Tatort – Die Musik stirbt zuletzt

Gubser, Mayer, Hollmann, Canonica, Schenardi, Dani Levy. Krimi für Cinephile

31.03.2025 22:00 rbb
Foto: Degeto / SRF
Foto Rainer Tittelbach

An „Die Musik stirbt zuletzt“ dürften sich mal wieder die Geister scheiden. Der zweite „Tatort“ von Dani Levy setzt nicht nur auf die Einheit von Raum, Zeit und Handlung, sondern der Film ist ähnlich inszeniert wie der viel beachtete Kinofilm „Victoria“: ein Konzert, ein Abend, eine Einstellung. Das heißt: Levys Werk verzichtet auf das Erzählmittel des Schnitts. Das ist nicht immer nur von Vorteil, passt aber zum Stoff. Die Geschichte ist zwar als Whodunit entwickelt, doch der mit seinen V-Effekten bewusst theaterhaft anmutende Krimi schlägt in Bezug auf seine Auflösung eher eine Brücke zwischen den tragischen Mythen à la Shakespeare und den alltagsnahen Banalitäten eines Familiendramas. Wer am Ende der Täter ist, interessiert einen dabei eher weniger. Dafür kann man als Zuschauer staunen über die Eleganz der Inszenierung, über die Choreographie der Situationen, die geschickten Laufwege der Kamera, das dramaturgisch kluge Wechselspiel zwischen Befragungen, Gesprächen und Ansprachen, und man kann schmunzeln über die Meta-Kommunikation des Erzählers, der immer wieder auf die Konventionen des TV-Krimis oder des Formats „Tatort“ anspielt.

Es ist der Abend eines Klassik-Events der Schönen und besonders Reichen. Im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) will sich der Milliardär und Mäzen Walter Loving (Hans Hollmann) mal wieder feiern lassen. Er hat das argentinische „Jewish Chamber Orchestra“ für ein Benefiz-Konzert engagiert, um den Opfern des Holocausts zu gedenken – mit Musik von jüdischen Komponisten, die in Konzentrationslagern umgekommen sind. Auch privat liebt es der alte Mann extravagant. Öffentlich, vor den Augen seiner Ex-Frau Alice Loving-Orelli (Si-bylle Canonica), macht Loving seiner einige Jahrzehnte jüngeren Anwältin Jelena Princip (Uygar Tamer) einen Heiratsantrag. Diesen nimmt sie offenbar an, obwohl sie mit seinem Sohn Franky (Andri Schenardi), dem schwarzen Schaf der Familie, liiert zu sein scheint. Der jedenfalls ist außer sich. Große Anspannung herrscht auch in den Reihen des Orchesters. Die Pianistin Miriam Goldstein (Teresa Harder) möchte unbedingt die Veranstaltung nutzen, um Lovings Gutmenschentum infrage zu stellen. Ist er tatsächlich jener Freund der Juden, zu dem er sich gerne stilisiert? Hat er tatsächlich so vielen von ihnen im Nationalsozialismus das Leben gerettet? Sie hat andere Informationen, und ihre Eltern haben ungute Erfahrungen mit Walter Loving gemacht. Seine Familie ahnt offenbar etwas von dem möglichen Eklat. Doch Miriam Goldstein ist unsicher, ob sie ihren Plan überhaupt durchziehen soll. Denn im Orchester werden Gegenstimmen laut, außerdem erhält sie eine Morddrohung…

Tatort – Die Musik stirbt zuletztFoto: Degeto / SRF
Tragische Liebe: Elena Princip (Uygar Tamer) und Franky Loving (Andri Schenardi). Selbst bei ihrer Beziehung scheint Loving Senior seine Finger mit im Spiel zu haben.

