Stenzels Bescherung

Knaup, Hans-Ullrich Krause, Marc-Andreas Bochert. Neuer Lebensmut für alle

Foto: Degeto / Conny Klein
Foto Tilmann P. Gangloff

Wunder gibt es immer wieder: Weil seine Kleinstadtfiliale bis Weihnachten abgewickelt werden soll, wandelt sich ein braver Banker zum Robin Hood und versorgt die Geschäftsleute des aussterbenden Städtchens noch rasch mit dringend benötigten Überbrückungskrediten. Für Herbert Knaup, dessen Mitwirkung ohnehin fast immer eine gewisse Qualitätsgarantie bedeutet, ist der penible und stets korrekte Filialleiter eine wunderbare Rolle, zumal er die Gefühle des seit dem Tod seiner Tochter aller Lebensfreude beraubten Mannes sehr subtil vermittelt. Wichtigste Nebenfigur ist daher eine von Anna Fischer gespielte Straßensängerin, die dem Dasein des Bankers zu neuem Sinn verhilft. Es sind ohnehin vor allem die Geschichte und der Hauptdarsteller, die „Stenzels Bescherung“ (Degeto / Tellux) sehenswert machen, denn Marc-Andreas Bocherts Inszenierung ist verhalten bis gediegen & recht tempoarm.

Die Geschichte ist viel zu schön, um wahr zu sein, und deshalb folgt auf die Einblendung „Beruht auf wahren Begebenheiten“ auch umgehend ein einschränkendes „fast“. Marc-Andreas Bochert erzählt mit „Stenzels Bescherung“ von einem Ereignis, dessen Hintergrund trauriger Alltag in vielen Dörfern ist: Weil den Orten die Einwohner abhanden kommen, verabschieden sich nach und nach auch die verschiedenen Dienstleister, bis am Schluss nur noch eine Kneipe übrig bleibt. So weit ist es in dem ostdeutschen Kleinststädtchen dieses Films zwar noch nicht gekommen, aber das Schicksal der Stadtbank ist besiegelt; auch wenn Tutz (Constantin von Jascheroff), der schneidige Abgesandte aus der Frankfurter Zentrale, von Optimierung faselt. Die Kette ist an einen Investor aus Singapur verkauft worden; Tutz soll die Nebenstelle bis Weihnachten abwickeln, wie Filialleiter Volkmar Stenzel (Herbert Knaup) bei einem belauschten Telefonat erfährt; deshalb dürfen keine Kredite mehr vergeben werden.

In einem Anfall von heroischem Trotz erfindet der ansonsten stets penible und korrekte Banker kurzerhand die Aktion „Bank hilft Nachbarschaft“ und nutzt die ruhenden Konten erbenloser Verstorbener, um die darbenden Geschäftsleuten des Städtchen unter der Hand mit Überbrückungskrediten zu versorgen: Der Bäcker braucht Geld für eine neue Knetmaschine, in einer Kfz-Werkstatt muss die Hebebühne repariert werden, und der renovierungsbedürftige Kindergarten „Pfützenhüpfer“ kann die Handwerker nicht bezahlen, weil sich der zugesagte Zuschuss der Stadt verzögert. Stenzel stellt nur eine einzige Bedingung: Das Geld muss bis Heiligabend zurückgezahlt werden, damit die Sache nicht auffliegt. Das geht prompt schief.

Stenzels BescherungFoto: Degeto / Conny Klein
Dank der der Straßenmusikerin Jana (Anna Fischer) geht dem Banker ein Licht auf.

Bochert und sein Koautor Hans-Ullrich Krause erzählen die Geschichte als lange Rückblende. Die Handlung beginnt in Skandinavien, Volkmar und Barbara Stenzel (Johanna Gastdorf) sind im Wohnmobil unterwegs, um einen alten Traum ihrer verstorbenen Tochter zu erfüllen: Das Mädchen hatte sich gewünscht, vor seinem Tod die Nordlichter zu sehen. Zumindest für Volkmar endet die Reise abrupt, als sie von der Polizei gestoppt werden und er verhaftet wird. Nun friert Bochert das Bild ein, um anschließend zu erzählen, was in den sechs Wochen zuvor passiert ist: Als erstes sprechen die zwei Frauen aus der Kita vor, aber Stenzel muss sie unverrichteter Dinge wieder wegschicken, weil die Erzieherinnen keinerlei Sicherheiten bieten können; da weiß er noch gar nichts von dem Kreditstopp, den der unangenehme Tutz verkünden wird. Trotz der Absage ist Stenzel, Ende fünfzig, ein Banker alter Schule, in dessen Weltbild die Bank für die Menschen da ist und nicht umgekehrt; der Überflieger Tutz ist ihm daher genauso unsympathisch wie dessen zischende und fauchende moderne Kaffeemaschine.

