„Ich kenn’ Sie.“ Kommissar Krüger (Christian Redl) hat Orientierungsprobleme. Der Mann, mit dem er da auf einem Kahn durch den Spreewald gleitet, ist Hellstein (Kai Scheve). Aber der hat sich doch das Leben genommen. „Wenn Sie tot sind, was bin ich dann?“ Krügers graue Zellen scheinen noch zu funktionieren. Der Kommissar ist Opfer eines Brandanschlags geworden; zuvor wurde er offenbar niedergeschlagen. Dass er jetzt durch die magische Welt zwischen Leben und Tod geistert, hat er Dorfpolizist Fichte (Thorsten Merten) zu verdanken. Der hat ihn aus den Flammen geholt und hat gerettet, was zu retten war. Rechtsmedizinerin Marlene (Claudia Geisler) wacht eisern am Krankenbett des komatösen Freundes. Hellstein, der von Krüger gerufen wurde, übernimmt die Rolle des Fährmanns, macht ihm aber auch klar, dass er dieses Zwischenreich verlassen könne: „Ihre Entscheidung.“ Noch hat der Kommissar keine Eile. Er will sich erinnern, will aus seinem Unterbewussten das hervorholen, was sich die Tage zuvor ereignet hat. