Auch Lebensmüde setzen ihre Brille ab, bevor sie ins Wasser gehen. Deshalb ahnt Klaus Borowski (Axel Milberg) gleich, dass etwas nicht stimmt, als ein Segelboot führerlos auf hoher See treibt. An Bord finden sich zwar die persönlichen Dinge der Bootsbesitzerin, nicht aber ihre Brille; offenbar wollte jemand einen Selbstmord inszenieren. Dieser Jemand aber ist ein Phantom: Er trägt den Namen eines Toten. Borowski steht vor einem Rätsel, zumal es auch keine Leiche gibt. Ohne Leiche kein Mord, ohne Mord kein Fall; selbst wenn sich die Schwester (Anna Brüggemann) der verschwundenen Frau reichlich seltsam benimmt.
Foto: NDR / von der Mehden
Zwar nicht seltsam, aber zumindest doch ungewöhnlich ist dieser „Tatort“ aus Kiel. Inszeniert hat ihn Buddy Giovinazzo, vor einigen Monaten noch für einen guten, aber recht plakativen „Polizeiruf 110“ aus München verantwortlich („Mit anderen Augen“ mit Udo Kier). Hier aber konzentriert sich der Amerikaner, der seit neun Jahren in Berlin lebt, ganz auf seine Darsteller. Oder richtiger gesagt: auf Axel Milberg, der diesen „Tatort“ schultern muss. Der Fall wird dabei fast zweitrangig, denn das Drehbuch von Jörg von Schlebrügge konzentriert sich mehr und mehr auf Borowskis Verhältnis zu den unterschiedlichen weiblichen Figuren: Bei Frauen streckt der sonst so poltrige Kommissar auf fast rührende Weise die Waffen. Das gilt allen voran natürlich für Kriminalpsychologin Jung (Eggert), mit der ihn von Anfang an eine Hassliebe verbunden hat, die jedoch immer erotischere Züge annimmt. Das gilt aber auch für seine halbwüchsige Tochter, die in einem ähnlich anstrengenden Alter ist wie die junge Schwester der verschwundenen Frau; und schließlich für die Mutter (Susanne Lothar) der beiden, einer etwas exaltierten Person, die wie ein Fremdkörper durch den Film stöckelt.
Außer Borowskis Chef spielt überhaupt nur ein Mann eine nennenswerte Rolle in dieser undurchsichtigen Geschichte, und das ist der große Unbekannte (Thomas Heinze), der sich hinter dem Namen Kovac verbirgt. Selbstredend liefert Schlebrügge Gründe genug für die Gewissheit, dass Kovac der Mörder ist, als Borowski die Frau erstochen und vergraben in ihrem Vorgarten entdeckt; trotzdem ist die Auflösung am Ende eine echte Überraschung.