Vordergründig wirkt „Stenzels Bescherung“ wie eine typische Robin-Hood-Geschichte: Ein Mann stemmt sich gegen die Globalisierung. Tatsächlich geht es letztlich um etwas ganz anderes, und das macht den eigentlichen Wert dieses Films aus: Im Grunde hat Stenzel nach dem Tod seiner Tochter mit dem Leben abgeschlossen. Seither funktioniert er nur noch, wie Bochert mit einigen Einstellungen des immergleichen Tagesablaufs illustriert. Stenzel fühlt sich „wie aus dem Zug gefallen: Von einem Moment auf den nächsten gehört man nicht mehr dazu.“ Das bezieht sich zwar auf die bevorstehende Schließung der Filiale, beschreibt aber auch seinen allgemeinen Gesamtzustand. Wichtigste Nebenfigur ist daher Straßensängerin Jana (Anna Fischer), die vom Durchbruch träumt. Stenzel streckt ihr das Geld für einen Termin im Tonstudio vor, damit sie ein Demoband aufnehmen kann; abends schaut er sich alte Videofilme seiner Tochter an, die ebenfalls Musik gemacht hat und heute so alt wie Jana wäre. Anna Fischer versieht ihre Rollen ohnehin meist mit ansteckender Lebensfreude und ist daher die perfekte Besetzung für die junge Frau, deren Bekanntschaft zu Stenzels Sinneswandel führt; nur deshalb lässt er sich auch auf ein vom türkischstämmigen Restaurantbesitzer Mahmoud (Adnan Maral) eingefädeltes Treffen mit den Geschäftsleuten ein.

Stenzels BescherungFoto: Degeto / Conny Klein
Stenzel (Herbert Knaup) bekommt jetzt seine Anweisungen von Bankchef Bapa Kami (Yu Fang) und wird von dem Jungspund Tutz (Constantin von Jascheroff) getriezt.

Soundtrack: Abba („Mamma Mia“, Chiquitita“), Gary Tole & the Swing Legends („With A Little Help From My Friends”), Michael Bublé („Santa Claus Is Coming To Town”), Gregor Meyle („Von ganzem Herzen”)

Sehenswert ist „Stenzels Bescherung“ jedoch in erster Linie wegen Herbert Knaup. Es gibt nur ganz wenige Filme, bei denen die Mitwirkung des Schauspielers nicht gleichzeitig auch eine Garantie für eine bestimmte Mindestqualität war. Hier gelingt es ihm auf mitunter fast schmerzlich subtile Weise, die Gefühle des traurigen Helden zu vermitteln; dafür braucht er weder Worte noch Mimik, von feuchten Augen ganz zu schweigen. In der Arbeit mit seinen (Haupt-)Darstellern liegt ohnehin Bocherts große Stärke, wie er zuletzt mit seinen „Krüger“-Filmen gezeigt hat. In dieser Trilogie spielt Horst Krause einen grantigen Berliner, der lernen muss, seine Vorurteile zu überwinden („Krüger aus Almanya“, „Krügers Odyssee“, „Küss die Hand, Krüger“; ARD-Degeto, 2015 bis 2018).

Knaups Leistung lässt auch verschmerzen, dass Bochert die tragikomische Handlung verhalten bis gediegen und recht tempoarm inszeniert hat. Das erinnert an die inhaltlich zwar engagierten, in der Umsetzung aber doch recht braven Themenfilme „Inklusion“, „Toleranz“ oder „Dyslexie“ (zum Teil ebenfalls mit Hans-Ullrich Krause als Koautor), die der Regisseur vor einigen Jahren im Auftrag des Bayerischen Rundfunks für ARD-alpha (früher BR-alpha) gedreht hat. Produktionsfirma war wie bei „Stenzels Bescherung“ Tellux-Film, deren Mehrheitsgesellschafter die katholischen Bistümer sind. Optisch ist der Film mit Ausnahme der skandinavischen Szenen weitgehend ereignislos; die Handlung spielt größtenteils in der Bank, bei Stenzel daheim und in Mahmouds Restaurant, das sich am gleichen Platz wie die Bank befindet. Der Lokalbesitzer sorgt immerhin indirekt für das schöne Schlussbild des Films. Ausgerechnet der Moslem hat sich für den Platz einen großen Weihnachtsbaum gewünscht, denn: „Traditionen sind wichtig.“ (Text-Stand: 26.11.2019)

Stenzels BescherungFoto: Degeto / Conny Klein
Weihnachten ist Butterstollenzeit. Besonders in Ostdeutschland. Barbara (Johanna Gastdorf), Mahmoud (Adnan Maral), Frau Zichmund (Karin Gregorek) Jana (Anna Fischer) und Stenzel (Herbert Knaup) gehen noch mal so richtig in die Vollen.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Herbert Knaup, Anna Fischer, Johanna Gastdorf, Constantin von Jascheroff, Adnan Maral, Tom Böttcher, David A. Hamade, Sanne Schnapp, Karin Gregorek

Kamera: Andreas Höfer

Szenenbild: Juliane Friedrich

Kostüm: Ulla Gothe

Schnitt: Ronny Mattas

Musik: Stefan Maria Schneider

Redaktion: Diane Wurzschmitt

Produktionsfirma: Tellux Film

Produktion: Martin Choroba, Johanna Teichmann

Drehbuch: Hans-Ullrich Krause, Marc-Andreas Bochert

Regie: Marc-Andreas Bochert

Quote: 4,89 Mio. Zuschauer (15,7% MA)

EA: 23.12.2019 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach