Schon seltsam, wie sich Karrieren manchmal entwickeln. Dieser Berliner „Tatort“ mit dem Titel „Der lange Arm des Zufalls“, erstmals ausgestrahlt 2001, ist ein sehenswerter Krimi: temporeich, gut gespielt, stellenweise auf fast schon dramatische Weise spannend. Trotzdem sind die Karrieren der beiden wichtigsten Beteiligten hinter der Kamera, Regisseur Ralph Bohn und Autor Lienhard Wawrzyn, zumindest laut einschlägiger Internet-Datenbanken im Sande verlaufen. Wawrzyn hat später noch Bücher für die Telenovela „Tessa“ geschrieben und war ansonsten als Supervising Producer tätig, und Ralph Bohn hat noch eine Handvoll Krimis gedreht. Dabei hat sein Film auch 15 Jahre später keinerlei Patina angesetzt; gerade die Kameraarbeit von Thomas Etzold, der nach wie vor sehr gut im Geschäft ist, erfüllt im Unterschied zu anderen Produktionen früherer Jahre durchaus moderne Seherwartungen.
Ganz vorzüglich ist auch Bohns Darstellerführung. „Der lange Arm des Zufalls“ war damals der zweite Krimi mit dem Team Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris Aljinovic), die aber bereits gut eingespielt wirken (für Raacke war es bereits der siebte Film, seinen vorherigen Partner hatte Stefan Jürgens gespielt). Allerdings muss man sich erst mal wieder an Ritters Auftreten gewöhnen: Der Hauptkommissar galt in seinen ersten Jahren als cooler Frauenheld und tat sich durch einen gewöhnungsbedürftigen Kleidungsgeschmack sowie ein fragwürdiges Halbweltbärtchen hervor. Der Film beginnt mit einer siegreichen Poolbillard-Partie, die für den Polizisten unsanft endet: Der Verlierer schickt ihm seine Schläger hinterher, die ihm den Gewinn unsanft wieder abnehmen; Trost findet er bei der russischen Bardame Marina (Valentina Sauca). Der Titelzufall kommt erst am nächsten Morgen ins Spiel, als die eigentliche Geschichte beginnt: Ein Mann (Rainer Strecker) überfällt einen Geldtransporter, eine Farbpatrone explodiert und macht die Scheine unbrauchbar, der Verbrecher erschießt den Wachmann, kann aber nicht fliehen, weil sein Wagen zugeparkt ist. Kurzerhand schnappt er sich das nächstbeste Auto, in dem eine Mutter (Claudia Michelsen) ihr Kind zurückgelassen hat. Weil das Mädchen Musik hören wollte, steckt der Schlüssel noch.
Dank Kameraarbeit und Schnitt ist dieser eigentliche Auftakt gleichermaßen flott und fesselnd inszeniert wie auch absurd: Während der Räuber mit Maike davonbraust, ertönt ein Kinderlied, und das Kind entpuppt sich als gar nicht weiter schockierte Nervensäge, sodass man fast Mitleid mit dem Ganoven hat. Der Zufall kommt ins Spiel, als sich herausstellt, für wen das Geld bestimmt war: Der Koffer enthielt über drei Millionen Mark, die ein in Berlin lebender amerikanische Pelzhändler (Jochen Horst) bestellt hatte. Dieser Forster ist ausgerechnet der Vater von Maike und Ehemann ihrer Mutter Jennifer. Natürlich vermuten die Ermittler nun, dass Forster irgendwie in die Sache verwickelt ist; sie müssen nur noch einen Bezug zwischen dem Amerikaner und dem Räuber finden.
Heimlicher Star des Films ist die junge Leoni Benice Baeßler, deren Spuren sich später nach einer durchgehenden Rolle in der ZDF-Serie „Unser Charly“ ebenfalls verlieren; Schauspielerin ist sie offenbar nicht geworden. Dabei entpuppt sie sich gerade im Zusammenspiel mit Aljinovic als echter Glücksgriff für diesen Film: Zunächst sorgt Maike für eine erstklassige Phantomzeichnung, dann wird man aus ihrer Perspektive Zeugin knallharter Eheszenen, weil die Beziehung der Forsters bis hin zu gegenseitigen Handgreiflichkeiten zerstört ist, und schließlich hat sie maßgeblichen Anteil am Hochspannungsfinale, als der Ganove das Mädchen ein zweites Mal entführt… Nicht minder wichtig ist die Ebene mit dem Ehepaar. Horst und Michelsen spielen die Krise der Forsters auf fast schon unangenehme Weise glaubwürdig. Ebenfalls überzeugend ist Horsts amerikanisches Englisch. Davon abgesehen ist Peter Forster ein echter Kotzbrocken, der die Skulpturen seiner Frau (sie ist Bildhauerin) zerstört und heimlich mit der Tochter in die USA abhauen will. Ein vielschichtiger Plot, bei dessen Umsetzung Bohn und Etzold mehrfach für kleine Bildgestaltungsbesonderheiten sorgen; und ein viel besserer Film, als die negativen Kritiken, die sich hier und da finden lassen, glauben machen. Das gilt im Übrigen auch für einen Kurzauftritt von Axel Schulz als Boxclubbesitzer.