den letzten Jahren zum ästhetischen Fast Food verkommen ließen. Im Krimifall geht es für das Münchner Kripo-Duo Batic und Leitmayr um den Tod eines Konditors, erschossen aus nächster Nähe. Was den beiden zunächst die größten Rätsel aufgibt, ist die Frau des Ermordeten: eine Thailänderin, die mit ihrer fünfjährigen Tochter in einer ungemütlichen Neubausiedlung lebt, die ganze Wohnung voller Schmetterlinge. Ihr Deutsch ist schlecht, ihre Lebensweise seltsam. Den Polizisten bleibt diese Frau fremd. Doch je mehr sie über das entwürdigende Leben von Thai-Frauen in Deutschland herausbekommen, desto besser können sie die Frau verstehen.

Graf erzählt von einer fremden Kultur auf eine fürs Fernsehzuschauer-Auge der 1990er Jahre befremdlichen Weise. Der renommierte Regisseur, der sich nach dem Kinoflop „Die Sieger“ wieder verstärkt dem Fernsehen zuwenden möchte, sieht das allerdings anders. „Die Ästhetik halte ich nicht für so wahnsinnig unkonventionell. Höchstens gemessen am Mainstream, dessen Filmsprache konventioneller geworden ist, wirkt das so.“ Außerdem wollte er die Verwirrung der Kommissare zu Beginn ein wenig mitinszenieren.

Tatort – Frau Bu lachtFoto: BR / Rolf von der Heydt
Die Zeit macht auch vor Fernsehgrößen nicht halt. Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec und Ulrich Noethen

Dominik Graf war schon immer ein Regisseur, dem die Kamera als erzählerisches Mittel und als Ausdruck einer individuellen Haltung besonders wichtig ist. Auch heute, so sagt er, möchte er sich nicht am TV-Movie-Durchschnitt messen. Verständlich, gute Genre-Geschichten hat er bereits vor Jahren mit „Der Fahnder“ oder dem Kinothriller „Die Katze“ erfolgreich gemacht. Er will an die Grenzen des (noch) Machbaren gehen. Bei „Frau Bu lacht“ standen eher literarische Krimis Pate. „Das Polizeifilm-Genre ist ein breites, kreatives Feld. Man muss nur bereit sein, es nutzen zu wollen.“

Das Beeindruckendste an diesem verschachtelt erzählten „Tatort“ ist die Intelligenz und Sensibilität, mit der sich Graf und Autor Günter Schütter ihrem Thema nähern. Jenseits eines naturalistischen Ausländer-Dramas kehrt der Krimi mit seinen oft bizarren Dialogen immer wieder in Wellen zum menschenunwürdigen Thaifrauen-Leasing (mit einem Freibrief zum Kindesmissbrauch) durch deutsche Eheinstitute zurück. Graf spricht vom „Respekt, sich dem Thema zu nähern“. Filmische Sonntagsreden sind seine Sache nicht; der darin beschworene Konsens zerstöre die eigentliche Geschichte nur, in diesem Fall die Tragödie. Graf meint: „Wenn ich 90 Minuten eine Form von Reality-TV sehe, große Kinderaugen, böse Erwachsene und ratlose Polizisten, dann tue ich dem Thema keinen Gefallen, dann walze ich es platt.“ (Text-Stand: 26.11.1995)

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Petra Kleinert, Barbara-Magdalena Ahren, Ulrich Noethen, Anna Villadolid

Kamera: Benedict Neuenfels

Schnitt: Christel Suckow

Musik: Dominik Graf, Helmut Spanner

Produktionsfirma: MTM Medien & Television

Drehbuch: Günter Schütter

Regie: Dominik Graf

EA: 26.11.1995 20:15 Uhr | ARD

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