Gertrud Schenk hat auf makabre Weise vorgesorgt: Auf dem Grabstein sind schon ihr Name und ihr Geburtstag notiert, denn gewiss wird sie sich in nicht allzu ferner Zeit „neben meinen Ernst legen“, wie sie selbst sagt. Aber noch sitzt die betagte Dame höchst lebendig auf der Friedhofsbank und gibt ihrem Enkel Alfred, genannt Freddy, Anweisungen bei der Grabpflege. Dieser Ende 1999 gedrehte „Tatort“ ermöglicht ein Wiedersehen mit dem ehemaligen, damals 78 Jahre alten Ufa-Star Ilse Werner (verstorben im August 2005) in einer kleinen, aber bedeutsamen Nebenrolle. Mit Charme und Augenzwinkern (aber ohne zu pfeifen) macht Ilse Werner plausibel, warum die keineswegs gebrechliche Oma Gertrud eine eher zufällig erworbene Zyankalikapsel nicht mehr so gerne wieder hergibt – für alle Fälle.
In der „Tatort“-Folge „Bittere Mandeln“ müssen Hauptkommissar Freddy Schenk und sein Kollege Max Ballauf den Tod des wohlhabenden, aber krebskranken Mittsechzigers Gerd Weisbach durch Zyankali aufklären: War es Selbstmord, verbotene Sterbehilfe oder doch Mord? Der elfte „Tatort“ mit dem Kölner Duo Ballauf/Schenk ist voll gepackt mit Figuren, die alle irgendwie ihre Finger im Spiel haben: die rästelhafte Ehefrau (Renée Soutendijk), die mit Geld ausgehaltene Geliebte (Jana Hora), die Frau (Susanna Simon) eines von Weisbach zum Krüppel gefahrenen Unfallopfers (Markus Knüfken) sowie ein zwielichtiger Krankenpfleger (Ralf Bauer), der mit der Sehnsucht nach dem Tod Geschäfte macht.
In diesem Dschungel könnte vor allem Ballauf leicht den Überblick verlieren, denn Weisbachs Gattin Evelyn hat es dem einsamen Gesetzeshüter sichtlich angetan. Auch Schenk hat so seine Sorgen: Zum einen erleidet sein geliebter Chevy bei den Ermittlungen manche Blessuren. Zum anderen ist Sekretärin Lissy (Anna Loos) ziemlich erbost, weil der von Schenk beauftragte Blumenladen den schönen Geburtstagsstrauß mit den Silberdisteln für Opas Grab vertauscht hat. Und ob das eine gute Idee war, Oma Gertrud als Lockvogel für windige Sterbehelfer einzusetzen, daran bekommt Schenk doch recht bald Zweifel.
Getragen wird dieser Kölner Fall wesentlich von der Präsenz der beiden Kommissare, deren Marotten zudem gerade von einem Regisseur wie Kaspar Heidelbach liebevoll gepflegt werden. „Gut gelaunte Schauspieler machen gute Filme“, sagte Heidelbach, der mit den Schauspielern seit dem Mehrteiler „Leo und Charlotte“ (1990) mehrfach zusammen gearbeitet hat, nach den Dreharbeiten. Der Spaß, den das befreundete Trio am Set hatte, äußert sich im Film auch in unscheinbaren Details: zum Beispiel in der Zeitungsschlagzeile „Dortmund ein hilfloser Haufen“, die Heidelbach dekorativ auf die Rückbank von Schenks Auto platziert hat. Dass er dem bekennenden Fußball-Fan Dietmar Bär dies unbemerkt untergejubelt hat, darüber kann sich Heidelbach diebisch freuen („das Beste am ganzen Film“).
Aber ganz so schlecht ist der Streifen wirklich nicht. Sterbehilfe ist das gesellschaftliche Thema, das der WDR und die Produktionsfirma Colonia Media in dieser Folge als Folie für den Kölner „Tatort“ gezielt ausgewählt haben. Autor Karl-Heinz Käfer schwingt nicht die moralische Keule, sondern plädiert eher beiläufig für das Recht auf selbstverantwortliches Handeln auch im Sterben. Somit ist dieser „Tatort“, wie so mancher Krimi, zugleich ein Zeitzeugnis, weil er belegt, wie lange die Debatte über ein solch elementares Thema die Gesellschaft beschäftigt. Das ist nicht zuletzt der Reiz der Wiederholungen.