Zwei Opfer, ein Fall: Eine Frau bricht beim harten Sex unter der Dusche blutend zusammen, eine andere liegt tot auf dem Asphalt vor ihrem Haus. Marion Faust wurde offensichtlich gewaltsam vom Balkon ihrer Wohnung im dritten Stock gestürzt. Sie war Empfangschefin im Kölner Grand Central Palace. Die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) bringen in dem Hotel in Erfahrung, dass das Mordopfer zuletzt mit Lars Baumann (Hanno Koffler) in Streit geraten war. Der sucht wiederum seine verschwundene Frau Susanne, die Frau unter der Dusche. Während die Zuschauer diesen Zusammenhang frühzeitig erahnen können, benötigt die Polizei dafür noch eine ganze Weile.
Altmeister am Werk: Uwe Erichsen & Klaus Doldinger, beide Jahrgang 1936
„Bausünden“ ist ein solider Old-School-„Tatort“; einen „klassischen Ermittlungskrimi“ nennt ihn Regisseur Kaspar Heidelbach zurecht. Das Drehbuch der Routiniers Uwe Erichsen und Wolfgang Wysocki konzentriert sich ganz auf die Kriminalgeschichte. Das Privatleben von Ballauf und Schenk kommt allenfalls in einem Nebensatz zur Sprache. „Old School“, und das ist keineswegs despektierlich gemeint, ist auch der Stab der Kreativen: Erichsen (geb. 1936) dürfte etwa 80 Jahre alt gewesen sein, als er an dem Buch mit Wysocki (geb. 1954) schrieb – Respekt. Sein letztes „Tatort“-Drehbuch („Schimanskis Waffe“, 1990) liegt fast 30 Jahre zurück. Heidelbach (geb. 1954), hatte bereits die beiden ersten „Tatort“-Folgen mit dem Duo Behrendt/Bär („Willkommen in Köln“, „Bombenstimmung“, 1997) inszeniert, und Produzentin Sonja Goslicki ist ohnehin die Frau der ersten Stunde beim Kölner Team. Und dann ist da noch Klaus Doldinger, ebenfalls Jahrgang 1936, der hier nicht nur mit der legendären Titel-Melodie vertreten ist, sondern auch als Komponist für den Score, laut Internet Movie Database zum 34. Mal in der „Tatort“-Reihe. Und so erfreut „Bausünden“ sein Publikum durch einen jazzigen Einstieg im Doldinger-Sound. Im weiteren Verlauf aber wird bisweilen versucht, durch Musikeinsatz eine Spannung zu erzeugen, die der Fall nur bedingt hergibt.
Katar bleibt weit weg, nur einige Scheichs laufen durchs Hotelfoyer
Die Geschichte selbst bietet den klassischen „Tatort“-Mix aus Krimi und Zeitkritik. Der Titel „Bausünden“ bezieht sich auf die WM-Baustellen in Katar und generell auf die Korruption im Baugewerbe. Lars Baumann leitet für eine Kölner Firma den Neubau eines Hotels in dem Land, in dem die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ausgetragen wird. Seine Frau Susanne ist in derselben Firma die Assistentin des Geschäftsführers Hans Könecke (Julian Weigend). Einmal sieht man ein paar Scheichs im Hotel-Foyer durchs Bild laufen, ansonsten bilden die WM-Vorbereitungen in Katar nur den Handlungsrahmen. Das Thema Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen kommt pflichtschuldig zur Sprache, und deutlich wird auch, dass westliche Unternehmen von der WM-Vergabe nach Katar profitiert haben. Die Zeitkritik bleibt jedoch oberflächlich, manche Sprüche klischeehaft („Geld ist genug geflossen. Keine Ahnung, wo das bei den Kameltreibern versickert ist“), die Branche selbst ist aber die passende Kulisse für das eigentliche (Beziehungs-)Drama.
