An einer Stelle in diesem Krimi klingt es an: Der neue Fall für Kommissarin Nina Petersen basiert auf einer realen Vorlage. Drehbuchautor Andreas Kanonenberg („Die Chefin“) fasst den Hintergrund im ZDF-Presseinterview zusammen: “Sture Bergwall, bekannt geworden unter dem Namen Thomas Quick, war ein drogenabhängiger und psychisch gestörter schwedischer Staatsbürger, der in der geschlossenen Anstalt keine Drogen mehr bekam, um seine Sucht zu befriedigen. Das änderte sich schlagartig, als er erst einen Mord und dann im Laufe der Zeit immer mehr – insgesamt 33 – Morde gestand. Auf einmal stand er im Mittelpunkt des Interesses und bekam nicht nur wieder seine Psychopharmaka, sondern auch die Aufmerksamkeit des gesamten Strafverfolgungsapparats. Aufmerksamkeit, von der Quick ebenso abhängig wurde, wie von den Tabletten, die man ihm verabreichte. Der Fall hat in Schweden eine heftige Diskussion über die Arbeit der Polizei und der Behörden ausgelöst.“
Foto: ZDF / Gordon Timpen
Und so trifft Nina Petersen (Katharina Wackernagel) mit ihrem Team auf einen Menschen, der ein Verbrechen gesteht: „Ich habe Susanne Richter getötet“ – das sagt gänzlich unaufgeregt und emotionslos der unscheinbare Bücherei-Angestellte Peter Thies (Simon Schwarz). Brutal hat er die Strandbesucherin ermordet. Auch wenn bei Nina und ihrem Kollegen Karl Hilde (Alexander Held) Zweifel bestehen, Thies verfügt über präzises Täterwissen und eine der beiden DNA-Spuren am Tatort stammt zweifelsfrei von ihm. Für die Chefin der Mordkommission, Caroline Seibert (Therese Hämer), ist der Fall klar und gelöst. Doch Nina hat weiter starke Zweifel an dem Geständnis. Sie sucht das Motiv. Als sie dem angeblichen Täter ihre Aufmerksamkeit entzieht, gesteht er einen weiteren Mord – an Jana Radic, die vor ein paar Jahren spurlos verschwand. Jetzt hofft Caroline Seibert, mit Thies einen Serienmörder überführen zu können. Um Thies‘ Geständnis zu überprüfen, soll er die Polizei zu Janas Leiche führen… Parallel dazu wird die Geschichte einer Beziehung erzählt, die am Ende zu sein scheint: Thorsten (Patrick von Blume) und Monika Weber (Dagmar Leesch) hält wohl nur noch die beiden kleinen Söhne beieinander. Auch sie waren in der Nähe des Tatorts…
Was tun, wenn alle Beweise, Indizien, DNA-Spuren und Täterwissen nur einen Schluss zulassen, aber man dennoch am Täter zweifelt? Um diese zentrale Frage dreht sich der 15. „Stralsund“-Krimi mit dem passenden, aber auch klar auf den Ausgang hinweisenden Titel „Doppelkopf“. Andreas Kanonenberg stellt hier die übliche Krimi-Dramaturgie auf den Kopf: Die Kommissare müssen „anders herum“ ermitteln – also einem Täter nicht seine Schuld beweisen, sondern Beweise für eine Tat liefern, die diese Schuld einwandfrei beweisen? Oder eben nicht. Eine Story, die wunderbar passt zu der Figur der Ermittlerin: Nina ist eine Jägerin auf die Straße, sie gibt nicht auf, setzt auf ihre Intuition. Mit ihren hohen moralischen Ansprüchen muss sie die Täter selbst stellen, koste es auch einen persönlichen Preis.
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Was treibt die Guten an, was den vermeintlich Bösen. Dafür nimmt sich Regisseur Thomas Durchschlag viel Zeit. Durchschlag konnte 2004 mit seinem Debütfilm „Allein“ ein Ausrufezeichen setzen und inszenierte 2017 das sehenswerte Loverboy-Drama „Ich gehöre ihm“. Eine wichtige Rolle in seinem ersten „Stralsund“-Krimi spielt auch das Thema Liebe: zerbrochen, verloren, neu, enttäuscht – viele Facetten werden gezeigt. Und auch, was daraus resultiert: Trauer, Wut, Einsamkeit, Angst, Lethargie, Misstrauen, Gewalt. Auch die Ermittler sind da eingezogen: Nina Petersen ist frisch verliebt, Karl Hidde sieht sich einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt. Karim fühlt sich als Außenseiter und ungeliebt. All diese kleinen Nebengeschichten fügen sich gut in den Plot ein. Schauspielerisch überzeugt vor allem Simon Schwarz als Peter Thies. Diese schwierigen, gespaltenen Charaktere kann Schwarz exzellent spielen, nur muss er vielleicht ein wenig aufpassen, sich nicht zu überspielen. Zuletzt ist er gefühlt in jedem dritten Film zu sehen – ob Kino (Eberhofer-Krimis) oder TV („Polizeiruf 110 – Dunkler Zwilling)“. Deutlich zu kurz kommt die Figur, die parallel zu den Ereignissen am Strand auftaucht, die weiter eine Rolle spielt und auf die es am Ende – das darf bei der Erzählweise dieses Krimis durchaus verraten werden – letztlich hinausläuft. Die lässt den Zuschauer ratlos zurück, sie hat keine Tiefe und bekommt auch nur ein schwaches Motiv. Doch unterm Strich: ein richtig gutes „Stralsund“-Jubiläum. (Text-Stand: 5.11.2019)
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