Tatort – Das kalte Haus

Hanczewski, Gröschel, Bayer, Brambach, Berrached. Das Unbehagen in einer Ehe

Foto: MDR / Hardy Spitz
Foto Rainer Tittelbach

Die Frau eines angesehenen Dresdner Geschäftsmannes ist verschwunden. Der Ehemann hat die Polizei gerufen, kooperiert allerdings nur wenig mit den Kommissarinnen, reagiert wütend, wird handgreiflich. Ist er tatsächlich der liebende Gatte, der er vorgibt zu sein? Oder ist er ein cholerischer Narzisst, dem ein Todschlag im Affekt zuzutrauen wäre? Nach dem „Tatort“-Highlight „Der Fall Holdt“ wollte sich Anne Zohra Berrached „noch einmal der Herausforderung stellen, einen Krimi zu machen, der nur einen Tatverdächtigen hat, sich auf besondere Weise dem Thema der häuslichen Gewalt stellt und das übergeordnete Thema des menschlichen Instinktes behandelt“. Gemeinsam mit Autor Christoph Busche ist ihr diese Herausforderung mit dem „Tatort – Das kalte Haus“ (MDR / MadeFor) vorzüglich gelungen. Auch ohne klassischen Whodunit oder Thriller-Suspense entwickelt der „Tatort“ Spannung und besitzt in seinen Interaktionen eine hohe Intensität. Eine unbehagliche Stimmung zieht sich durch den Film. Dieses leblose Haus, dieses schwere, patriarchalische Interieur, dieser überspannte Wüterich, dieses bourgeoise Von-oben-herab. Überall Signaturen einer toxischen Beziehung. Wenig Handlung, dafür umso mehr Zwischentöne. Und das Finale ist besonders emotional & packend geraten: ein Western-Showdown mit mehreren Fingern am Abzug.

Eine leere Prunkvilla, ein verzweifelter Geschäftsmann, eine verschwundene Ehefrau. Eigentlich kein Fall für die Mordkommission. Aber dieser Simon Fischer (Christian Bayer) ist ein einflussreicher Mann in Dresden – und so beordert Abteilungsleiter Schnabel (Martin Brambach) seine Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) außerhalb ihrer Dienstzeit zu Fischers Anwesen, mal nach dem Rechten schauen. Die beiden treffen den Hausherren nicht an, finden allerdings eine ganze Menge Blut. Es wird also nichts aus Gorniaks geplanter Geburtstagsfete. Die Spusi nimmt ihre Arbeit auf. Möglicherweise unter Schock irrt derweil Fischer durch die Nacht. Schnabel gabelt ihn zufällig auf und fährt mit ihm zu dessen Villa. Hier in seinem Reich macht Fischer seinem VIP-Image alle Ehre. Er ist wenig kooperativ, hinterfragt die Ermittlungsmethoden, schreit herum und heult sich in Winklers Armen aus. Verbirgt sich hinter diesem übergriffigen Großkotz tatsächlich der liebende Ehemann, der er vorgibt zu sein? Oder ist er ein cholerischer Narzisst, dem durchaus ein Todschlag im Affekt zuzutrauen wäre? Gorniak legt sich früh fest: „Ich spür das einfach. Irgendwas stimmt nicht mit diesem Mann.“ Schnabel is not amused. Es gibt keinerlei Beweise gegen diesen noblen Geschäftsmann, es gibt nur Gorniaks Gefühl. Spielen also der Kommissarin da nicht vielleicht ihre Kindheitserfahrungen einen Streich?

Tatort – Das kalte HausFoto: MDR / Hardy Spitz
Ist es das Blut von Kathrin Fischer? Wenn ja, kann sie bei so viel Blutverlust noch am Leben sein? Noch hat Gorniak (Karin Hanczewski) ihre Intuition, was Fischer angeht, bei den Kollegen nicht publik gemacht… So viel Farbe ist in Anne Zohra Berracheds dritten „Tatort“ eher die Ausnahme. Das reale Szenario dominiert über surreale Filmsprache.

Nach dem Furtwängler-„Tatort“-Highlight „Der Fall Holdt“ wollte sich die Regisseurin und Ko-Autorin Anne Zohra Berrached („24 Wochen“) „noch einmal der Herausforderung stellen, einen Krimi zu machen, der nur einen Tatverdächtigen hat, sich auf besondere Weise dem Thema der häuslichen Gewalt stellt und das übergeordnete Thema des menschlichen Instinktes behandelt“, so die preisgekrönte Filmemacherin im Presseheft. Gemeinsam mit Autor Christoph Busche („Kommissarin Lucas – Goldrausch“) ist ihr diese Herausforderung ganz vorzüglich gelungen. Der Krimifall bringt die toxische Beziehung des Ehepaars Fischer ans Licht und entwirft ein tragisches Bild einer Ehe, die ein einziges Missverständnis zu sein scheint. Dass ausgerechnet diese Frau im Internet das Glück verkauft, ist ein cleverer Schachzug des Drehbuchs: Frauen müssten früh die Kunst der Verstellung erlernen, um in dieser Männerwelt bestehen zu können, klärt Gorniak ihren Chef auf, der das alles gar nicht so genau wissen will. Die vermisste Kathrin Fischer (Amelie Kiefer), die mit ihren Videos im Film präsent ist, hat offenbar unter der krankhaften Idealisierung ihres Mannes gelitten. Das Bildnis von ihr, das jedem Besucher der Villa ins Auge sticht, zeigt wenig Eigen-Leben. Man sieht eine tieftraurige Person, eine Ikone männlichen Besitzes. Die Zeichen sprechen eine deutliche Sprache. Diese vermeintlich zurückhaltende Frau wurde offensichtlich am Leben gehindert. Obwohl Diplom-Psychologin hat sie ihre Praxis längst aufgegeben, fungiert jetzt stattdessen als „Glücks“-Coach im Internet. Über die (Hinter-)Gründe lässt sich spekulieren.