Der Motor des Films: Hanno Koffler als auf sich gestellter Außenseiter
Während Lars häufig am Persischen Golf weilt, lebt seine Frau Susanne in Hotelzimmern „gewisse Neigungen“ aus, wie es eine Hotel-Angestellte formuliert. Angeblich habe Lars das gewusst und akzeptiert, behauptet Susannes Schwester Daniela (Dana Pallaske), die früher selbst einmal mit ihm zusammen war. Lars verhält sich ziemlich irrational, erzählt den Kommissaren nichts vom Verschwinden seiner Frau und entwischt Ballauf und Bär aus dem fahrenden Auto. In der Firma wird er schief angesehen, nur Daniela hält zu ihm. Hanno Koffler als auf eigene Faust ermittelnder Außenseiter, das passt gut (Casting: Gitta Uhlig) und ist – neben dem unklaren Schicksal Susannes – der Motor des Films. Denn während die Erkenntnisfortschritte der Kommissare in typischen Krimi-Dialogen immer wieder protokolliert werden, bleibt dieser Lars bis zuletzt eine interessante, nicht vollends erklärte Figur. Dass er als Soldat in Afghanistan war und unter einer Posttraumatischen Belastungs-Störung leiden soll, soll den Zuschauern weismachen, dass diesem Lars alles zuzutrauen ist – besonders wenn er eine Waffe in die Hand bekommt. Aber das ist ein eher durchsichtiges Manöver, wie auch der Fall insgesamt – trotz hübscher Schlusspointe – wenig überraschen kann. Zu deutlich sind die Rollen der „Guten“ und der „Bösen“ in dem Spiel verteilt.
Das Kölner Team bleibt die klassisch bodenständige Variante
„Bausünden“ ist auch eine Art Jubiläumsfolge. Regisseur Heidelbach drehte sie 2017, genau 20 Jahre nachdem er mit den Arbeiten an „Willkommen in Köln“ begonnen hatte. Vieles – die auffallend vielen Ansichten von der Stadt am Rhein, die finale Szene an der Wurstbraterei – ist deshalb auch als Reminiszenz zu verstehen und weniger als Statement für die zukünftige Entwicklung. Doch offenkundig soll das Kölner Team die klassisch bodenständige „Tatort“-Variante mit zwei sympathischen, grundsoliden Polizei-Typen bleiben. Ballauf und Schenk sind die Normalos unter den Kommissaren, ewiger Single der eine, Familienvater der andere – eine gut austarierte Freundschafts-Mischung, in der es zu Reibungen, aber niemals zu einem Zerwürfnis kommen kann. Doch wenn der WDR mal nicht irgendein Jubiläum (und sich selbst) im Old-School-Stil feiert, wünscht man den beiden wieder packendere Fälle, in denen gesellschaftskritische Stoffe weniger vorhersehbar verhandelt werden.
Die Figur des schwulen, dunkelhäutigen Assistenten wird still beerdigt
„Bausünden“ ist außerdem eine Art Abschiedsfolge. Zum letzten Mal spielt hier Patrick Abozen den Assistenten Tobias Reisser, der immerhin in neun Folgen zum Team gehörte. Die gut gemeinte Figur eines schwulen, dunkelhäutigen Zuarbeiters für die Kommissare zündete nicht recht und tritt nun etwas sang- und klanglos ab. Wie der Sender im September 2017 auf Nachfrage der Neuen Osnabrücker Zeitung mitgeteilt hatte, sei eine neue Assistenten-Figur entwickelt worden, die in 2018 eingeführt werden soll. In „Bausünden“ aber schafft Tobias Reisser noch ein kleines Wunder. Aus einem umfangreichen Datenmaterial an Überwachungs-videos findet er im Handumdrehen – die Kommissare sind nur ein paar Schritte gegangen – die entlarvenden Bilder. Solche Wunder gibt es nur in Drehbüchern. (Text-Stand: 2.1.2018)