Schon der Einstieg ist dicht, atmosphärisch und zieht einen sofort in den Bann: Es ist Nacht, der Regen prasselt, ein Beamter in Uniform nähert sich der Polizeiwache, das beleuchtete Schild „Polizei“ über der Tür hat einen Wackelkontakt. Der Mann betritt die Wache, die Kollegen haben es sich gemütlich gemacht, gucken Fußball. Er stellt das Sixpack auf den Tisch: „Habt ihr nichts zu tun? Wie steht‘s?“. „2:1 für Lautern“ lautet die Antwort. Und dann noch ein kurzes „danke, Chef“ hinterher. Der stapft in sein Büro, da sitzt ein weiterer Kollege (Thomas Loibl): „Was los?“. „Der Betze brennt“. „Na, wenn das alles ist, was brennt“. Wir sind in der Pfalz, der Westpfalz. Geht es um Fußball, dann geht es um den 1. FC Kaiserslautern. Geht es um miefige Provinz, dann ist man hier auch nicht verkehrt. In einem Dorf ist diese Polizeistation. Der Leiter heißt Stefan Tries (Ben Becker). Und schon ist klar: Diese Figur spielte schon einmal in einem „Tatort“ eine Rolle. Der lief vor 28 Jahren, hieß „Tod im Häcksler“, es war der erst dritte Fall für Jung-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). Kurz darauf fährt Tries mit einem Kollegen auf Streife, der Jungspund kontrolliert einen LKW-Fahrer, der zu schnell unterwegs war, dann fallen Schüsse, der LKW rast davon, demoliert das Polizeiauto. Am nächsten Morgen steht sie am Tatort: Lena Odenthal. Der junge Beamte ist tot, Revierleiter Tries ist unter Schock. „Hallo Stefan“, hallo Lena“ – schnell erinnern sich die beiden aneinander. Auch damals gab es in Zarten, wie das fiktive Örtchen heißt, einen Mordfall. Und der Stefan und die Lena ermittelten damals nicht nur gemeinsam…
Kurz darauf rauscht Johanna Stern (Lisa Bitter) mit dem Team an – nur Sekretärin Keller wird per Skype aus dem Büro zugeschaltet – , belegt die Kegelbahn der Dorfwirtschaft, die auf einen Italiener schließen lässt, aber einen asiatischen Wirt hat, und los geht es. Bald wird klar, hier im Ort herrschen eigene Gesetze – und die macht Stefan Tries. Die Beamten haben allesamt schmucke Häuschen in der „Bullensiedlung“ (so steht es auf dem Straßenschild), wohnen Tür an Tür, kennen sich bestens und trösten miteinander die trauernde Witwe des ermordeten Kollegen. Bei Lena kommen alte Gefühle wieder hoch, bei Stefan ebenso. Doch sie merkt schnell, dass hier ein Geflecht aus Abhängigkeit, Korruption & illegalen Geschäften existiert, will aber zunächst nicht wahr haben, dass ihr Stefan der Kopf des Ganzen ist.
Stefan Dähnert hat das Drehbuch zum „Tatort – Die Pfalz von oben“ geschrieben – genauso wie damals zu „Tod im Häcksler“ (da führte noch Nico Hoffmann Regie). Dieses Aufnehmen eines alten Falles, einer alten Figur, eines bekannten Schauplatzes, das gab es schon des öfteren im „Tatort“. Die Stuttgarter Kommissare bekamen es in der dritten Folge „Tödliche Tarnung“ mit dem Waffenhändler Victor de Man zu tun, den Autor Holger Karsten Schmidt dann im 12. Fall „Spiel auf Zeit“ aus dem Knast ausbrechen und eine wichtige Rolle spielen ließ. Der Dortmunder Kommissar Faber traf mehrmals auf den mutmaßlichen Mörder seiner Familie. Man könnte die Liste noch fortsetzen, auch mit Krimis anderer Reihen wie „Unter Verdacht“ im ZDF. In „Die Pfalz von oben“ ist es also ein Kollege, der wieder auftaucht, und ein Schauplatz, der 1991 für hitzige Diskussionen sorgte. Wieder heißt das fiktive Dorf Zarten, hier „pfälzisch Sibirien“ genannt, doch gedreht wurde in einem anderen Dorf als damals. Denn die entlegene Gemeinde Rudolphskirchen sah sich und – gleich noch den ganzen Landstrich – damals als rückständig verunglimpft und protestierte lautstark. Im Landtag wurde darüber debattiert, der damalige rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, um keine öffentlichkeitswirksame Aktion verlegen (nicht nur beim Abküssen der Weinköniginnen), lud Ulrike Folkerts zu einer Wanderung ein, um ihr die Vorzüge der Pfalz näherzubringen.
