„Wir verhindern doch keine Kriminalität“, sagt die schon etwas angetrunkene Kommissarin Anna Janneke (Margarita Broich). „Dann würden wir uns ja arbeitslos machen“, erwidert der ebenfalls nicht mehr ganz nüchterne Kollege Paul Brix (Wolfram Koch). Das Frankfurter Kommissariat ist in „Die Guten und die Bösen“ eine surreale Baustelle. Löcher in der Decke, Wasserpfützen auf der Erde, ständig rennen Handwerker durchs Bild, Polizei und Staatsanwaltschaft räumen in den Büros ihre Siebensachen in Kartons, doch gleichzeitig hat Janneke die Wände in einem der elend langen Flure mit ihren Fotografien verziert. Und während die Polizisten mitten im Chaos ihrer Arbeit nachzugehen versuchen, müssen sie sich beim Coaching den ganz grundsätzlichen Fragen stellen: „Was sind Ihre Werte als Polizist?“, will Coach Olivia Dor (Dennenesch Zoudé) wissen. Janneke und Brix sind genervt und machen sich bei einem spontanen Besäufnis auf der Polizei-Baustelle über das Beratersprech lustig, aber dann werden sie auch in der Alltagspraxis zu einer Reflexion über die Arbeit und das eigene Leben herausgefordert.
Foto: HR / Degeto
Nach durchzechter Nacht werden sie von Polizeihauptmeister Matzerath (Peter Lohmeyer) geweckt. Er fährt sie zu einer abgelegenen Hütte, in der sich eine männliche Leiche befindet, nackt auf einem Stuhl gefesselt, eine Plastiktüte über dem Kopf, Brandmale am Körper. Während die Kommissare den Tatort untersuchen, raucht Matzerath draußen seelenruhig eine Zigarette. Ob er ihn gefunden habe, fragt Brix. „Ich habe ihn getötet. Ich bin der Mörder“, antwortet Matzerath, dessen Frau vor sieben Jahren von einem unbekannten Mann entführt, fünf Tage lang festgehalten und immer wieder vergewaltigt worden war. Kommissarin Elsa Bronski (Hannelore Elsner) konnte den Täter damals nicht finden, nun ist Matzerath überzeugt, den Richtigen ermittelt und persönlich bestraft zu haben. In einem gewöhnlichen Krimi würden nun weitere Verdächtige eingeführt und verschiedene Fährten gelegt, doch die Frage, ob sich der Rächer womöglich tragisch irrte und da noch ein anderer Täter zu überführen wäre, wird eine Weile in der Schwebe gehalten, steht aber nicht im Vordergrund.
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Der Film ist nahezu komplett an einem einzigen Schauplatz gedreht worden: in der ehemaligen Neckermann-Zentrale in Frankfurt-Fechenheim, einem offenbar leer stehenden Riesenkomplex mit 250 Meter langen Fluren. Regisseurin Petra K. Wagner nutzt diesen besonderen Drehort, um eine surreale, kafkaeske Atmosphäre zu schaffen. Da gibt es die irritierende Hektik der Baustelle, in der sich Janneke und Brix einen provisorischen Verhörraum schaffen müssen, um halbwegs in Ruhe mit Matzerath zu sprechen. Zugleich bietet die Größe und die labyrinthische Unübersichtlichkeit weitere Spielflächen. Ex-Kommissarin Bronski sitzt allein inmitten alter Akten auf einer anderen Etage, als stöbere da ein Gespenst aus der Vergangenheit in der Vergangenheit herum. Coach Olivia Dor verirrt sich in den leeren, kahlen Gängen, und als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, möchte man glauben, dass sie nun unrettbar verloren ist, denn: Wer soll sie dort finden? Nur Bronskis Hund scheint die Wege zwischen den verschiedenen Welten zu kennen, denn er taucht – ein Gespenst wie seine Herrin – auf allen Ebenen auf.
