Stralsund – Der Anschlag

Wackernagel, Held, Lohmeyer, Lotz. Eine Spur horizontal & eine gute Portion Action

Foto: ZDF / Gordon Timpen
Foto Volker Bergmeister

Thematisch ist der achte ZDF-Krimi aus der Reihe „Stralsund“ mit dem Titel „Der Anschlag“ auf der Höhe der Zeit, inszenatorisch setzt er auf Tempo und Action, ohne die leisen Momente zu vergessen. Peter Lohmeyer als charismatischer Anführer einer Terrorgruppe und Katharina Wackernagel als weiterhin traumatisierte, schwer leidende Ermittlerin liefern sich ein kleines Psycho-Duell, doch die weiteren Episodenfiguren bleiben blass und auch das restliche Team neben der Kommissarin haben wenig Raum zur Entfaltung. Gelungene, spannende Krimi-Unterhaltung nach klassischem „Die Bombe tickt“-Muster = gutes Gebrauchsfernsehen!

Warum können Kommissare eigentlich nicht loslassen? Auf den Satz „Nehmen Sie sich den Rest der Woche frei“ würde die meisten Arbeitnehmer wohl mit einem klaren Ja antworten. Nicht so Kommissarin Nina Petersen. Die guckt, als ob man ihr gerade gekündigt hätte. Dabei muss sie erneut viel durchmachen im mittlerweile achten „Stralsund“-Krimi mit dem Titel „Der Anschlag“. Was für ein Auftakt: Schon nach wenigen Sekunden ist man emotional drin in diesem Film. Denn Kommissarin Petersen (Katharina Wackernagel) wird nach einer Verfolgungsjagd von Kugeln durchsiebt und stirbt. Halt: Alles nur ein Traum! Hellwach und ziemlich gerädert liegt sie im Bett. Doch bald schon gibt es eine richtige Leiche. Ein polizeibekannter Typ aus der Hooligan- und Gewalltäterszene liegt tot im Hinterzimmer einer Stralsunder Bar. Eine Spur führt zu einer politisch radikalen Gruppe um den charismatischen Anführer Peter Marohn (Peter Lohmeyer). Der flippt beim Verhör aus und greift Ninas Kollegen Karl Hidde (Alexander Held) an. Als Folge lässt sich Marohn krankschreiben und in die Psychiatrie einweisen. Als die Kommissare Unterlagen über ein geplantes Attentat finden und auch noch ein LKW mit einer großen Menge Ammoniumnitrat gestohlen wird, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Um an Marohn ranzukommen lässt sich Petersen in die Psychiatrie einweisen. Nur Klinikleiter Dr. Steiger (Andreas Leupold) kennt ihre eigentliche Identität. Doch bald schon hat der Polit-Verschwörer ihr Spiel durchschaut. Nina gerät in Gefahr.

Stralsund – Der AnschlagFoto: ZDF / Gordon Timpen
Das Stralsunder Ermittlungsquartett: Max Morolf (Wanja Mues), Nina Petersen (Wackernagel), Karl Hidde (Alexander Held) & Gregor Meyer (Michael Rotschopf)

Wie bei den bisherigen sieben „Stralsund“-Krimis des ZDF haben auch hier wieder Sven S. Poser und Martin Eigler das Drehbuch geschrieben. Sie stehen für Kontinuität. Und die zahlt sich aus, denn die Autoren können ihre Ermittlerfiguren fortschreiben. Nina Petersens Trauma nach dem Verlust des ungeborenen Kindes und der Schussverletzung, Hiddes verlorenes Bein, die Rückkehr von Max Morolt (Wanja Mues) – häufig nur in Details und am Rande wird die Aufarbeitung der Vergangenheit in die eigentliche Krimigeschichte eingeflochten. Auch diesmal wird die Kommissarin von wilden Flashbacks gequält, ihre erschossene Kollegin (Kirsten Block) erscheint ihr. Das hat seinen Reiz, macht weiter neugierig. Wie die Autoren den festen Figuren der Reihe so ein bisschen Tiefe geben wollen, ist einmal mehr gelungen. Bei den Episodenrollen bleibt dieses Anliegen allerdings auf der Strecke. Thematisch ist „Stralsund – Der Anschlag“ auf der Höhe der Zeit: Ausländerhass, Attentatspläne, rechtsradikale Umtriebe – alles drin, was derzeit auch in der Gesellschaft diskutiert wird. Doch an der Zeichnung der Figuren hapert es: Die Mitverschwörer bleiben doch sehr blass. Wenn es heißt „sie hatten drei Jahre Zeit, um an ihrem Hass zu arbeiten“, so wird der Hass an kaum einer Stelle für den Zuschauer so richtig spür- oder nachvollziehbar. Der Klinikchef ist eine ebenso oberflächliche wie eindimensionale Figur. Alles ist auf den selbst ernannten Erlöser Peter Marohn zugeschnitten, der sich mit Nina Petersen ein kleines Psycho-Duell liefern darf. Peter Lohmeyer legt den Marohn wohltuend zurückgenommen an, dosiert das Dämonische mit seinem nuancierten Spiel und mit seiner sonoren Stimme. Doch auch diesem Charakter fehlt die Tiefe: Sein Motiv mäandert so vor sich hin, über die Motivation und den ideologischen Überbau wird zwar geredet, aber er wirkt konstruiert und nicht schlüssig.

