Zwei schwer angeschlagene Kommissare lecken die Wunden ihrer Freundschaft
Batic und Leitmayr sind im Dienst verletzt worden. Der Kroate wurde ins künstliche Koma versetzt, ist zwar überm Berg, fraglich bleibt aber, ob er jemals wieder wird gehen können. Den Kollegen hat es weniger schwer erwischt. Er bekam einen Nagel in den Oberschenkel gebohrt und stürzte nach einem Kampf mehrere Meter tief. Leitmayr geht mit einer Krücke, er humpelt, wirft ständig Pillen ein. In dieser Verfassung muss er bereits drei Tage nach dem Vorfall in einem Untersuchungsausschuss internen Ermittlern unter Vorsitz von Kriminal-Oberrätin Horn (Lina Wendel) Rede und Antwort stehen. Zu dem folgenschweren Einsatz gibt es noch viele ungeklärte Fragen. Die Kommissare hatten zunächst Glück im Unglück. Der Mann, der vor über einem Jahr einen Familienvater mitten in München ohne jedes Motiv niedergestochen und getötet hatte, schlug erneut zu und konnte daraufhin als Thomas Barthold (Gerhard Liebmann) identifiziert und festgenommen werden. Bei der Überführung des Gefangenen wollte Batic, den der provozierende Bartholds zur Weißglut trieb, unbedingt dabei sein. Daraufhin meldete sich auch Leitmayr für den Gefangenentransport an, um Ivo notfalls zu bremsen. Es wird eine unheilvolle Fahrt. Nach einer offensichtlich inszenierten Panne fallen Schüsse. Beifahrerin Merzer (Friederike Ott) soll auf Batic geschossen, dabei aber den Fahrer (Jan Bluthardt) getroffen haben. Leitmayr kann das nicht bezeugen, er war anderweitig im Einsatz, hörte den Schuss nur von weitem. In einer still gelegten Papierfabrik kommt es wenig später zum Showdown. Das Ergebnis: zwei lädierte Polizisten und drei Tote.
Foto: BR / Hagen Keller
Batic lügt offenbar. Leitmayr weiß aber, das macht dieser nicht ohne Grund
Es kommt immer mal wieder vor im BR-„Tatort“, dass die Ermittler in den Fokus geraten, sich offenbar etwas zu schulden kommen lassen („Der traurige König“), Liebe („Im freien Fall“) und Triebe („Am Ende des Flurs“) mit ihnen durchgehen, Depressionen an ihnen nagen („Die Wahrheit“) oder einer der beiden sogar unter Mordverdacht („Wir sind die Guten“) steht. In solchen Fällen können die Münchener Buddys aufeinander zählen. Auch in „Der Tod ist unser ganzes Leben“ ist das so. Allerdings könnten dem Bayern zur Halbzeit an der Unschuld seines langjährigen Partners und Freundes schon erhebliche Zweifel kommen. Der Untersuchungsausschuss hat Leitmayr unerbittlich ausgequetscht, hat ihn gequält mit den immergleichen Fragen, um ihm nach der Anhörung ihr längst gefälltes Urteil an den Kopf zu knallen: „Wir glauben, er hat Barthold erschossen – vorsätzlich.“ Die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe, mehrere Falschaussagen – es spricht tatsächlich alles gegen Batic. Sein Kollege ist zwar schwer getroffen, dass sein Freund ihn angelogen hat, weiß aber, wenn der so etwas tut, dann hat das einen guten Grund. Und so spielt Leitmayr die Schuss-Optionen in der leerstehenden Papierfabrik immer wieder aufs Neue durch und kommt zu nur einer möglichen Erklärung. Er kann Batic aber nicht mit der These konfrontieren. Denn der ist flüchtig.
Da ist mal wieder ein Freundschaftsdienst des besorgten Kollegen angesagt
Der von Gerhard Liebmann („Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“) mit provozierend spöttischem Grinsen ambivalent gespielte Täter mokiert sich über die Leute, die glauben, alles müsse einen Sinn haben. „Wenn alles Zufall ist, dann gibt es keinen Sinn – außer der Zufall ist der Sinn von allem.“ Das Zufallsprinzip, das bereits im herausragenden, Grimme-Preis nominierten „Tatort – Die Wahrheit“ angeschnitten wurde, in dem jener Mörder ohne jeden Grund zum ersten Mal zuschlug, ohne überführt werden zu können, wird nun in „Der Tod ist unser ganzes Leben“ wieder aufgenommen. „Alles Zufall – auch wen man tötet?!“, fragt Batic – und es kocht in ihm. Er hatte ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut zu der Frau, die zur Witwe wurde. Dieser Bulle, der keinen Sinn mehr in seinem Leben sah, seinen Beruf plötzlich hasste, hat nun unter den gegebenen Umständen gleich gar keine Motivation mehr, etwas für sich zu retten. Also ist ein Freundschaftsdienst des Kollegen angesagt. Denn auch für Leitmayr steht die Zukunft auf dem Spiel. Diese schicksalhafte Verschränkung passt zum Münchner Buddy-Duo, das seit 26 Jahren gemeinsam im Einsatz ist, und die Verzweiflung von Leitmayr ist plausibel. „Wie soll das weitergehen mit uns?“, fragt er auf der Zielgeraden. „Die Wahrheit ist, dass wir noch ein paar Jahre vor uns haben“, macht er seinem Partner deutlich. Die Zuschauer müssen sich also nicht sorgen um die zwei Silberlocken, die mit ihren Fällen und Filmen immer wieder für eine Überraschung gut sind: Die beiden machen weiter.
