Tatort – Der Pott

Götz George, Eberhard Feik, Götz, Wesskamp, Hercher. Klassenkampf anno 1989

Foto: WDR
Foto Tilmann P. Gangloff

Mehr Ruhrgebiet geht nicht: „Der Pott“ spielt in der Stahlarbeitersiedlung Duisburg-Hochfeld. Die Stimmung ist angesichts der drohenden Werksschließung ohnehin schon aufgeheizt, aber jetzt ist auch noch die titelgebende Streikkasse gestohlen worden. Auch wenn dieser „Tatort“ filmisch & physisch wenig überzeugt, so steckt er doch voller Sozialromantik und ist daher vor allem als Zeitdokument sehenswert. Krimifans können sich über einige Gastrollen späterer Reihen-Stars wie Miroslav Nemec, Sabine Postel und Leonard Lansink freuen.

Die Idee klingt so absurd, dass sie wie ein typischer Drehbucheinfall wirkt: Das Bundeskriminalamt zieht in Erwägung, seine Expertise der Privatwirtschaft zur Verfügung zu stellen, damit sich die Sicherheitsdienste großer Unternehmen besser gegen Demonstrationen oder Werksbesetzungen zur Wehr setzen können. Diese Überlegung, die es Ende der Achtzigerjahre tatsächlich gegeben hat, lässt sich nur nachvollziehen, wenn man sich die Stimmung jener Jahre vergegenwärtigt und sich an die Bilder prügelnder Polizisten erinnert; die entsprechenden Stichwörter sind Startbahn West, Wackersdorf und Hafenstraße. Zunächst ist das Szenario in diesem „Tatort“ (Erstausstrahlung: 1989) jedoch nur eine Randnotiz: Kollege Thanner hat sich beim BKA beworben und wird Mitglied der Bonner Außenstelle. Gleich zweimal wird ein Ausspruch Konrad Adenauers zitiert: Wenn die Ruhr brennt, gibt es im Rhein nicht genug Wasser, um sie zu löschen. Die Ruhr brennt, bildlich gesprochen, bereits lichterloh: Im Revier zwischen Dortmund und Duisburg werden reihenweise Zechen und Stahlwerke geschlossen; die BKA-Sonderkommission, die verhindern soll, dass aus den Streiks ein Flächenbrand wird, heißt daher sinnigerweise „Rheinwasser“.

Auch wenn die Soko fiktiv ist: Selten war ein „Tatort“-Krimi so nah am Puls der Zeit wie „Der Pott“. Der doppeldeutige Titel bezieht sich weniger auf den „Ruhrpott“, sondern auf eine Lore voller Spenden, mit denen eine Gruppe von Stahlwerksbesetzern unterstützt werden soll. Über 500.000 Mark sind dabei zusammengekommen, doch als die Streikenden und ihre Sympathisanten den Erfolg feiern wollen, erleben sie eine böse Überraschung: Aus der Lore kullern ein Haufen Münzen und eine Geldzählerin; die Spenden sind gestohlen worden. Kurz drauf wird ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann, der ebenfalls zu den Geldzählern gehört hatte, ermordet. Jetzt kann sich Schimanski, dessen Herz selbstredend für die Streikenden schlägt, auch mit der Suche nach dem „Pott“ befassen, und weil Thanner nach Bonn gezogen ist, macht er kurzerhand den Kollegen Wilms aus dem Raubdezernat zum neuen Partner. Das Duo findet zwar die Räuber der Streikkasse, aber den Vertrauensmann haben die Diebe nicht auf dem Gewissen. Die eigentlichen Gegenspieler der Polizei sitzen ohnehin nicht in Duisburg, und da trifft es sich gut, dass Schimanski mit Thanner einen Mann an der Quelle hat.