Zum zweiten Mal in einem „Stralsund“-Krimi führt Lars-Gunnar Lotz Regie. Er ist in diesem ZDF-Format angekommen, hat gerade schon die nächste, die neunte Folge der Reihe abgedreht. Lotz setzt wie schon bei seinem „Stralsund“-Debüt „Kreuzfeuer“ auf eine gute Portion Action. Rasante Jagden, schnelle Schnitte, versiertes Spiel mit Licht und Gegenlicht – hier wird fürs Auge allerhand geboten. Manchmal geht es auch zu wie bei einem Bond-Film, wenn die Ermittler den entscheidenden Hinweis aus einem lodernden Feuer in einer Tonne fischen und ausgerechnet das Stück Papier unversehrt ist, auf das es ankommt. Auch der Kniff, dass der Bösewicht nicht, wie üblich und logisch, nach der Verhaftung in eine Zelle gebracht wird, sondern – quasi in der ersten Reihe – im Auto sitzend dem Showdown beiwohnen kann, erinnert er an Kino-Abenteuer-Spaß á la 007, um die Spannung aufrecht zu halten und den Hauptdarsteller noch ein wenig länger im Bild zu haben. Und so ganz nebenbei stellt man sich wieder einmal die Frage: Warum gibt es bei Verfolgungsjagden mit der Polizei für den bösen Buben eigentlich immer eine Abzweigung, die gerade nicht blockiert ist? Mal ist die rechte, mal die linke Straße nicht durch ein Polizeiauto zugestellt, aber an der nächsten Kreuzung warten dann wieder zwei Wagen und lassen eine Lücke für den Flüchtenden.

Stralsund – Der AnschlagFoto: ZDF / Gordon Timpen
In Krimis abonniert auf zwielichtige Typen: Peter Lohmeyer (mit Alexander Held als Kommissar Hidde)

Äußerst gelungen und gut anzusehen hingegen ist, wie Regisseur Lotz die – leider viel zu häufig ins Drehbuch eingeflochtenen – Szenen im Kommissariat inszeniert. Nah an den Gesichtern, immer mal ein Perspektivwechsel und feine Schnitte geben diesen Passagen mehr Atmosphäre und befreien sie aus der Behäbigkeit. Und auch weiche szenische Übergänge (in einem Fall mal von Glas zu Glas) zeigen die sorgfältige Inszenierung. Vollständig aber können die Schwächen des Buches dadurch nicht ausgegleichen werden. In diesem Krimi wird zu viel gesprochen und erklärt, es gibt kaum Wendungen, alles läuft auf das bekannte Thriller-Spiel, den Wettlauf gegen die Uhr, hinaus. Das ist unterhaltsam und auch spannend – und macht „Der Anschlag“ zu einem Stück guten Gebrauchsfernsehens.

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Reihe

ZDF

Mit Katharina Wackernagel, Alexander Held, Wanja Mues, Peter Lohmeyer, Michael Rotschopf, Golo Euler, Nadja Bobyleva, David Korbmann, Markus Tomczyk, Andreas Schröders, Andreas Leupold

Kamera: Philipp Kirsamer

Szenenbild: Claus Kottmann

Schnitt: Darius Simaifar

Produktionsfirma: Network Movie

Drehbuch: Sven S. Poser, Martin Eigler

Regie: Lars-Gunnar Lotz

Quote: 3,83 Mio. Zuschauer (11,6% MA)

EA: 28.12.2015 20:15 Uhr | ZDF

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