Tatort – Dunkelfeld

Meret Becker, Mark Waschke, Kolditz, von Castelberg. Kommissar in der Todesfalle

Foto: RBB / Oliver Vaccaro
Foto Rainer Tittelbach

Kommissar Karow sieht seiner Rehabilitierung entgegen. Doch wenig später ist sein Entlastungszeuge tot und auch für ihn sieht es so aus, als ob er nicht lebend aus der Sache herauskommen würde. Und so ist im vierten Berlin-„Tatort“ mit Waschke/Becker besonders Nina Rubin gefragt. „Dunkelfeld“ beendet das horizontale Experiment mit einer Handlung, in der es ausschließlich um die Auflösung des Fall Karow geht. Ein veritabler Großstadt-Thriller mit einem übermächtigen Gegner. Ein „Tatort“, der filmisch überzeugt, der aber besser wäre, wenn er nicht den dramaturgischen Zwängen der Vorgeschichte entsprechen müsste. Einen Versuch war es wert, die Reihen-Struktur horizontal auszureizen, doch das „Fortsetzungs-Prinzip“ von den Plots auf die starken Charaktere zu verlagern, ist sicherlich sinnvoller.

Robert Karow (Mark Waschke) sieht seiner Rehabilitierung entgegen. Monatelang hat er zu beweisen versucht, dass er seinen Partner Maihack nicht erschossen hat. Dass er zum Zeitpunkt des Mordes eine Affäre mit dessen Frau (Ursina Lardi) hatte, spricht nicht für ihn, und es gibt weitere Verdachtsmomente, die nicht ausgeräumt sind. Doch es hat sich ein Kronzeuge gefunden: Der Mord an seinem Kollegen ist offenbar mit einem Handy gefilmt worden – und jener Andi Berger (Robert Gallinowski) weiß, wo das Video zu finden ist. Doch auf dem Weg zum Staatsanwalt (Holger Handtke) wird der Mann erschossen. Neben ihm Karow, unverletzt und verantwortlich dafür, dass die Überführung in einer ungesicherten Limousine vonstatten ging. Der Staatsanwalt wundert sich zu recht. Dass der Kommissar, obwohl er Zeuge ist, den Tatort wenig später verlässt, macht die Sache nicht besser. Seine Partnerin Nina Rubin (Meret Becker), die eigentlich an diesem Tag die Bar Mitzwa ihres jüngsten Sohnes feiern möchte, spürt, dass ihr Kollege, Hilfe braucht. Außerdem stößt sie, unterstützt von Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow), auf eine heiße Spur: Der Mord an Maihack könnte mit einem Riesenkorruptionsskandal in Verbindung stehen. Weniger erfolgversprechend ist Karows neuerlicher Alleingang. Er endet in Handschellen, neben ihm seine Ex-Geliebte: Gefangen gehalten werden sie von zwei psychopathischen Killern.

„Dunkelfeld“ beendet das horizontale Experiment des Berliner „Tatorts“ mit einer Krimihandlung, in der es ausschließlich um die Auflösung der Karow-Maihack-Vorgeschichte geht. Autor Stefan Kolditz, der auch die erste Episode des Reihen-Ablegers mit Meret Becker und Mark Waschke schrieb, hat einen veritablen Großstadt-Thriller entworfen, in dem nicht im herkömmlichen Sinne ermittelt wird. Der Gegner ist übermächtig; nach Karow bekommt das nun auch Rubin zu spüren. Und so stellt sich die Frage, wie und mit wem sie die Überführung der Drahtzieher einer ganz großen Immobiliensauerei am sichersten durchziehen kann. Noch elementarer für den Spannungsgehalt der Geschichte sind ihre verzweifelten Versuche, den Kollegen aus seiner lebensbedrohlichen Situation zu befreien. Mit einer Kombination aus harten Fakten, magischen Zufällen und weiblicher Intuition deckt die Kommissarin einen millionenschweren Komplott auf. Dass sie am Ende auch den entführten Kollegen retten wird, steht außer Frage – schließlich soll der „Tatort“ Berlin ja mit Mark Waschke weitergehen. Bis zum klassischen Last-Minute-Rescue wird die Zeit allerdings reichlich gedehnt. Grund: Die Rettungs- und Überführungsaktionen der Kommissarin nehmen mehr Zeit in Anspruch als die schmerzvoll-sadistischen Quälereien, denen sich ihr Kollege ausgesetzt sieht. Dadurch wirken die Szenen in einem brachliegenden Bauobjekt (offenbar ein Sinnbild für den kopflosen Berliner Bau-Boom), in dem Karow und seine Ex festgehalten werden, zwischenzeitlich etwas künstlich gedehnt, doch die Rolle, die noch Ursina Lardi als Maihack-Witwe spielen wird, und ein blutiger Trick des Kommissars bringen die parallelen Handlungsstränge schließlich auf der Zielgeraden in einen spannungsdramaturgisch stimmigen Einklang. Was die Atmosphäre insgesamt angeht, stimmt der Film von Anfang an.

