Deutsche Fernsehsender verpassen ihren Serien gern das Etikett „Sitcom“, weil sie der irrigen Meinung sind, eine Sitcom sei in erster Linie kurz und komisch. Dabei sind die prägendsten Merkmale echter Sitcoms ganz andere; im Grunde handelt es sich um ein von mehreren Kameras abgefilmtes Theater mit Live-Publikum oder Lachern vom Band. Die Rahmenbedingungen von „Tanken – Mehr als Super“ kommen jenen einer Sitcom allerdings recht nahe: Die Handlungen der zwölf Folgen tragen sich ausnahmslos an einer Tankstelle zu, die handelnden Personen bleiben auf bestimmte Charakterzüge reduziert und entwickeln sich allenfalls innerhalb eines begrenzten Spielraums, der Humor entsteht stets aus der Situation heraus („Situation Comedy“). All das aber ist natürlich bloß der akademische Hintergrund. Bei einer komischen Serie zählt nur eins: Ist sie wirklich komisch oder tut sie nur so? Zentrale Figur ist ein verhinderter Karrierist. Georg (Stefan Haschke) hat an der „Super“-Tankstelle bislang die Tagschicht geleitet, muss sich aber nach Abmahnung und Degradierung mit den verkrachten Existenzen der Nachtschicht rumplagen: Der dicke Olaf (Daniel Zillmann) sieht sich eher als Rockmusiker, der stille Daniel (Ludwig Trepte) hat sein Medizinstudium abgebrochen. Georg will um jeden Preis zurück in die Tagschicht und versucht, Lethargie und Desinteresse seiner Mitarbeiter durch militärischen Tonfall zu kompensieren. Außerdem ist er ein Korinthenkacker; eine ältere Frau beschimpft ihn „Vorschriften-Nazi“, als er ihrem Enkel den Besuch der Kundentoilette verwehrt, weil sie keine Kundin sei. Mit seiner Haltung beschwört Georg immer wieder neue Kettenreaktionen herauf, die sich ganz einfach beenden ließen, wenn er nicht so engstirnig wäre. An diesem Muster orientieren sich sämtliche Folgen.
Die Drehbücher stammen von Gernot Gricksch und Julia Drache. Gricksch ist sowohl für seinen Roman „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ wie auch dessen Drehbuchadaption mehrfach ausgezeichnet worden, war maßgeblich am Erfolg der Krimireihe „Kommissar Dupin“ beteiligt und steht dank Filmen wie „Der Hodscha und die Piepenkötter“ (2016) oder „Schwarzbrot in Thailand“ (2017) für einen gewissen Anspruch. Mit „Tanken – Mehr als Super“ wollte er womöglich mal was ganz Anderes ausprobieren, aber er und Koautorin Drache haben einen wichtigen Aspekt außer acht gelassen: Wenn die Hauptrolle einer komischen Serie schon nicht sympathisch ist, sollte sie zumindest von Christoph Maria Herbst gespielt werden; Stefan Haschke gehört eher in die Kategorie Nebendarsteller. Er verkörpert den Chef konsequent als Antihelden: Georg ist ein kleines Würstchen, das einen Zipfel der Macht erhascht hat und seine Untergebenen knechtet. Darin ist die Figur – von den genretpyischen Übertreibungen und den in betont schlechtem Englisch vorgetragenen Anglizismen aus der Managersprache („System is wisdom“) mal abgesehen – wirklich gut getroffen. Weil jeder Mensch solchen Typen schon mal begegnet ist und niemand mehr Zeit als nötig mit ihnen verbringen will, wäre es umso wichtiger, die zentrale Rolle wie in „Stromberg“ mit witzigen, originellen und gut gespielten Nebenfiguren zu umgeben; doch selbst Ludwig Trepte, immerhin zweifacher Grimme-Preisträger („Guten Morgen, Herr Grothe“, „Ihr könnt euch niemals sicher sein“), vermag keine darstellerischen Glanzpunkte zu setzen. Immerhin agiert Daniel Zillmann, als trotteliger Dicker vom Dienst viel zu oft nervige Knallcharge, mit einiger Zurückhaltung. Sein Olaf hat sogar anrührende Züge, weil er sich liebevoll um seinen dementen Opa kümmert. Ansonsten ist er Manager einer Rock-Band, deren Mitglieder immer wieder mal vorbeischauen und sich gegen das Death-Metal-Klischee als Sensibelchen oder Experte für Teintpflege entpuppen.
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Die Geschichten kreisen fast ausschließlich ums durchgehende Ensemble, zu dem sich neben Daniels Freundin (Vita Tepel) oder Georgs gewalttätiger Ex-Frau (Katja Danowski) gelegentlich auch Strandgut des Lebens gesellt (als Gäste: Eko Fresh und William Cohn). Verschiedene Verwicklungen sorgen dafür, dass diese Nachtgestalten nicht bloß Kunden sind. Unter anderem will Georg die Tanke diebstahlssicher machen („Security is succes“). Eine Detektei soll überprüfen, wie gut die Sicherheitsmaßnahmen funktionieren; prompt hält Georg zwei Nonnen und eine Schwangere für die angekündigten Testdiebe. Missverständnisse dieser Art ziehen sich durch die ganze Serie: Georg will einem Kunden (Michael Lott) den Autoschlüssel abnehmen, weil er glaubt, er sei betrunken, dabei laboriert der Mann an den Folgen eines Schlaganfalls. Humoristisch betrachtet ist das Niveau der einzelnen Folgen, die regelmäßig durch neonfarben illuminierte Zwischenspiele unterbrochen werden, überschaubar. Reizvoller werden die Geschichten ohnehin erst, wenn das Trio darstellerische Verstärkung bekommt. Am interessantesten ist in dieser Hinsicht die attraktive Jana (Christina Petersen). Während sich Olaf auf der Stelle in die vollschlanke Kollegin verknallt und überzeugt ist, sie erwidere seine Gefühle, reagiert Georg hochgradig allergisch: Jana ist seine Nachfolgerin als Leiterin der Tagschicht. Er will den Job um jeden Preis zurück, aber am Ende ist es immer wieder Jana, die dem Trio aus der Patsche helfen muss.
Nur bedingt gelungen ist auch die Umsetzung. Meist werden die ohnehin nicht sonderlich originellen Einfälle viel zu breit ausgewalzt. Folge eins beginnt mit einer ausufernden Türquälerei: Draußen steht Georg und kommt nicht rein, weil die automatische Türöffnung nicht funktioniert, drinnen steht Olaf und kapiert’s nicht. Als Georg einen leblosen Kollegen mit schwungvoller Herzmassage reanimieren will, entpuppt sich das plötzlich durchs Büro spritzende Blut als Inhalt eines Ketchuptütchens in der Brusttasche. Später rutscht ein Sanitäter auf jener Urinlache aus, die der Junge, der nicht aufs Klo durfte, im Verkaufsraum hinterlassen hat. Was bei entsprechender Inszenierung in guten Komödien durchaus zu verblüfftem Gelächter führen könnte, wirkt hier bloß albern. Bestes Beispiel für einen verpuffenden angekündigten Gag ist die Idee, dass ein Kunde die Hilferufe einer Muslimin (Sara Fazilat) als „Allahu akbar“ missversteht, weshalb schließlich ein Sondereinsatzkommando die Tankstelle stürmt. Viel zu selten sind dagegen Momente, die sich durch ein lakonisches Understatement auszeichnen: Als modernes Pendant zum Tumbleweed, dem Steppenroller aus dem Western, weht in jeder Folge eine grüne Plastiktüte durchs Bild.