Tatort – Es lebe der König!

Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Hessler, Alakus. In den Kleidern eines Märchenfilms

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

Der 38. „Tatort“ aus Münster hat eine doppelte Bürde zu tragen. Zum einen ist „Es lebe der König!“ (WDR / Filmpool fiction) unter Corona-Drehbedingungen entstanden, zum anderen wird der Film von Buket Alakus nach dem Drehbuch von Benjamin Hessler nur fünf Wochen nach dem außergewöhnlichen „Limbus“ gesendet. Auch wenn der Schauplatz einer Burg, die Aussicht auf Spiel-im-Spiel-Momente und das Jonglieren mit Märchenmotiven einiges verspricht, so kommt doch dieser klassische Whodunit, der zwar viele Fragen stellt, den Zuschauer aber kaum selbst nach Antworten suchen lässt, nur schwer in Gang. Die verbalen Neckereien mögen die Fans erfreuen, bleiben aber eher harmlos und im Typenkorsett von Thiel, Boerne & Co gefangen. Die stringentere zweite Filmhälfte, in der auch das telegene Burg-Ambiente besser genutzt wird, entschädigt für das langatmige Hin und Her zuvor.

Ein Toter in einer Ritterrüstung – das ist ein Novum für Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers). Der Mann, Manfred Radtke, einst gerühmt als König der Schausteller, ist im Graben seiner Burg ertrunken. Verursachte die Last seiner „Bekleidung“ den Tod oder hat jemand nachgeholfen? Clarissa von Lüdecke (Justine Hauer) hätte ein Motiv: Ihr gehörte einst das prachtvolle, geschichtsträchtige Anwesen, das sie sich eines Tages nicht mehr leisten konnte – und da die Dame erpressbar war, musste sie die geliebte Burg unter Wert verkaufen. Verdächtig machen sich auch Radkes Erben, seine erwachsenen Kinder Claudia (Sandra Borgmann) und Tobias (Marek Harloff) sowie seine zweite, sehr junge Frau Farnaz (Violetta Schurawlow). Jeder der Drei verheimlicht etwas und „mindestens einer von ihnen lügt“, stellt Thiel fest, nachdem eine Burgdurchsuchung wenig erbracht hat. Mehr versprechen sich der Kommissar und Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) von der Trauerfeier, die als ein publicityträchtiges Event auf der Burg veranstaltet werden und neue Sponsoren anlocken soll. Es könnte sogar sein, dass einer der gesuchtesten Kriminellen Europas dem Toten seine Ehre erweist. Für die Ermittler plus Boerne und Haller (ChrisTine Urspruch) heißt das: höchste Konzentration und voller Körpereinsatz. Denn da Klemm eine undichte Stelle wittert, kommt das große Besteck nicht infrage.

Tatort – Es lebe der König!Foto: WDR / Thomas Kost
Schreck bei der Kostümprobe. Die Erschütterung von Claudia Radtke (Sandra Borgmann) über den Tod ihres Vaters wirkt echt. Sich professionell verstellen wie eine Schauspielerin, das dürfte ihr eher nicht gegeben sein; sie ist eine Laiendarstellerin.

Der 38. „Tatort“ aus Münster hat eine doppelte Bürde zu tragen. Zum einen ist „Es lebe der König!“ im Juni und Juli unter erschwerten Corona-Drehbedingungen entstanden, zum anderen wird der Film von Buket Alakus nach dem Drehbuch von Benjamin Hessler nur fünf Wochen nach „Limbus“ gesendet, der zu den besten Münsteraner „Tatort“-Episoden überhaupt zählt. Auch wenn der Schauplatz einer mittelalterlichen Burg, die Aussicht auf Spiel-im-Spiel-Momente und das Jonglieren mit Märchenmotiven Marke „Brüderchen und Schwesterchen“ trifft auf undurchsichtige junge Stiefmutter einiges verspricht, so kommt doch die Krimihandlung nur schwer in Gang. Die Leichenschau und die Feststellung der Todesursache ziehen sich hin. Und die üblichen Verdächtigen lassen bald erahnen, dass sich hier ein klassischer Whodunit anbahnt, einer, der zwar viele Fragen stellt, der den Zuschauer aber nur bedingt selbst nach Antworten suchen lässt. Man muss sich an das halten, was einem Thiel und Boerne kriminalistisch vormachen – und die beiden sind diesmal nicht gerade in Hochform. Auch der neue Kollege Schrader (Björn Meyer), den Klemm ob seiner juristischen Genauigkeit wenig freundlich als „Herrn Staatsbürgerkunde“ tituliert, ist bislang nur Stichwortgeber und Ansprechpartner, damit Thiel seine Gedanken zum Fall loswerden kann. Geredet wird wie immer in Münster viel, einiges ist recht launig, so ein köstlich wortkarger zweifacher Disput zwischen Klemm und einem anderen Staatsanwalt (Christian Hockenbrink) oder eine gebrochene Schmeichelei-Szene zwischen dem eitlen Boerne und einer ebenso attraktiven wie aufdringlichen Maskenbildnerin (Mai Duong Kieu). Die verbalen Neckereien bleiben dagegen eher harmlos und im Typenkorsett von Thiel, Boerne & Co gefangen.