Tatort – DunkelfeldFoto: RBB / Oliver Vaccaro
Das war der Kronzeuge! Schlechte Karten für Kommissar Karow (Mark Waschke). „Tatort – Dunkelfeld“ (ARD/rbb, 2016)

Einen Versuch war es wert, die Reihen-Struktur (vier Filme in zwei Jahren) in Richtung auf eine horizontale Erzählweise auszureizen. Der Rostocker „Polizeiruf 110“ hatte das für die Biographie von Charly Hübners Straßenköterbullen erfolgreich vorgemacht. Mark Waschke bekam vor zwei Jahren für seinen unberechenbaren Zyniker Karow die Chance, noch deutlich stärkere Ambivalenzen für seinen Kamikaze-Kommissar zu kreieren. Auch Faber aus dem  Dortmunder „Tatort“, anfangs von Jörg Hartmann wie ein Borderliner gespielt, gehört in diese Reihe provokanter Ermittler, die vor allem anecken – auch bei vielen Zuschauern. Dass Robert Karow – auch wenn er nicht unter Mordverdacht steht – ein Kommissar bleiben wird, der schwer auszurechnen ist, daran sollte sich nichts ändern. „Er ist weder gut noch böse, weder positiv noch negativ“, charakterisierte Waschke seine Figur vor der dritten Episode „Wir – Ihr – Sie“. Bisher war Karow einer, der den Nervenkitzel braucht, Sex mit der Frau eines Kollegen gehört genauso zu seinem Verhaltensrepertoire wie Nötigung mit vorgehaltener Waffe. In „Dunkelfeld“ scheint er nun den Schmerz geradezu zu suchen; er lässt sich ins Bein tackern, ist dafür im Gegenzug nicht weniger erfinderisch – und beißt seinem Gegenüber schon mal das Ohr ab. Dieser Kommissar sucht das Extreme, nicht nur, um zu überleben oder seinem Ermittlungsziel näher zu kommen, sondern auch, um sich selbst zu spüren.

„Dunkelfeld“ ist mehr noch als die drei ersten Filme des neuen Berliner „Tatorts“ ein reiner Genrefilm. Das starke serielle Moment sorgt ebenfalls dafür, dass eine effektive Dramaturgie über das für hiesige Zuschauer noch immer so wichtige Qualitätskriterium „Glaubwürdigkeit“ dominiert. Im Vergleich mit den stringenten Narrationen von horizontalen Premium-Serien wirkt der Fall Karow-Maihack allerdings eher halbherzig – und der Komplott entpuppt sich über die Strecke der vier Filme als ziemlich simpel: Gefälschter Obduktionsbericht, die Affäre mit der Frau des Kollegen und jedes Mal, wenn der Fall kurz vor der Klärung stehen könnte, wird einer, der von dem Handyfilm weiß, brutal ermordet. Man merkt den Plots an, dass sie Kompromisse sind – schließlich sollen auch die Zuschauer, die ein oder zwei Episoden nicht gesehen haben, jedem Film der Tetralogie gut folgen können. Wie gesagt: einen Versuch war es wert. Doch das, was nach den ersten vier Episoden besonders positiv in Erinnerung bleibt, ist nicht die durchgängige Geschichte, sondern die Eigenwilligkeit der Kommissare. Sie und die elaborierte Erzählweise der vier Filme verdecken, dass hier über sechs Stunden lang horizontal eine ziemlich dünne Geschichte geplottet wurde. Und auch „Dunkelfeld“ wäre ein besserer Film, wenn er nicht den dramaturgischen Zwängen der Vorgeschichte entsprechen  müsste. Denn filmisch macht Christian von Castelbergs Krimi-Thriller einem Hauptstadt-„Tatort“ alle Ehre: eindrucksvolle, sinnträchtige Schauplätze, eine Erzählrhythmus, der zu Berlin passt, flüchtig und sprunghaft wie die Kommissare, dazu eine sehr bewegliche Kamera, die den Darstellern folgt und das Physische der Handlung betont. Und ziemlich cool ist auch der Score… Meret Becker, die gesagt hat, „Das Chaos Berlin ist in meiner Figur“, und Mark Waschke, auch in anderen Rollen ein Meister des Uneindeutigen, sind zwei, mit denen (noch) Vieles möglich ist. Die horizontale Erzählung von den Krimi-Plots auf die Charaktere zu verlagern, dürfte deshalb der verheißungsvollere Weg sein. (Text-Stand: 20.11.2016)

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Reihe

ARD Degeto, rbb

Mit Meret Becker, Mark Waschke, Carolyn Genzkow, Holger Handtke, Ursina Lardi, Gerdy Zint, Marc Bischoff, Aleksandar Tesla, Tim Seyfi, Robert Gallinowski, Luc Feit

Kamera: Björn Knechtel

Szenenbild: Wolfgang Arens

Kostüm: Petra Kilian

Schnitt: Julia Karg

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Ernst Ludwig Ganzert

Drehbuch: Stefan Kolditz

Regie: Christian von Castelberg

Quote: 8,36 Mio. Zuschauer (23,7% MA)

EA: 11.12.2016 20:15 Uhr | ARD

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