Murot (Ulrich Tukur) macht ein paar Tage Urlaub im Taunus. Er radelt, er wandert, lässt seinen Gedanken freien Lauf – und lernt eines Mittags einen Mann kennen, der aussieht wie er. Was dazu führt, dass der ungewöhnlich entspannte LKA-Mann und der eher etwas einfach gestrickte Gebrauchtwagenhändler Walter Boenfeld (Ulrich Tukur) sich überraschend gut verstehen. Der Geschäftsmann lädt den Ermittler mit zu sich nach Hause ein, wo sich beide bei Wein und Whisky ihr Leben erzählen. Nach einem Saunagang hat der von seiner Ehe genervte Boenfeld die luftige Sommerkleidung Murots übergestreift; dem betrunkenen Urlauber bleibt also nichts anderes übrig, als die wenig geschmackssicheren Klamotten seines neuen Freundes anzuziehen. Kurz danach nickt er ein, während Boenfeld offensichtlich die Sache mit dem Rollentausch ernst gemeint hat. Auf der Landstraße zu dem Hotel, in dem der Kommissar abgestiegen ist, wird er allerdings in der Nacht von einem Wagen vorsätzlich totgefahren. Am nächsten Morgen sieht sich der verkaterte Murot nicht nur mit der ebenso geschockten wie gutaussehenden Witwe Monika (Anne Ratte-Polle) konfrontiert, sondern er schlüpft kurzerhand auch in die Rolle ihres Ehemanns, um undercover zu ermitteln. Er erinnert sich an den Satz des betrunkenen Boenfeld: „Ich habe Angst vor meiner Frau, ich habe Angst, dass sie mich umbringt.“ Es ist also größte Vorsicht geboten. Aber auch bei dem Nachbarehepaar, Peter (Thorsten Merten) und Monika Lessing (Carina Wiese), darf er keinen falschen Verdacht erwecken. Währenddessen kämpft Magda Wächter (Barbara Philipp) mit ihren Gefühlen. Ihr Chef ist offensichtlich tot – und sie hält die Trauerrede auf ihn.
Wie immer ist auch der neunte „Tatort“ um den Wiesbadener LKA-Mann Felix Murot für eine Überraschung gut: „Die Ferien des Monsieur Murot“ ist kein gewöhnlicher und vor allem kein realistisch anmutender Ermittlungskrimi, sondern eher ein existentielles Gedankenspiel mit Mord & etwas latenter Romantik. Ohne Vorwarnung wird der überzeugte Junggeselle verheiratet und findet sich ohne jede Übung in einer Ehe wieder, die die Hölle ist. Der Schrei, den die so zerbrechlich wirkende Gattin ausstößt, als sie am Morgen ihren vermeintlichen Ehemann erblickt, lässt vermuten, dass sie tatsächlich den derb-rustikalen Boenfeld auf dem Gewissen hat. Aber auch die Nachbarn verhalten sich seltsam. Der Tote hatte Peter Lessing in der Hand, Affären liegen in der Luft und dass Monika Lessing die seelisch angeschlagene Witwe mit Psychopharmaka versorgt, regt nicht nur Murots kriminalistische Phantasie an. Wo ist er da nur hineingeraten?! „Murot liebt Menschen, erträgt aber ihre Nähe nicht“, sagt Ulrich Tukur im Interview des Pressehefts. Und das aus gutem Grund. Seine Vorbehalte gegen übermäßiges Freundschaftsgetue und ausgestellten Gemeinschaftssinn scheinen sich als sehr berechtigte Skepsis zu erweisen. Gleichzeitig ist Murot in seinem neuen Fall aber auch sehr viel durchlässiger für Emotionen. Erst wird sein Doppelgänger ermordet, dann wohnt er seiner eigenen Beerdigung bei („viele sind ja nicht gekommen“) und schließlich entwickelt er Gefühle für diese so launische Frau, die Wächter für irre hält, er aber nur für verzweifelt.
