Bundespolizist Thorsten Falke gerät in Verdacht, eine Frau erschossen zu haben. Die ersten Szenen zeigen den tragisch geendeten Einsatz in einem leerstehenden Fabrikgebäude in Lüneburg: Falke und seine Kollegin Julia Grosz streifen mit gezogenen Waffen in der Dunkelheit vorsichtig umher. Dann stößt Grosz unerwartet auf eine andere Polizei-Einheit, es fallen Schüsse, Blut tropft herab, und im Schein der Taschenlampe entdeckt Grosz die tote Alima (Sabrina Amali), eine Geflüchtete aus dem Libanon, die erschossen auf einem Fußboden-Gitter liegt. Kurz darauf erscheint der Kopf von Falke, der sich über Alima beugt; in der Hand trägt er seine Waffe. Noch in derselben Nacht beginnt die Anhörung. Falke und Grosz werden getrennt vernommen. Ihr Gegenüber ist der Lüneburger Polizeichef (oder Dienststellenleiter?) Joachim Rehberg (Jörn Knebel).
Spärlich beleuchtete Räume, nächtliche Straßen
Im Wechsel von Kammerspiel & Rückblenden wird dieser vierte gemeinsame Fall des Teams Falke/Grosz alias Wotan Wilke Möhring/Franziska Weisz erzählt. Ein probater und attraktiver Drehbuch-Kniff, der in der „Tatort“-Reihe zuletzt in der BR-Folge „Der Tod ist unser ganzes Leben“ eingesetzt wurde. Neben den reizvollen Psychospielchen in den Verhör-Dialogen hat diese Erzählform noch eine besondere Qualität, die besonders in einem Krimi Sinn macht. Das in Rückblenden inszenierte Geschehen sind die Aussagen von Zeugen oder Verdächtigen. Und die stehen auf wackligen Beinen, können falsche Wahrnehmungen sein, vage Erinnerungen, irrige Annahmen, oder auch: bewusste Manipulationen. Das Publikum sieht also eine Handlung unter Vorbehalt, kann sich nie sicher sein, dass nicht doch alles ganz anders war – zumal wenn, wie bei „Alles was sie sagen“, zwei bisweilen unterschiedliche Versionen in Szene gesetzt werden. Das bewährte Drehbuch-Team Jan Martin Scharf und Arne Nolting („Club der roten Bänder“, „Weinberg“) weiß die Möglichkeiten dieser Form herausragend zu nutzen. Auch in der Bildgestaltung spiegelt sich das Spiel mit der verborgenen Wahrheit: Die Kamera (Matthias Bolliger) ist meist in spärlich ausgeleuchteten Räumen oder auf Straßen bei Nacht unterwegs. In Lüneburg tappt man buchstäblich im Dunkeln.
„Identitätsprüfung“ eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers
Falke und Grosz wurden vor drei Tagen in die niedersächsische Stadt beordert, um einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher aufzuspüren. Der Libanese Tarek Salam (Youssef Maghrebi) soll einer Miliz angehört haben, die für Massaker und Plünderungen verantwortlich ist. Salam lebt gut integriert in Lüneburg und gibt mittlerweile anderen Geflüchteten sogar Deutsch-Unterricht. Als die beiden BKA-Beamten in der Schule auftauchen, nimmt er allerdings die Beine in die Hand. Die draußen postierten Beamten lassen ihn entwischen. Salam taucht unter. Bei seiner Meldeadresse treffen Falke und Grosz nur das spätere Opfer an. Alima, seine angebliche Ehefrau, erweist sich in Wahrheit als seine Schwester. Außerdem finden die Ermittler heraus, dass Salam homosexuell ist und mit Lehrer Stefan Hansen (Moritz Grove) ein Verhältnis hat. Die Ermittlungen deuten zwar darauf hin, dass der Gesuchte auch in Drogengeschäfte verwickelt sein könnte, doch die „Identitätsprüfung“ der Bundespolizisten ergibt ein ganz anderes Bild als das vom als Flüchtling getarnter Kriegsverbrecher.
Franziska Weisz beeindruckt mit Französisch-Kenntnissen
Regisseur Özgür Yildirim („Boy 7“) hat sich um Authentizität bemüht, hat bei der Befragung des Deutsch-Kurses mit real Geflüchteten gearbeitet und verzichtete auch sonst auf Schauspieler, die ein vermeintlich typisches Flüchtlings-Deutsch radebrechen. Stattdessen gibt es längere Passagen auf Französisch (im Gespräch zwischen Alima und Julia Grosz) sowie auf Arabisch, die nicht untertitelt, sondern wie im wahren Leben gedolmetscht werden. Ganz ohne Klischee geht es aber nicht: Der stiernackige Chef eines libanesischen Familienclans hält von seiner Shisha-Bar aus alles unter Kontrolle („Das ist meine Stadt, mein Laden, meine Regeln“). Wenn man mal „4 Blocks“ gesehen hat, wirken solche Fernsehkrimi-Figuren nur noch wie ein dünner Abklatsch. Aber der Vergleich mit einer Serie hinkt natürlich auch.