Die Geschichte deutet es an. „Die Musik stirbt zuletzt“ setzt auf die Einheit von Raum, Zeit und Handlung. Auch bei seinem zweiten „Tatort“ – den ersten ließ er zur Luzerner Fasnacht drehen – stand Dani Levy („Alles auf Zucker“) nicht der Sinn nach einem gewöhnlichen Ermittlerkrimi. Die Geschichte ist zwar als Whodunit entwickelt, doch der mit seinen V-Effekten bewusst theaterhaft anmutende Krimi schlägt in Bezug auf seine Auflösung eher eine Brücke zwischen den tragischen Mythen der Menschheitsgeschichte, wie sie bei Shakespeare verhandelt werden, und den alltagsnahen Banalitäten eines Familiendramas. Wer am Ende der Täter ist, interessiert einen dabei eher weniger. Der Film besitzt andere Qualitäten. Da ein herkömmlich gedrehter 90-Minüter aus produktionstechnischen Gründen wegen der hohen Auslastung des Luzerner Kultur- und Kongresszentrums nicht realisierbar war, kam Levy auf die Idee, „den Einheitsgedanken noch radikaler zu fassen“. Darin Vorbild war Sebastian Schippers „Victoria“. In Anlehnung an den mehrfach preisgekrönten Kinofilm könnte die Logline dieses „Tatorts“ heißen: ein Konzert, ein Abend, eine Einstellung. Allein das „one Girl“ ersetzte der Autor-Regisseur krimigemäß durch „viele Verdächtige“. Es gibt kein narratives Zentrum, keine klare Erzählperspektive. Die Kommissare spielen eine untergeordnete Rolle und auch kein Antagonist schiebt sich in den Vordergrund. „Die Zuschauer wechseln die Seiten, gleiten von Täter zu Opfer, von Opfer zu Ermittler, von Ermittler zurück zu falschen Tätern“, so Levy. Wenn es einen Hauptakteur in diesen knapp 90 Minuten gibt, dann ist es die Kamera von Filip Zumbrunn. Das One-Take-TV-Movie war nach „nur“ vier Drehtagen im Kasten; der Film wurde je zweimal auf Schwyzerdütsch und Hochdeutsch in Realzeit komplett durchgedreht. Real waren auch die mehreren 100 Zuschauer im Saal und sogar das Orchester, das Jewish Chamber Orchestra Munich, spielte live. Für all das musste die Inszenierung akribisch geplant werden. Geprobt wurde vier Wochen, wie beim Theater, mit dem Unterschied, dass Kamera und Ton immer mit dabei waren.

Eine weitere Besonderheit ist das Thema, das durch die narrative Setzung, den Rahmen des Benefiz- und Gedenkkonzerts, anfangs beiläufig in die Handlung eingewoben wird: „Musik wird überleben. Die Komponisten haben nicht überlebt“, bringt es der Dirigent (Gottfried Breitfuß) bei seiner Begrüßung des Publikums auf den Punkt. Diese vergessenen jüdischen Komponisten im „Tatort“ einem breiten Publikum mit ihrer Musik sinnlich vorzustellen, ist eine wohltuende Variante, den zunehmenden Antisemitismus hierzulande zu „thematisieren“. Das Schicksal dieser Komponisten in der Geschichte kurzzuschließen mit einem anderen Phänomen aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs, den Schweizer Intermediären, verdichtet diesen historischen Diskurs, ohne ihn zu überladen, wie es ja oft in Themenfilmen der Fall ist: Unter den Intermediären sind jene Geldmenschen gemeint, die mit der Flucht von Juden in den 1940er Jahren in erster Linie Geld machten – „nicht die eigentlichen Fluchthelfer, sondern die Geschäftsleute dahinter“, so Dani Levy. Geschickt liefert der Filmemacher dem Zuschauer einen Mehrwert in Form eines historischen Kenntniszuwachses (selbst Levy war dieses Kapitel der Schweizer Geschichte nicht geläufig), ohne im Übermaß zu moralisieren.

Tatort – Die Musik stirbt zuletztFoto: Degeto / SRF
Der klassische Konzertabend neigt sich dem Höhepunkt zu. Der Senior (Hans Hollmann) und Ex-Frau Alice (Sibylle Canonica) sind ganz Ohr, während dem Junior (Andri Schenardi) der Sinn nicht nach Papas zweifelhafter „Wohltäterschaft“ steht.