Das Schlussdrittel gleicht – die Stringenz der Handlung betreffend – einiges wieder aus, was zuvor narrativ zu langatmig geraten ist. Außerdem werden gegen Ende auch die telegenen Locations sehr viel konsequenter für den Krimi genutzt. Fast sieht es so aus, als seien dem Hygienekonzept zuvor einige Indoor-Szenen zum Opfer gefallen. Dass „Es lebe der König!“, was die visuelle Anmutung angeht, beginnt wie eine ARD-Degeto-Märchenverfilmung wirkt bei diesem Milieu durchaus passend und lässt sich als leise Ironie lesen, die ästhetisch zum Genre Kriminalkomödie genauso gut passt wie in der Geschichte zum Plan der Radtkes, aus dem alten Wasserschloss einen Veranstaltungsort für Mittelalterspiele zu machen. Irgendwann aber hat man sich an der Oberfläche dieser Schönwetter-Optik in HD und den Drohnenflügen satt gesehen. Auf der Zielgeraden ist dann auch die Inszenierung einfallsreicher. Vor allem, wie Alakus und ihre Gewerke die Trauerfeier, die zu einem Marketing-Event werden soll, mit Montage und Ton im Off simulieren, um diese Sequenzen zum einen produktionstechnisch bezahlbar zu machen und zum anderen nicht durch zu viele Menschen und Aktionen im Bild von dem für den Krimi Wesentlichen abzulenken – das ist clever. Und es sieht mitunter so aus, als ob die Cutter durch Corona mehr zu tun bekommen haben. Dennoch gehen Boerne und Thiel in dieser Nacht einige Male auf Tuchfühlung – das allerdings meist nur im Freien.

Tatort – Es lebe der König!Foto: WDR / Thomas Kost
Ein Highlight: Boerne schafft es nicht allein aus der Rüstung. In dieser Szene gibt es auch noch eine Michael-Jackson-Parodie.

Bei diesem nicht übermäßig aufregenden Krimiplot, den eher durchschnittlichen Schauspielerleistungen (auch der Gastrollen) und einer etwas komplizierten und überraschenden Auflösung, die zwar retrospektiv einige Momente der Handlung neu bewertet und das Ganze im Nachhinein – im Rahmen der Logik einer Krimikomödie – stimmig erscheinen lässt, hätte man sich schon etwas mehr Stil und filmästhetische Raffinesse gewünscht. So gut auch der Schauplatz ist – sein Potenzial wird dramaturgisch wie optisch nicht ausgeschöpft. Aber auch andernorts gibt es wenig zu sehen in diesem „Tatort“. Da ist es schon ein Glanzlicht, wenn Boerne – in Ritterrüstung statt im Monster-Look – den Michael Jackson aus „Bad“ gibt. Angenehm ins Auge fallen auch die kurzen Rückblenden bleiben, in denen die möglichen Mordtheorien märchenhaft & braunstichig monochrom in Szene gesetzt werden. Wenn dazu noch Prahls blaue Augen strahlen, fragt man sich, weshalb Alakus und Kameramann Andreas Höfer nicht mehr Wert daraufgelegt haben, das Burgambiente sinnlicher und visuell reizvoller zum Leben zu erwecken.

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Reihe

WDR

Mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, ChrisTine Urspruch, Sandra Borgmann, Marek Harloff, Violetta Schurawlow, Björn Meyer, Mechthild Großmann, Mai Duong Kieu, Justine Hauser, Paul Faßnacht, Christian Hockenbrink, Claus D. Clausnitzer

Kamera: Andreas Höfer

Szenenbild: Bertram Strauß

Kostüm: Lore Tesch

Schnitt: Andreas Radtke

Musik: Christoph Blaser

Redaktion: Sophie Seitz

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer

Drehbuch: Benjamin Hessler

Regie: Buket Alakus

Quote: 13,60 Mio. Zuschauer (36,5% MA); Wh. (2022): 6,17 Mio. (25,2% MA)

EA: 13.12.2020 20:15 Uhr | ARD

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