„Das kalte Haus“ ist ein „Tatort“, bei dem am Ende nicht nur die Kommissarinnen schwer atmen. Zunächst ist es die zunehmende Präsenz dieser kranken Beziehung, die sich im egozentrischen Gebaren des Ehemanns ebenso sinnlich äußert wie im falschen Lachen und gespielten Optimismus in den Glücks-Coach-Videos der Vermissten. Theaterschauspieler Christian Bayer, in Sachen Film und Fernsehen ein völlig unbeschriebenes Blatt, verkörpert diesen Mann, der so viel Wut in sich trägt und so wenig Impulskontrolle zeigt, auf eine Weise, die ein wenig an Jens Harzer erinnert. Immer steht dieser Simon Fischer ein bisschen neben sich, mal imaginiert er sich seine Frau in die Szenerie, mal simuliert er eine Umarmung, mal legen sich die Worte seines gestörten Begehrens wie ein Leichentuch über die Bilder: „Du bist das Licht, mein Engel. Ohne dich ist da nur Nacht in mir, nur Hoffnungslosigkeit, nur das Dunkle eines tiefen, traurigen Sees.“ Diese seelische Dunkelheit spiegelt sich vor allem auch im titelgebenden „kalten Haus“ wider. Das Mobiliar schwer, dunkel, patriarchalisch. Anfangs müssen sich die Kommissarinnen mit Taschenlampen Sicht verschaffen, da bei diesem „intelligenten“ schlossähnlichen Anwesen Beleuchtung nur auf Zuruf funktioniert. Ein Ort des Glücks sieht anders aus. Und so setzt Berrached – im Gegensatz zu ihrem farbdramaturgisch fulminanten zweiten „Tatort – Liebeswut“ – hier auf einen düsteren Look mit realistischer Anmutung. Es wird langsam Tag. Auch bei den Charakteren ist eine gedämpfte Wahrnehmung vorherrschend. Alle sind völlig übernächtigt. Die Müdigkeit und dieses Alles-innerhalb-weniger-Stunden-Prinzip erweisen sich als dramaturgisch besonders reizvoll. „Das kalte Haus“ setzt auf die Psychologie der Figuren und des Raumes. Surreales wie im RB-„Tatort“ hat hier keinen Platz. Entsprechend wird auch der Kindheits-Exkurs der bodenständigen Gorniak völlig anders inszeniert als bei Jasna Fritzi Bauers undurchsichtiger Liv Moormann.

Tatort – Das kalte HausFoto: MDR / Hardy Spitz
Simon Fischer (Christian Bayer) wirft einen verstohlenen Blick ins Schlafzimmer. „Der ist wichtig“, betont Schnabel. Und damit über jeden Verdacht erhaben? Karin Gorniak ist da ganz anderer Meinung: „Irgendwas stimmt nicht mit diesem Mann.“

Auch ohne klassischen Whodunit oder Thriller-Suspense entwickelt dieser „Tatort“ Spannung und besitzt in seinen Interaktionen eine hohe Intensität. Eine unbehagliche Stimmung zieht sich durch den Film. Dieses riesige Haus ohne Leben, dieser völlig überspannte Mann mit seinen Wutausbrüchen, diese so patent wirkenden Kommissarinnen, die so gar nicht in dieses großbürgerliche Scenario passen, dieses trostlose Gemälde der Hausherrin und die Bilder aus einem Stollen mit seinen engen Gängen, die immer wieder in die Handlung eingeschnitten werden. Hinzu kommen die offenen Fragen: Warum hat Fischer das Haus verlassen? Welche Beziehung unterhält er zur besten Freundin seiner Frau (Katharina Behrens)? Und weshalb rät ihm sein Anwalt (Robert Schupp) von einer Kooperation mit der Polizei ab? „Das kalte Haus“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Anhäufung von äußerer Handlung nicht der Schlüssel zu einem packenden Krimidrama sein muss. Abwechslung gibt es auch so genug. Dafür sorgen unter anderem auch die guten Locations und einige Parallel-Sequenzen: Während die Kommissarinnen Fischer (psychologisch) bearbeiten, sorgt Schnabel mit einer Polizeistaffel für Entdecker-Spannung und „Action“.  Und das Finale, ein Wechselbad der Gefühle, ist auch filmisch ein Höhepunkt: eine Art Western-Showdown mit mehreren Fingern am Abzug.

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Reihe

MDR

Mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Christian Bayer, Amelie Kiefer, Katharina Behrens, Robert Schupp, Nadja Stübinger, Karina Plachetka

Kamera: Jakob Beurle

Szenenbild: Jürgen Schäfer

Kostüm: Filiz Ertas

Schnitt: Denys Darahan

Musik: Jasmin Reuter, Martin Glos, Christian Ziegler

Redaktion: Sven Döbler

Produktionsfirma: MadeFor Film

Produktion: Nanni Erben

Drehbuch: Christoph Busche, Anne Zohra Berrached

Regie: Anne Zohra Berrached

Quote: 8,20 Mio. Zuschauer (29,3% MA); Wh. (2024): 6,37 Mio. (26,1% MA)

EA: 06.06.2025 20:15 Uhr | ARD

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