Verschiedene Wahrheiten bei der getrennten Vernehmung
Dafür rückt mehr und mehr die Beziehung zwischen Falke und Grosz in den Vordergrund. Während der getrennten Vernehmungen beginnen sie sich zu widersprechen. Die Gründe für die Differenzen scheinen harmlos zu sein, in Frage kommt vor allem Falkes Eifersucht, denn Julia Grosz trifft einen alten Freund aus der gemeinsamen Ausbildungszeit wieder. Olaf Spieß (Marc Rissmann) ist bei der Polizei in Lüneburg und wird von Falke erst einmal ordentlich zusammengefaltet, weil Salam aus der Schule entwischen konnte. Grosz vermittelt, scheint aber nicht nur ein berufliches Interesse an Spieß zu haben. Falke sieht die beiden miteinander flirten und wird immer missmutiger. Zumal Grosz ihm irgendwann vom „krassen“ Sex mit ihrem damaligen Freund vorschwärmt. Manches, was Falke in der Vernehmung berichtet, scheint nur die Ausgeburt seiner Eifersucht zu sein. Aber was ist mit dem Anruf, bei dem Spieß Arabisch sprach und an den sich nur Falke, nicht Grosz erinnern kann? Grosz gerät zwischen die Stühle, deckt nach einer verpatzten Überwachung ihren Ex-Freund und verheimlicht Falke auch, dass sie ein Feuerzeug aus der Shisha-Bar beim hoch verschuldeten Spieß fand. Das Vertrauen zwischen den Bundespolizisten bröckelt gewaltig, außerdem vermutet Falke einen Maulwurf bei der Polizei. Tatsächlich veranlasst Junker (Gerdy Zint), der die Lüneburger Ermittlungen gegen den libanesischen Drogenclan leitet, dass Falke und Grosz von dem Fall abgezogen werden.
Das Team prallt aufeinander und findet zusammen
Das ist der Stand nach etwa 66 Minuten. Jetzt kehrt die Film-Erzählung zu dem Einsatz in der Fabrik zurück, bei dem Alima ums Leben kam – und wie die Autoren nun das Spiel mit Erinnerungen und vermeintlichen Wahrheiten auflösen, ist clever, überraschend, erstklassig und soll deshalb hier auch nicht in Ansätzen angedeutet werden. „Alles was sie sagen“ überzeugt mit der klassischen „Tatort“-Mischung aus zeitkritischem Thema und guter Krimi-Unterhaltung; es ist die bisher beste Folge mit dem Team Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz, deren Figur Julia Grosz hier endgültig im „Tatort“ angekommen ist. Bisher wirkte die Zusammenarbeit zwischen dem impulsiven, immer geradeheraus agierenden Falke und der wortkargen, spröden Afghanistan-Rückkehrerin Grosz eher steif. Das Team fremdelte noch, nun findet es auf elegante Weise zusammen. Die getrennten Vernehmungen sorgen erst einmal dafür, dass man beide Charaktere eigenständiger wahrnimmt als sonst. Zugleich ist mehr Energie im Spiel, die Protagonisten prallen zum Teil heftig aufeinander, kommen sich aber auch auf etwas drollige Weise näher. Die Dialoge haben dank Falkes Eifersucht eine komische Note, und insbesondere Franziska Weisz kann mit neuen Facetten ihrer Figur aufwarten – auch wenn nicht immer ganz klar ist, ob das nicht nur Abbilder von Falkes Phantasie sind. Die Song-Auswahl kommentiert das manchmal vielleicht etwas zu offensichtlich: „Why can’t we be friends“ von War wählt Falke in der Musikbox zum gemeinsamen Frühstück mit Grosz. Mit „I’d rather go blind“ ist Etta James aus dem Autoradio zu vernehmen, wenn Grosz und Spieß den Lehrer Hansen aus dem Auge verlieren. Aber der Sound von Creedence Clearwater Revival („Fortunate Son“) passt sehr schön zum Bild des einsamen Thorsten Falke in seinem schummrigen Motel-Zimmer. So kann es gerne weitergehen. (Text-Stand: 30.3.2018)