Ballauf und Schenk bietet sich ein Bild des Schreckens. Drei kleine Kinder werden in einer noblen Kölner Villa tot geborgen. Das völlig ausgebrannte Haus gehört einer Familie Reinhardt. Die Mutter wird völlig aufgelöst in der Nähe des Unglücksorts aufgegriffen. Sie hustet, sie spuckt, sie schreit: „Mein Mann“ – doch von dem gibt es keine Spur. Hat er die Familie verlassen? Ist er untergetaucht? Ist er tot? Auch am nächsten Tag steht Karen Reinhardt noch unter Schock. Sie erinnert sich an nichts: weder an den verheerenden Brand, den Tod ihrer Kinder, noch daran, dass ihr Mann sie offenbar verlassen und sie unlängst ihr viertes Kind abgetrieben hat. Die Suche nach Gerald Reinhardt läuft auf vollen Touren. Er soll sich nach Holland abgesetzt haben. Parallel wird nach dem Feuerteufel gefahndet, der seit Wochen in Köln sein Unwesen treibt. Ob der auch etwas mit dem Fall Reinhardt zu tun hat?
Nach dem für Kölner „Tatort“-Verhältnisse außergewöhnlich starken Kammerspielkrimi „Franziska“ geht auch der zweite Film mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär im Jahre 2014, der 59. Fall für die Kommissare Ballauf und Schenk, ungewohnte Wege. Schon der Einstieg gibt ein Versprechen auf 90 dramatische, intensive Filmminuten. Die Kamera nimmt den Zuschauer mit, die Ermittlerroutine muss warten. Man sieht Männer bei ihrer Arbeit, Flammen lodern, markige, betretene Gesichter machen wenig Hoffnung, dann das, was zu befürchten war: verkohlte Leichenteile, drei kleine Körper, die Kinder wurden im Schlaf vom Feuer überrascht. Das Ganze läuft in Distanz schaffenden Zeitlupenbildern ab, aus denen der Ton des Geschehens wie weggewischt wirkt, man spürt, was es heißt, diesen Unfallort – oder Tatort? – zu betreten. Auch in der Folgezeit beeindruckt bei diesem „Fall Reinhardt“ die Inszenierung: die Bilder von Kameramann Holly Fink haben bei aller optischen Brillanz auch etwas realistisch Flüchtiges, unterstützt von einem auf Beiläufigkeit und Bewegung abzielenden Schnitt. Ballauf und Schenk bleiben ganz am Fall; Behrendt und Bär spielen entsprechend konzentriert. In Fall 1 nach Franziska herrscht überhaupt ein anderer Ton im Kommissariat. Mehr Teamgeist, weniger Buddy-Gebaren – und der neue Assi Tobias (Patrick Abozen) recherchiert cooler & straighter als die von Tessa Mittelstaedt gespielte Büroperle.
Dagmar Gabler über das psychologische Motiv des Films:
„Ich beobachte immer mehr Frauen, die in hohem Maße immer perfekter werden wollen – schön, klug, erfolgreich im Job, als Mutter, Ehefrau und Geliebte – und die gleichzeitig immer größere narzisstische Ansprüche haben und immer weniger echte Empathiefähigkeit. Folglich nimmt der Druck auf sie immer weiter zu. Und wenn dann die sorgfältig austarierte Balance außer Kontrolle gerät, ist die Katastrophe vorprogrammiert.“
Spannung bedeutet in Torsten C. Fischers „Tatort“ mehr als Genre-Spannung. „Der Fall Reinhardt“ entwickelt sich parallel zum unvermeidlichen Whodunit (die konventionellen Tricks und möglichen Täterfährten dürfte der versierte Krimi-Zuschauer rasch durchschauen) mehr und mehr zum Drama eines sozialen Abstiegs. Das ausgebrannte Haus wird zum Symbol einer Familie, die die Fassade nicht länger aufrecht erhalten kann. Der Krise folgt die Katastrophe. Getragen wird dieses Szenario des Niedergangs von zwei Gesichtern: von Ben Becker als Gerald Reinhardt, dem vermeintlich geläuterten Choleriker, der die schlimmen Folgen seiner narzisstischen Kränkung seinen Liebsten nicht länger zumuten möchte, und vor allem von Susanne Wolff als Mutter dreier Kinder, die plötzlich alleine dasteht und der sogar auch noch ihre Erinnerung abhanden gekommen ist. Die Lebenslüge liegt in der Luft, aber sie ist nicht fassbar. Noch nicht. Aber mit der langsamen Rückkehr des Gedächtnisses wird Wolffs Gesicht durchlässiger für die Tragödie dieser Familie. Langsam begreift sie, dass ihr Mann zwei Jahre arbeitslos war und sie ihre Kinder verloren hat. Die enorme Präsenz dieser Schauspielerin legt sich über die Bilder, reißt alles mit, bildet das emotionale Zentrum dieses stimmigen Krimi-Dramas. So, nachhaltig, aber ohne Betroffenheitsrhetorik, hat das in die Jahre gekommene Kölner Buddy-Pärchen durchaus eine Zukunft. (Text-Stand: 16.2.2014)