Foto: BR / Hagen Keller
Die Gegen-Meinung:
„Die ersten zwanzig Minuten sind furios, werden dann aber von der pseudo-komplexen Rückblendenkonstruktion erdrückt, die unter anderem verschiedene ‚Wahrheiten‘ eines Tathergangs anbietet – um schließlich eine reiflich unglaubwürdige als die tatsächliche zu offenbaren.“ (TV-Spielfilm)
Keine lineare Handlung. Der Zuschauer muss sich die Geschichte „erarbeiten“
Die Frage nach der Wahrheit, durch eine Lüge die Freundschaft zu gefährden und damit die „Beziehung“ der Kommissare auf den Prüfstand zu stellen – das ist im Rahmen des BR-„Tatorts“ keine ganz neue, aber eine gute, konfliktträchtige Grundidee. Ungewöhnlich ist hingegen die Umsetzung. In der ersten Hälfte des Films wird das verhängnisvolle Geschehen im Rahmen des Untersuchungsausschusses mittels Rückblenden rekonstruiert. So entsteht keine durchgängige Handlung, sondern ein Puzzle aus visualisierten Erinnerungen. Das ist anstrengend, weil der Zuschauer sich die Geschichte quasi selbst „erarbeiten“ muss. Der Mord aus dem „Tatort – Die Wahrheit“ wird noch einmal gezeigt. Es folgt die zweite Tat: Der Mann streift durch eine Münchner Fußgängerzone, um schließlich auf einen x-beliebigen Mann einzustechen. In alptraumhaft verlangsamten Bildern wird einem die Verhaftung präsen-tiert. Danach die Verhöre. Und zwischendurch gibt es erste Momente der Verunsicherung. „Hat Batic Barthold bedroht?“, will der Ausschuss wissen. Eingeblendet werden zornige Hörproben des Kollegen, die Leitmayr ins Gedächtnis schießen, und dennoch antwortet er mit „nein“. Batic’ seelische Instabilität kommt auch zur Sprache. Und vor allem werden die Ereignisse in und außerhalb des Transporters geschildert. Dabei wird dem Zuschauer die Geschichte stückchenweise präsentiert. Es ist Leitmayrs Perspektive, ergänzt um die Informationen, die ihm Batic gegeben hat und an denen zu zweifeln er bisher keinen Grund hatte. Leitmayers Aussagen kontern die internen Ermittler mit dem Mitschnitt einer Verhörpassage. „Was glaubst du, was das Ganze hier alles ist? Interessiert dich das alles nicht? Nein?“, wütet Batic. „Würde es dich interessieren, wenn ich jetzt ein Messer hätte? Du hast Glück, dass wir nicht allein sind. Weißt du, was dann alles passieren würde?!“ Jetzt ist nicht nur Batic, jetzt ist in den Augen der Ausschussmitglieder auch Leitmayr ein Lügner.
Foto: BR / Hagen Keller
Die aufregendere, heißere zweite Filmhälfte ist gutes modernes Fernsehen
Diesen eher kühl analytischen ersten 44 Minuten, die von einer Wie-Spannung (man weiß, es wird etwas passieren, weiß aber nicht, wann und wie es passiert) getrieben wird und mit dem Paukenschlag von Batic’ möglicher Schuld endet, steht eine zweite sehr viel aufregendere, heißere Filmhälfte gegenüber. Hat man bei der etwas statisch wirkenden Ausschusssituation – zumindest retrospektiv betrachtet – eher den Eindruck, als würde dieser ganze Zauber vor allem veranstaltet für den Zuschauer und seine Versorgung mit den notwendigen Informationen (sprich: Dramaturgie kommt vor handlungsinterner Logik), so beginnt nun quasi ein neuer Film, in dem ein lädierter, aber dafür emotional umso hochtouriger agierender Cop den kalten Bürokraten beweisen will, dass sie sich täuschen. „Er war’s nicht, er war’s einfach nicht!“ Der Glaube tritt an gegen das vermeintliche Wissen, die Freundschaft, das sich Kennen gegen die nüchternen Fakten. Aber auch Batic greift nun ein – anfangs mit erinnernden Rückblenden, die seine Sicht der Dinge zeigen, später aktiv, so gut das eben geht in seinem körperlichen Zustand. Die Situationen werden anschaulicher, sinnlicher: Die in modernen Krimis gelegentlich verwendete Methode, mögliche Versionen der entscheidenden Szene(n), in diesem Fall des tödlichen Dreier-Showdowns zwischen der Beifahrerin, Barthold und Batic, durchzuspielen und dem Zuschauer optional anzubieten, ist dramaturgisch ein Pluspunkt des Films. Anders als „Die Wahrheit“, ein Film, der etwas Soghaftes besitzt, setzt nun der zweite „Tatort“ um den grundlos tötenden Barthold in der zweiten Hälfte auf eine vielschichtige, multiperspektivische Spannung. Einen klassischen Erzählfluss besitzen aber auch diese Sequenzen nicht. Regisseur Philip Koch („Picco“) setzt außerdem auf eine Distanz schaffende Filmästhetik voller Grautöne, auf Beton in allen Variationen, auf abstrakte Räume, auf eine eher „brüchige“ Montage, und es dröhnt gelegentlich ein presslufthammerartiges Sounddesign. Das alles wirkt rüde, alptraumhaft und spiegelt sehr gut den Ausnahmezustand der Ermittler wider. Das wird nicht jeder Zuschauer mögen. Aber auch wenn „Der Tod ist unser ganzes Leben“ todernst und existentiell daher kommt, kann man diesen Film doch auch als das sehen, was er auch ist: ein „Tatort“ eines der dienstältesten Krimi-Duos im deutschen Fernsehen, also Genre-Unterhaltung. So gesehen haben diese zwei Invaliden-Cops auf Wahrheitssuche schon auch etwas anrührend Ironisches. (Text-Stand: 30.3.2017)