Für einen „Tatort“ zerrt dieser Krimi aus München stellenweise ganz schön an den Nerven. Eine Szene mit Gänsehautcharakter: Kommissar Carlo muss nachts eine Wohnung hüten, in der vor kurzem ein alter Mann ermordet worden ist. Um seiner eifersüchtigen Freundin zu beweisen, dass er tatsächlich einen Einsatz hat, spielt er ein bisschen Polizei und filmt sich dabei mit seinem mobilen Telefon. Als er sich die Aufnahme anschaut, entdeckt er auf dem Display, dass er keineswegs allein in der Wohnung ist… Das Autorenduo Magnus Vattrodt und Jobst Oetzmann, der auch Regie führte, ließ sich zu der Geschichte vom „Verlorenen Kind“ durch eine wahre Begebenheit inspirieren: In einem Münchener Vorort wurde einige Jahre zuvor eine junge Frau entdeckt, die allem Anschein nach ihr gesamtes Leben lang in der Wohnung gefangen gehalten worden war. Sie entpuppte sich als mehrfach schwerbehindert. Die Öffentlichkeit war empört, doch es stellte sich heraus, dass jedes Heim mit der intensiven Pflege überfordert gewesen wäre; das Mädchen kehrte zurück zu ihrer Familie.
Hans (Arndt Schwering-Sohnrey) ist zwar nur geistig zurückgeblieben, doch auch er lebt seit dreißig Jahren wie in einem Gefängnis. Nun ist sein verwitweter Vater tot, erschlagen, und alles deutet darauf hin, dass Hans der Täter ist: Die Tatwaffe, ein Briefbeschwerer, findet sich unter seinen Sachen und trägt seine Fingerabdrücke. Er kommt in die Obhut einer geschlossenen Anstalt, deren Leiter sich schon auf einen Karriereschub freut. Ein erwachsener Mensch, der sein gesamtes Dasein isoliert verbracht hat: ein Glücksfall für die Forschung. Den Hauptkommissaren Leitmayr und Batic tut Hans leid. Mehr aus Sympathie suchen sie nach Hinweisen auf einen anderen Täter; viel zu spät fällt ihnen auf, dass Hans ständig einen Kassettenrecorder mit sich herumträgt und offenbar gern damit aufnimmt.
Mit seinen verfremdeten Bildern, die die Perspektive des jungen Mannes wiedergeben, ist der Film zunächst auch optisch reizvoll. Später dominiert die menschliche Ebene, weil einen Hans’ Schicksal natürlich berührt. Das liegt nicht zuletzt an der Darstellung Schwering-Sohnreys, der einige Erfahrung mit solchen Figuren hat („Familie und andere Glücksfälle“, 2001). Neben den Darstellern machen auch die vielen amüsanten Buch-Details Spaß und sorgen für Entlastung. Einige Szenen mit Wachtveitl und Nemec haben fast Sitcom-Charakter. Ausgezeichnet ist auch die sanfte Musik von Dieter Schleip. (Text-Stand: 26.11.2006)