Tatort – Der PottFoto: WDR
Der 20. ist kein Top-Schimanski-„Tatort“, aber ein Stück deutsche Kultur- und Sozialgeschichte: Götz George in „Der Pott“ (1989)

Das Drehbuch stammt von Axel Götz und Thomas Wesskamp, die im Jahr zuvor für Schimanski und Thanner den Grimme-preisgekrönten Krimi „Moltke“ geschrieben hatten. Das BKA ist im „Tatort“ ja ohnehin immer mindestens lästig, aber hier wird die Rivalität auf die Spitze getrieben; auch wenn sich Schimanski zunächst keinen Reim darauf machen kann, dass er bei seinen Ermittlungen dauernd einem selbstgefälligen Schnösel mit Anzug und Krawatte über den Weg läuft. Gespielt wird der Beamte von Miroslav Nemec, der zwei Jahre später gemeinsam mit Udo Wachtveitl in München selber „Tatort“-Kommissar wurde. Ebenfalls noch am Anfang ihrer Karriere stand Sabine Postel (seit 1997 „Tatort“-Kommissarin in Bremen). Sie spielt Wilms’ hübsche Schwester, in die sich Schimanski prompt ein bisschen verguckt. In weiteren zum Teil winzigen Rollen wirken unter anderem Michael Brandner (einer der Räuber), der spätere „Wilsberg“-Star Leonard Lansink sowie Jochen Nickel mit. Den ermordeten Vertrauensmann spielt Horst Lettenmayer, der Mann mit den berühmtesten Augen des deutschen Krimifernsehens: Sie sind in jedem „Tatort“-Vorspann zu sehen.

Bei einigen Nebendarstellern scheint zwar der Zungenschlag wichtiger gewesen zu sein als das Talent, aber der Lokalkolorit ist bei diesem Film noch wichtiger als sonst im „Tatort“ aus Duisburg; viele Szenen spielen in der Stahlarbeitersiedlung Duisburg-Hochfeld. Repräsentant des regionalen Elements ist Willi Thomczyk als Ruhrpottphilosoph, der die Werksbesetzung fatalistisch kommentiert: Die Männer „versuchen den Strom aufzuhalten, auf dem sie treiben.“ Oft mischt sich die Kamera (Bernd Neubauer) mitten unter die meist sehr aufgeregten Malocher, die mit den beiden Spendenräubern am liebsten kurzen Prozess machen würden. Trotz einiger aufwändiger Bilder mit vielen Komparsen fehlt dem Krimi aber gerade in solchen Szenen die Klasse, um die aufgeheizte Gänsehautstimmung authentisch wiederzugeben. Regie führte Karin Hercher, die später fast ausschließlich Serien gedreht hat („Lindenstraße“, „Unser Lehrer Doktor Specht“, „Für alle Fälle Stefanie“). Dennoch gelingt es ihr, Wut, Ohnmacht & Verzweiflung der Menschen so gut einzufangen, dass „Der Pott“ nicht zuletzt dank einer ordentlichen Portion Sozialromantik als Zeitdokument sehenswert ist. Interessant ist auch die Musik, selbst wenn ihr anzuhören ist, dass Rio Reiser kein Filmmusikkomponist war. Er wirkt auch persönlich mit: Seine Band hat einen Benefizauftritt für die streikenden Stahlwerker.

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Reihe

WDR

Mit Götz George, Eberhard Feik, Ulrich Matschoss, Thomas Rech, Sabine Postel, Angelika Hurwicz, Horst Lettenmeyer, Michael Brandner, Guido Föhrweißer, Willi Thomczyk, Christoph Lindert, Miroslav Nemec, Leonard Lansink, Jochen Nickel, Ludger Pistor

Kamera: Bernd Neubauer

Szenenbild: Gogol Behrendt

Schnitt: Monika Mertens

Musik: Rio Reiser („Über Nacht“)

Produktionsfirma: Bavaria Filmproduktion

Drehbuch: Axel Götz, Thomas Wesskamp

Regie: Karin Hercher

EA: 09.04.1989 20:15 Uhr | ARD

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