Bamberger Brandanschlag: Gibt es zwei Täter – einen draußen, einen drinnen?
Ein Brandanschlag auf eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Bamberg, bei dem eine Frau aus Kamerun zu Tode kommt, stellt Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) vor große Probleme. Anwohner haben nichts gesehen, und die Flüchtlinge sagen nichts, weil sie dadurch die Bewilligung ihrer Asylanträge gefährdet glauben. „Wenn es vom Status abhängt, ob jemand mit einem spricht, dann muss man vielleicht den Status ändern“, theoretisiert Kommissar Voss – und reiht sich wenig später als Erso Maschadow aus Tschetschenien in die Schlange der neuen Asylbewerber ein. Die Undercover-Aktion ist auch deshalb sinnvoll, weil sich die Tote im Vorratsraum der Gemeinschaftsküche, in die der Brandsatz geworfen wurde, aufhielt und der Riegel zu dieser Kammer runtergeklappt war. Hat also vielleicht jemand nachgeholfen? Gibt es zwei Täter, einen draußen, einen drinnen? Voss, der etwas Tschetschenisch spricht und aus dessen Biographie sich eine Legende für seinen Einsatz basteln ließ, gewinnt das Vertrauen eines traumatisierten syrischen Jungen (Mohamed Issa) und macht bald auch Bekanntschaft mit Said (Yasin El Harrouk), dem großen „Organisierer“ in der Unterkunft, der ihm sogar einen Putzjob vermittelt. Bewegung in die Ermittlungen kommt allerdings erst, als ein Anwohner endlich sein Schweigen aufgibt.
Durch die Verdeckte Ermittlung bilden Krimi und Drama eine Einheit
Die zwei Perspektiven, aus denen Autor Holger Karsten Schmidt („Mord in Eberswalde“) die Kommissare im dritten frankischen „Tatort – Am Ende geht man nackt“ ermitteln lässt, sind dramaturgisch klug gewählt, weil so der Krimi und das Drama, der Alltag der Flüchtlinge und deren Schicksale, nahtlos ineinander übergehen. Die persönlichen Tragödien sind gegenwärtig, werden aber nicht überstrapaziert. Dass Voss während seiner Ermittlungsarbeit für den 16jährigen Syrer zunehmend zum Bruderersatz wird (und sogar über eine Adoption des Jungen nachdenkt), erhöht die emotionale Spannung. Und ungefährlich ist sein Einsatz auch nicht. Immer wieder fühlt ihm der Kleinkriminelle Said auf den Zahn, und dann müssen Voss und seine neuen Freunde sich auch noch gegen rechtsradikale Schläger zur Wehr setzen. Für den Kommissar eine Möglichkeit, sich körperlich zu beweisen und kurzzeitig wieder in die Rolle als Polizist zu rutschen. Durch die Konstruktion der Verdeckten Ermittlung erhält der Kommissar in dieser Situation die im Krimi seltene Chance, mit den Fäusten Farbe zu bekennen (nicht nur realen, auch TV-Kommissaren ist ja ein solches Verhalten untersagt) und dem „Ausländerfeind“ kräftig was auf die Nase zu geben. Eine entlastende Aktion auch für den Betrachter. Es ist eine insgesamt vielschichtige Szene, die für den Zuschauer eine eher lustvolle Auflösung erfährt: Nachdem die Streifenpolizisten Voss festnehmen und ihm, dem vermeintlichen Asylbewerber, von einer Anzeige abraten, ist der sonst oft so liebenswürdige Hauptkommissar plötzlich wütend und droht den Kollegen mit einem Disziplinarverfahren.
Humanistische Grundsätze betonen, statt sich in die Realpolitik einklinken
Ähnlich wie „Angst essen Seele auf“, Fassbinder-Filmtitel und zugleich ein Satz aus dem legendären „Ausländerdrama“, zur geflügelten Redewendung wurde, so ist auch der Titel von Markus Imbodens „Tatort“ einem Monolog aus dem Film entnommen. „Am Ende gehen wir so, wie wir gekommen sind: Am Ende geht man nackt – das macht uns doch zu Brüdern.“ Dieser Satz spiegelt die Grundhaltung des Films und verdeutlicht, dass sich die Macher weniger in den realpolitischen Diskurs der Flüchtlingsfrage einklinken, als vielmehr humanistische Grundfragen stellen wollen. Die Geschichte sensibilisiert für Menschenrechte und plädiert für den Reichtum, der durch die Vielfalt und die Kontraste der Kulturen entsteht. Autor Schmidt bemüht sich um eine gewisse „Ausgewogenheit“: Da sind nicht nur heimatlose Menschen in der Flüchtlingsunterkunft gestrandet, die der Empathie des Zuschauers sicher sein können wie der junge Syrer oder der Kinderarzt aus Kuban, dessen Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden („Wir sind sicher hier in Deutschland, es ist gut, hier zu sein“), sondern es gibt eben auch Said, den Mann, der die Hand beißt, die ihn füttert. Mohamed Issa („Wir waren Könige“) und Yasin El Harrouk („Tatort – Der Wüstensohn“), verkörpern ihre Rollen, den traumatisierten, introvertierten Teenager und den extrovertierten Händler im gelobten Land, in Geste & Sprache so authentisch, dass einem die dramaturgische Bild/Gegenbild-Konstruktion beim Sehen des Films keineswegs unangenehm auffällt.