Ob es geholfen hat? Nun, sie ist wieder zurückgekehrt, doch hier ist es immer noch trist und trüb. Stefan Dähnert taucht wieder tief ein in die Provinz, zeigt, wie sich Beamte hier bestens arrangieren mit dem beschaulichen Leben, wie sie sich darauf einstellen, hier alt zu werden und das möglichst stressfrei. Vor knapp drei Jahrzehnten war dieser Stefan Tries noch ein junger Wilder, jetzt ist er ein Provinzfürst, mit einem gut gepolsterten Körper und einer feinen Nase, in die er sich gerne weißes Pulver zieht. Wunderbar die Szene, als er vor einem kleinen Jungen sich eine „Linie“ auf dem Autodach legt, und sich danach um das kaputte Fahrrad des Jungen kümmert. „Diese Welt gehört mir, hier bin ich der König“ – das zeigt Brigitte Maria Bertele in diesem starken Bild, das nicht viele Worte der Erklärung braucht.
Der Regisseurin ist ein intensiver, atmosphärischer Krimi gelungen. Dass sie mit Enge und Biederkeit in der Provinz filmisch bestens umgehen kann, hat sie in ihrer preisgekrönten Arbeit „Grenzgang“ schon eindrucksvoll bewiesen. Wenn Lena im kargen Zimmer der Pension auf dem Bett liegt, der „gut ausgelastete“ Fliegen-Strip von der Decke baumelt, wenn die Ermittler in der Kegelbahn mit Kegeln Fallanalysen betreiben und Situationen nachstellen, dann sind das weitere gelungene Beispiele für eine pfiffige, kluge und bis ins kleinste Detail stimmige Regieleistung. Was Brigitte Maria Bertele ebenfalls geschafft hat, sie hat der Odenthal, natürlich aber in erster Linie der Schauspielerin Ulrike Folkerts in der Rolle, die Strenge, die Verbissenheit, die Angespanntheit genommen. Selten hat man die Kommissarin zuvor soviel lachen gesehen im Einsatz. Die Figur wirkt locker, das tut ihr gut. Da kommen dann auch die pointierten Sätze authentischer rüber. Und die Szenen mit Ben Becker als Stefan geben Lena eine ungewohnte Leichtigkeit, die gut tut. Wenn sie miteinander trinken und tanzen, dann schneidet die Regisseurin ein paar alte Szenen aus „Tod im Häcksler“ hinein. Zwei Menschen, die gealtert sind, die Träume hatten, die sich nahe waren, die das zu wiederholen versuchen, aber sich nicht mehr trauen und nicht mehr vertrauen können.
Der „Tatort – Die Pfalz von oben“ ist ein spannender Krimi, aber auch eine kleine Zeitreise mit einem in sich ruhenden und dabei doch enorm intensiv spielenden Ben Becker als desillusionierter Provinzfürst mit Dackelblick und Wohlstandsbauch, der durch die Begegnung mit Lena merkt, was alles in seinem Leben mal passieren hätte können, aber nicht passiert ist. Selten war auch Ulrike Folkerts so stark wie in diesem Fall. Nach etlichen eher mauen Krimis kann sie endlich wieder zeigen, dass sie es drauf hat. Die Story muss stimmen und man darf nicht ständig an der Figur der Lena Odenthal hin und her schrauben: mal Zickenkrieg, mal nicht, mal unerschrockene Heldin, mal tief in der Krise. Ist sie pur, ist sie straight, dann lebt diese Kommissarin auf dem Bildschirm, vielleicht ja sogar bis zum nächsten Jubiläum.