Der neue Murot-„Tatort“ besticht durch seine nuancierten Tonlagenwechsel. Dabei ist es einmal mehr die von Ulrich Tukur so charismatisch und vielschichtig gespielte Hauptfigur, die das einfallsreiche Scenario mit seiner absurden Prämisse und den wilden Wendungen zusammenhält. Es beginnt selbstreflexiv und poetisch: Murot schreibt Wächter eine Ansichtskarte, auf der er bekennt, „wie gut es tut, dem vertrauten Raum zu entkommen“, und er stellt sogar in Aussicht, dass er durch die neuen Erfahrungen ein anderer Mensch werden könnte. Mit Boenfeld an der Seite wird die Geschichte komischer und ein bisschen grotesk. Danach wird es brutal, blutig und bedrohlich: Sein Doppelgänger hatte ihm vom Pflanzenschutzmittel erzählt, das seine Frau ihm in den Kaffee gemischt habe; am Morgen danach sitzt Murot nun vor einem frisch zubereiteten deftigen Frühstück – und die schöne Ehefrau lächelt. Diese und ähnliche Szenen werden logischerweise komödiantisch erzählt: Ein „Tatort“-Kommissar ist in der Regel unantastbar, allerdings weiß das Murot selber nicht. Und so heißt es für den Zuschauer: mit dem Helden ein wenig Mitleiden (auch später, wenn man befürchtet, dass er sich bei Nachbarn und Mitarbeitern verrät), aber zugleich auch Schmunzeln über die Situation. Die Spannung resultiert daraus, was noch an Unvorhergesehenem auf Murot zukommen und wie er sich aus der Affäre ziehen wird? Die Tonlagen wechseln mitunter von Szene zu Szene. Einem launigen Tennismatch, das das „Ehepaar“ emotional näherbringt, folgt ein Spaziergang, der die beiden am Tatort vorbeikommen lässt, wodurch die Stimmung ins Ernste kippt. Voller gemischter Gefühle steckt auch die Trauerfeier. Und auf der Zielgeraden wird es sogar noch romantisch. Was wäre, wenn Murot nicht nur aus dem Urlaub, sondern auch aus diesen intensiven Ermittlungen als ein anderer hervorgehen würde?!
Es geht also mal wieder munter, ironisch und abwechslungsreich zu im neuen Tukur-„Tatort“. Das, was der Titel „Die Ferien des Monsieur Murot“ filmgeschichtlich verspricht, hält der Film allerdings nicht. Ob Edgar Wallace („Das Dorf“), Italo-Western („Im Schmerz gebo-ren“) oder Hollywood-Komödie („Murot und das Murmeltier“) – gern ergehen sich die Krimis mit dem unkonventionellen Ermittler aus Wiesbaden in kinematographischen Reminiszenzen. Am deutlichsten zuletzt in „Angriff auf Wache 08“, der ein Remake von John Carpenters B-Picture-Thriller „Assault – Anschlag bei Nacht“ war. Die deutliche Anspielung im Titel auf den Klassiker „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953) und auf seinen Macher Jacques Tati, den französischen Meister absurder Alltagskomik und ausgeklügelter Filmsprache, lässt einiges mehr erwarten als ein Tennismatch mit eigenwilliger Hulot-liker Aufschlagtechnik und als jenes musikalische Leitmotiv, das sich durch den legendären Schwarzweißfilm zieht. Ansonsten gibt es wenig Parallelen: Murot und Hulot sind zwar beide Außenseiter, eigenwillig und etwas weltfremd, aber während der eine sich nur etwas schwerer tut als andere mit bürgerlichen Handarbeiten wie Grillen oder Rasenmähen, erzeugt Hulot, wo er auch auftaucht, ein heilloses Durcheinander. Allenfalls die Ausgangssituation der Sommerfrische, die Oldtimer und Murots lässiger Vintage-Look vor dem Rollentausch lassen ein wenig von der vorgestrigen Urlaubsstimmung aufkommen, die Tatis Film durchweht. Wenn schon dieser Titel, dann hätten sich Grzegorz Muskala („Die Frau hinter der Wand“) und Ben Braeunlich („Toter Winkel“) ruhig etwas mehr cineastische Mühe geben können. So jedenfalls wirkt das kaum anders, als wenn die Freitagsreihe „Billy Kuckuck“ mit dem Episodentitel „Aber bitte mit Sahne!“ die Zuschauer zu locken versucht. Allein die Zielgruppe ist eine andere.