Für den „Tatort – Am Ende geht man nackt“ konnte ein ganz großer Bildgestalter gewonnen werden: Jürgen Jürges, Jahrgang 1940, stand bereits 1971 bei einem Kressin-„Tatort“ hinter der Kamera, bevor er mit seinem semidokumentarisch-realistischen bis sensibilistisch distanzierten Stil den Neuen Deutschen Film entscheidend mitprägte. Jürges arbeitete mehrfach mit Fassbinder („Effi Briest“), Sanders-Brahms („Deutschland bleiche Mutter“) und van Ackeren („Die flambierte Frau“) zusammen, mit Wenders („In der Ferne, so nah“), Haneke („Funny Games“), Dietl („Vom Suchen und Finden der Liebe“), aber auch mit Genre-Wilden wie Ulf Miehe („John Glücksstadt“) oder Roland Klick („White Star“). Aber Jürges macht(e) nicht nur Arthaus-Kino, sondern er war auch mit von der Partie, als Schimanski im Kino die Action-Keule schwang („Zahn um Zahn“), und er führte die Kamera bei „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Auch Dagmar Manzels Kommissarin schießt schon mal über das Ziel hinaus
Dieser ungestörte „Flow“, der beim Zuschauen entstehen kann, resultiert selbstredend auch aus der dichten, abwechslungsreichen Narration. Schließlich sind hier nicht nur Voss und Ringelhahn doppelperspektivisch unterwegs, auch Goldwasser, Fleischer, Spusi-Mann Schatz und Polizeipräsident Kaiser haben auch noch ihre teilweise originellen Auftritte. Und auch die Verhöre und Befragungen haben es in sich. Ringelhahn hat besonders den Vermieter der Flüchtlingsimmobilie auf dem Kieker. Das Gebäude des Anschlags erweist sich nämlich als einsturzgefährdet. So lässt sie sich hinreißen zu justiziablen Sätzen („Ich bring Sie zur Strecke“) oder einer Unterstellung wie „Der Brand hat Sie reich gemacht“. Auch ist ihre Polemik in einem Verhör mit einem „Deutschnationalen“ nicht gerade zielführend, zumal zumindest ein Punkt an den arbeitslos gewordenen Rechtsradikalen geht, dessen Ängste sich als nicht ganz unberechtigt erweisen („Die arbeiten für weniger; die unterbieten uns“). Clever indes schwindelt sie ihren Chef an. „Manchmal braucht die Wahrheit einen leichten Schubs.“
Trotz getrennter Wege wächst die Verbundenheit zwischen Voss & Ringelhahn
Auch wenn (oder gerade weil?) die Hauptkommissare in diesem „Tatort“ getrennte Wege gehen, betont das ihre Verbundenheit umso mehr. Der ausländerfeindliche Fall lässt Paula Ringelhahn etwas strenger und rigider erscheinen als bisher. Vielleicht ist es aber auch nur die Abwesenheit des Kollegen mit seiner so erfrischenden Art. In den drei, vier Zweier-Szenen, die Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs miteinander haben, entsteht bei aller professioneller Distanz ihrer Figuren (die beiden sind im Dienst) eine auffallende Nähe zwischen den Kommissaren, wie man das so von keinem „Tatort“- oder anderen Krimireihen-Duo kennt. Voss kommt von einer Reise aus dem Kaukasus zurück, als die Kollegen bereits mit dem Fall befasst sind. Und der kluge, stets freundliche Voss zaubert sofort ein Strahlen auf das Gesicht der Ringelhahn. Ein anderes Mal umkreisen sie im Gespräch das Thema „unglücklich verliebt“. Ausgangspunkt für den Dialogwechsel ist zwar der Fall, die Unterredung endet aber mit Voss’ Satz „Sag’ mal, wir können doch auch mal was trinken gehen“, nachdem Ringelhahns Sorge um ihren Kollegen mit Sätzen wie „nicht, dass du mir da drin verloren gehst“ oder „pass’ auf dich auf“ vielleicht mehr als nur freundschaftliche Qualität haben.
Die Qualität dieses dritten „Tatorts“ aus Franken hat viele Namen
Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs sind zwei überragende Schauspieler, und sie geben mit traumwandlerischer Sicherheit zum dritten Mal ein Ermittlerduo, das auf derselben Wellenlänge liegt: Beide Kommissare sind Menschen, die auch mal aus der Rolle fallen, die ihnen der Beruf vorgibt. Schauspielprofis haben alles und mit jedem zu können. Schaut man sich allerdings die gemeinsamen Szenen der beiden ein zweites Mal an, erkennt man die Präzision im Spiel, aber auch die Lust am Miteinander und – was die Rollen angeht – glaubt man, Hinweise auf einen freundschaftlich-erotischen Subtext im Mienenspiel zu erkennen. Grundlage für derlei Konnotationen ist natürlich auch das Buch von Holger Karsten Schmidt, das solche Zwischentöne ermöglicht. Weitere Namen mit besten künstlerischen Referenzen für die entscheidenden Nuancen sind aber auch Regisseur Markus Imboden, der mit Autor Schmidt eine Reihe wegweisender Krimis fürs ZDF („Mord auf Amrum“) gedreht hat, bevor er sich zum Jahreswechsel 2016/17 mit drei großartigen „Tatorten“ zurückmeldete, Kameramann Jürgen Jürgens („Angst essen Seele auf“), der seit 50 Jahren mit seinem beobachtenden Blick auf Menschen und Dinge Kinogeschichte geschrieben hat, oder auch die Szenenbildnerin Bettina Schmidt, die bereits zweimal („Teufelsbraten“ und „Neue Vahr Süd“) einen Grimme-Preis gewann. Und so ist auch der dritte Franken-„Tatort – Am Ende geht man nackt“ wieder ein hervorragender Film geworden. Einer, der die gewohnte Krimi-Dramaturgie klug aufbricht und so viel „Spannung“ zwischen den Charakteren und Situationen aufbaut, dass man die weniger präsente Krimi-Spannung nicht vermisst. (Text-Stand: 23.3.2017)