Auch für Nicht-Klassikliebhaber ergeben sich magische Momente, wenn das großartige Orchester mit Wucht zu den größtenteils unbekannten Stücken anhebt, während die Kamera auf der Bühne durch die Reihen streift, um irgendwann das erste Opfer aufzuspüren. So wie die Nacht, die schöne, junge Frau und die Beziehungsspiele in „Victoria“ mit den Bewegungen der Kamera faszinierend zu einer Einheit verschmelzen, so besteht auch eine ästhetische Affinität zwischen diesen konzertanten Klängen und dem ungeschnittenen Bilderfluss. Dagegen bringen ein Ort wie dieser kalte Kunsttempel und ein Krimi-Whodunit vergleichsweise wenig „Magisches“ hervor. Durch das One-Cut-Prinzip fehlen auch klare Akzente. Der unaufhaltsame Fluss stellt alles relativ gleichbedeutend in eine Reihe. Eine Betonung lässt sich nur durch das Gespielte (nicht durch die dramaturgische Anordnung) erzielen. Im Spiel der Akteure besteht die Möglichkeit, eine gewisse Bedeutsamkeit zu generieren. Davon wird reichlich Gebrauch gemacht. Schwächen besitzen vor allem die Gespräche und Gruppenkommunikationen. Bei der Konzentration auf den komplizierten Ablauf ging offenbar jene Energie verloren, die man für ein differenzierteres Spiel benötigt hätte. Häufig ungelenk fällt auch die Interaktion zwischen den Kommissaren aus: Stefan Gubser wirkt gelegentlich wie im falschen Film und sein Flückiger wie ein Zaungast; Delia Mayer hat den interessanteren Part, die Verwicklung ihrer Figur in die Geschichte wirkt aber bemüht. Und die übertriebene Anpflaumerei, wenn die beiden gemeinsam die Szenerie dominieren, ist besonders unglücklich: Meist agieren beide zu laut, der Zwist wirkt ausgedacht und dass sie den sich selbsterklärenden Figuren hinterherrecherchieren – diese Redundanz ist auch nicht gerade sexy. Zu den starken Situationen gehören indes die narzisstischen Solo-Auftritte von Loving Senior/Hans Hollmann und Loving Junior/Andri Schenardi.

Noch ein wesentlicher Unterschied zu „Victoria“: Fernsehen entwickelt – selbst bei großem Flatscreen – nie die sinnliche Aura des Kino-Dunkels. Staunen aber kann man als filmbe-geisterter Zuschauer von Anfang bis Ende (das ist schon ziemlich viel fürs TV-Krimi-Genre): über die Eleganz der Inszenierung, über die Choreographie der Situationen, die geschickten Laufwege der Kamera, das dramaturgisch kluge Wechselspiel zwischen Befragungen, Gesprächen und Ansprachen, und man kann schmunzeln über die Meta-Kommunikation des Erzählers, der immer wieder auf die Konventionen des Fernsehkrimis oder des „Tatorts“ anspielt. „100 Tote im Fernsehen pro Woche können nicht irren. Das Dunkle ist so relevant, das Leichte nur Unterhaltung.“ Dani Levy verarbeitet da auch eigene Erfahrungen. „Der Liebling des Himmels“, eine köstliche Sophisticated Comedy und ein absolutes Highlight auf dem ARD-Freitagssendeplatz, noch dazu mit Axel Milberg, brachte es gerade mal auf 2,85 Millionen Zuschauer. Seinen ersten „Tatort“ – obwohl es ja Gubser & Co hierzulande schwer haben – wollten dagegen fast acht Millionen Zuschauer sehen. Nun, an „Die Musik stirbt zuletzt“, dürften sich mal wieder die Geister scheiden. (Text-Stand: 25.7.2018)

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Reihe

ARD Degeto, SRF

Mit Stefan Gubser, Delia Mayer, Hans Hollmann, Sibylle Canonica, Andri Schenardi, Uygar Tamer, Gottfried Breitfuß, Teresa Harder, Patrick Elias

Kamera: Filip Zumbrunn

Szenenbild: Reto Trösch

Kostüm: Damaris Eigenheer

Musik: Niki Reiser

Redaktion: SRF – Maya Fahrni

Produktionsfirma: Hugofilm Productions

Drehbuch: Dani Levy

Regie: Dani Levy

Quote: 4,79 Mio. Zuschauer (17,5% MA)

EA: 05.08.2018 20:15 Uhr | ARD

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