In Wagners assoziativer Bildsprache (der rote Ball!) ergänzt der Panorama-Blick über das Häusermeer der Frankfurter City von den oberen Etagen aus den Eindruck von Chaos und gleichzeitiger Abgeschiedenheit im Inneren. Das Gebäude als Sinnbild für die ganze Stadt. Und mit Jannekes Fotos setzt Wagners Inszenierung einen weiteren Akzent der visuellen Reflexion. Der Ausschnitt sei doch das Tolle an der Fotografie, sagt die Kommissarin. „Man kann immer entscheiden, was man zeigen will.“ Die Sehnsucht nach Kontrolle in einer aus den Fugen geratenen Welt. Nichts scheint mehr zu stimmen. Der Mörder ist ein altgedienter Polizist, der sich beharrlich weigert, über all die Brücken zu gehen, die ihm Janneke und Brix bauen. Matzerath will bestraft werden, will keine mildernden Umstände, damit sein Weltbild wieder ins Lot kommt. Das System habe versagt, als der Vergewaltiger seiner Frau davongekommen sei, sagt er. Bei ihm solle es wieder funktionieren. Denn das System „ist alles, woran ich glaube“.
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Woran glauben die Kommissare? Janneke und Brix sind verkatert und verunsichert, der Fall konfrontiert sie genau mit den Fragen, zu denen sie sich beim Coaching positionieren müssen. Sie verhören Matzerath einzeln, reflektieren seine Aussagen anschließend in gemeinsamen Gesprächen, debattieren darüber, „was wir hier eigentlich machen und wozu“, reden über Hass, Liebe, den Vorgang des Tötens, über Schuld und Bestrafung, zitieren gar den Mythos der Antigone, die ihren Bruder Polyneikes bestattete und dafür hingerichtet wurde – weil sie an etwas Höheres glaubte als an irdische Gesetzgebung. Clever auch, wie sich die Kommissare im Laufe des Films „verwandeln“: Kleider machen Leute! Nun könnte die Sache als langweiliger, schwermütiger Arthouse-Krimi enden, doch der Film behält Leichtigkeit, Humor und Skurrilität. Komisch und unkonventionell ist allein schon, dass sich der Tatverdächtige frei bewegt, mit den Kommissaren in die Kantine geht, Brix ein sauberes Hemd aus dem Auto holt. Glänzend vor allem die Dialoge, die trotz aller Ernsthaftigkeit niemals in ein steifes Pathos abrutschen oder wie ausgedacht klingen. Das scheint eine besondere Stärke von Drehbuch-Autor David Ungureit zu sein, die er zuletzt bereits in dem herausragenden HR-Liebesdrama „Bist du glücklich?“ unter Beweis stellte.
Auch Nebenfiguren wie Assistent Jonas (Isaak Dentler) oder der weibliche Coach bleiben keine klischeehaften Typen. Und so kann das gesamte Ensemble glänzen, inklusive eines Peter Lohmeyer, den man selten so ernsthaft und präzise hat spielen sehen wie in diesem Film. In Erinnerung bleiben wird die elfte Folge des Frankfurter Teams aber nicht zuletzt wegen des würdigen letzten „Tatort“-Auftritts von Hannelore Elsner, die wenige Wochen nach den Dreharbeiten verstarb. Die pensionierte Kommissarin vergräbt sich in den alten, unaufgeklärten Fällen, denn „da ist noch zu viel von dem Zeug in meinem Kopf“. Elsner spielt diese Figur ganz unaufgeregt, nicht besessen oder wie getrieben von alter Schuld, sondern nachdenklich, souverän und eine klare Haltung verkörpernd: „Das System mag nicht perfekt sein, aber es ist das Beste, was wir haben.“ Mit einer Widmung zu Beginn würdigt der HR die große Schauspielerin, die im Jahr 1959 ihr Filmdebüt gab und bis zu ihrem Tod im Alter von 76 Jahren in mehr als 200 Kinofilmen und Fernsehproduktionen vor der Kamera stand.