Nick Tschiller muss „das Notwendige“ tun
Fünf Tage lang ist Nick Tschiller (Til Schweiger) im emotionalen Ausnahmezustand. Tochter Lenny (Luna Schweiger) und seine Ex-Frau (Stefanie Stappenbeck), für die er wieder Gefühle entwickelt, sind von den Leuten seines inhaftierten Erzrivalen entführt worden. Es wird ihnen gut gehen, solange der ehemalige SEK-Mann tut, was Clan-Boss Firat Astan (Erdal Yildiz) von ihm verlangt. Der Hamburger Innensenator (Arnd Klawitter) will sich endlich dieses Kriminellen entledigen, der offenbar schon wieder etwas gegen die Hansestadt im Schilde führt. Und so soll Astan nach Bayern verlegt werden. Will Tschiller seine beiden Liebsten lebendig wiedersehen, muss er ihn auf dem Weg dorthin befreien; den Rest übernimmt ein Haufen angeheuerter Russen, die von einer eiskalten Killerin (Helene Fischer) befehligt werden. Ist Astan frei, können auch Tschillers Frauen gehen, verspricht der Big Boss, der dem LKA-Mann beim Abschiedsbesuch im Knast noch gehörig einen mit der Tischplatte mitgibt. Und so wird wieder nichts aus mehr Team-Arbeit zwischen Tschiller und seinem Kollegen Yalcin Gümer (Fahri Yardim). Denn der Held darf sich keinem anderen Menschen offenbaren – und er scheint tatsächlich vorzuhaben, für das Leben seiner Frauen das Gesetz zu brechen. Eine Chance hat er vielleicht, um aus der Sache unbeschadet herauszukommen: Der Innensenator gibt ihm Rückendeckung: „Tun Sie das Notwendige…“
Der Ballermann und der behauptete Schmerz
Til Schweiger gibt in seinem dritten „Tatort“ als LKA-Einzelgänger mit SEK-Vergangenheit weniger den Action-Heiland wie in „Willkommen in Hamburg“ und „Kopfgeld“ als vielmehr einen Polizisten, der auf dem sehr schmalen Grat der Moral jongliert, sich dabei wie immer eine blutige Nase holt und der sich am Ende von „Der große Schmerz“ nicht mehr sicher ist, ob er noch zu den Guten gehört. Wie Schweigers Super-Nick in „Fegefeuer“, den zweiten 90 Minuten dieser Tschiller-Doppelfolge, und Autor Christoph Darnstädt es bewerkstelligen wollen, dass der Held am Ende rehabilitiert ist und weiter für Recht, Ordnung & die ARD durch die Hansestadt ballern darf, wenigstens darauf darf man einigermaßen gespannt sein (um den Journalisten diese Spannung nicht zu nehmen, stand „Fegefeuer“ der Presse nicht zur Verfügung). Die Story ist als Action-Märchen durchaus goutierbar – „Märchen“ nicht nur wegen der bewussten Realitätsferne (nicht umsonst nennt sich die Produktionsfirma Syrreal), sondern auch wegen der Naivität und den vorgestrigen Rollenbildern, die einem in diesem „Tatort“ dargereicht werden. Auch fehlt diesem Genre-Mix jegliches Augenzwinkern. Action und Emotion sollen stets das sein, was sie sind: ein Kampf auf Leben und Tod sowie die „ehrliche“ Abbildung von Schmerz und Verzweiflung (und das mit einem Schauspieler wie Til Schweiger!). Beides wirkt lächerlich. Als Höhepunkt jammert und flennt der Hauptdarsteller („Vergib mir“) und ist wahrscheinlich felsenfest davon überzeugt, dass so „wahrhaftige“ Psychologie aussieht. Der Glaube der Macher daran, einen guten Action-Krimi abgeliefert zu haben, das ist das Lächerlichste an diesem Film. Wenn es wenigstens ehrlicher „Trash“ wäre!
Hohle Story, banale Psychologie, coole Action
Weil das Genre- und Dramaturgie-Konzept von „Der große Schmerz“ so simpel ist, macht es nicht einmal Sinn, beispielsweise das markante Sounddesign und den insgesamt stimmigen Look hervorzuheben. Selbst diese Codes, die die alptraumhafte Situation des Helden widerspiegeln (sollen), werden unterlaufen von der banalen Entführungs-Erpressungsstory. Da können auch ein Regisseur wie Christian Alvart und ein Kameramann wie Jakub Bejnarowicz nichts machen: Bei einer hohlen Story können selbst sogenannte „atmosphärische Bilder“ (die Lichter der Großstadt, der Hamburger Hafen, der lonesome Cowboy), wie wir Kritiker gerne sagen, keine wirkliche Atmosphäre erzeugen. Vielleicht geht so etwas heute noch im Kino, aufgemotzt mit der entsprechenden Technik und hohem Tempo, sodass man die Klischeehaftigkeit der altbekannten Plot-Konstruktion nicht erkennen muss. In diesem ersten 90-Minüter der Tschiller-Doppelepisode aber wird einem die Zeit lang. Einer actionhaltigen Szene folgt minutenlanges Geplänkel. Tschiller will den Gefangentransport begleiten – „no way“, sagt die Staatsanwältin – und am Ende darf er doch. Mit Erzähl-Ökonomie hat das wenig zu tun. Da ist man dann schon dankbar für die Knaller- und Baller-Szenen. Diesbezüglicher Höhepunkt ist das nächtliche Aufeinandertreffen aller Parteien auf einem Schiff. Das Spiel mit der klaustrophobischen Enge geht über in einen Western-Showdown auf Deck. Das ist stark inszeniert und die Dichte der Genre-Klischees und die Geschwindigkeit geben dem Ganzen bei allem Ernst etwas Spielerisches. Und mittendrin der Clan-Boss, halb Untoter, halb Stehaufmann, der nicht totzukriegen ist. Ein Lichtblick auch die coole Killerin mit russischem Zungenschlag, die Helene Fischer als „ein scharfes Geschoss“ im traditionellen Lulu-Look gibt. Die emotionalen Momente bleiben allerdings auch und gerade in den Detailszenen lächerlich und behauptet. Da werden Versprechen gegeben, die eine halbe Filmminute später tragisch gebrochen werden. Dieser Film betreibt eine Gefühlspolitik für Zuschauer mit extrem beschränkter Aufmerksamkeitsspanne. Und ein Menschenleben ist nicht viel wert im Nick-Tschiller-Kosmos; in diesem Film muss ein Toter vor allem für einen dramatischen Effekt gut sein. Fazit: Action-Krimi darf und soll sein im „Tatort“. Aber muss der immer psychologisch, dramaturgisch und darstellerisch so minderbemittelt sein?!