Nirgendwo wird so grausam gestorben wie im ORF-„Tatort“. Ausgestellte Leichen zum Auftakt sind beinahe so etwas wie das Markenzeichen der Krimis aus Wien. Es gab schon Opfer in Latex in der Dusche, vom Dach stürzend auf ein Auto oder übel zugerichtet im Einkaufswagen. Diesmal setzt man noch eins drauf. Ein Mann steckt vorn übergebeugt mit seinem Kopf in einer Kommodenschublade, beide Hände und die Zunge fehlen. Starker Tobak. Man ahnt, was da noch kommt. Denn es geht – wie der Titel verrät – um „Die Kunst des Krieges“, es geht um Leben und Tod in brutalster Form. Noch ein typisches Merkmal der Ösi-Krimis: Nirgendwo anders sind die Verbrecher so herrlich fies und böse wie hier. Mittermeier heißt der Oberschurke, ein großspuriger, brutaler, gerade aus der Haft entlassener Zuhälter, hinreißend böse cool gespielt von Michael Fuith. Und noch was: Nirgendwo anders gibt es so atmosphärische Locations wie im Wien-„Tatort“. Diese Treppenhäuser, deren Mief förmlich durch den Bildschirm zu riechen ist, gibt es nur dort. Das nur am Rande bemerkt.
Kommen wir auf den Toten zurück. Der wird bald als türkischer Geschäftsmann identifiziert, der augenscheinlich einem Ritualmord zum Opfer gefallen ist. Für Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) wird schnell klar, dass sie es mit einem Machtkampf im Milieu des organisierten Verbrechens zu tun haben. In der Wohnung des Mannes war ein illegales Bordell, sein Dönerladen diente nur als Geldwaschanlage. Unterstützung bekommen die Ermittler von Daniela Vopelka (passend steif und unterkühlt gespielt von Kristina Sprenger, der Ex-„Soko Kitzbühel“-Kommissarin) vom Dezernat für Organisierte Kriminalität. Sie führt Eisner zu der jungen Ukrainerin Victoria (Janina Rudenska), die ihm Hinweise auf einen Menschenhändlerring gibt, der Flüchtlinge illegal nach Österreich bringt, um sie als Arbeitssklaven oder Prostituierte auszubeuten. Dann treffen die Wien-Cops auf einen alten Bekannten von Bibi aus ihrer Zeit bei der Sitte: Zuhälter Andy Mittermeier (Michael Fuith). Der hat es auf das Revier des Opfers abgesehen und somit ein eindeutiges Tatmotiv. Doch mit dem ist nicht zu spaßen, wie Eisner leidvoll erfahren muss.
Autor und Regisseur Thomas Roth, „Tatort“-erfahren (u.a. „Exitus“ & „Deckname Kidon“) und für fast alle Folgen der legendären Krimireihe „Trautmann“ verantwortlich, schickt die Kommissare in eine Welt, in der sich Bibi und Moritz bestens auskennen. Wien als Tor aus Osteuropa in den Westen, eine Stadt, in der Menschenhändler, organisiertes Verbrechen, Drogenhandel und erzwungene Prostitution gleichermaßen zu Hause sind. Aus diesen Bereichen kommen meist die Themen, mit denen sich der Austria-Krimi beschäftigt. Eisner hat in „Die Kunst des Krieges“ wieder den Part des mürrisch-skeptischen gutmenschelnden Bullen inne, Fellner ist stets die Verbindung zur Unter- und Halbwelt. Ihr alter Freund Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) sitzt derzeit im Knast. In einer herrlichen Szene besucht sie ihn dort, um Informationen zu bekommen. Und klar, dass Major Fellner auch den leider stark reparaturanfälligen „Schlitten“ des Wiener Stritzis in dessen Abwesenheit über die Straßen der Hauptstadt bewegt. Running Gag dieser Episode ist ein Parson Russell Terrier, der Hund des Ermordeten und somit herrenlos, um den sich die Ermittler kümmern müssen. Der Vierbeiner spielt auch in den weiteren Ermittlungen eine Rolle und bietet prima Vorlagen für pointierte Dialoge (Moritz zu Bibi: „Jetzt hast du schon das Auto eines Zuhälters, bitte nicht auch noch den Hund eines Zuhälters“). Und das Finale hält dann eine tierische Überraschung bereit.
Bei aller Ernsthaftigkeit und Schwere des Themas sowie der Brutalität der handelnden Personen – mit auflockernden, witzigen Dialogen gelingt es Roth, diesen „Tatort“ auch ein Stück weit unterhaltsam zu gestalten. Die Balance stimmt, das Zusammenspiel zwischen Krassnitzer und Neuhauser ist im 15. gemeinsamen Fall beeindruckend. Dass sich da zwei im Film gefunden haben, ist allerdings keine neue Erkenntnis. Dass sie die Qualität weiter so halten, das ist schon bemerkenswert. In Michael Fuith als skrupelloser, durch & durch böser Zuhälter haben die beiden einen schillernden Kontrapart in diesem durchweg spannenden Krimi. Und ein wenig philosophisch wird es zwischen den Cops und dem Bösewicht dann auch: Denn dieser Mittermeier zeigt sich belesen, hat sich chinesische Zeichen auf seine Finger tätowiert, die auf das Werk „Die Kunst des Krieges“ des Generals und Philosophen Sunzi hinweisen, einem Buch über militärische Strategieplanung. Und in einer wunderbar intensiven, mit viel Atmosphäre und als Verbal-Duell inszenierten Szene zwischen Eisner und ihm zitiert er auch daraus: „Die Kunst des Krieges ist eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine Straße, die zur Sicherheit oder in den Untergang führt“. (Text-Stand: 5.8.2016)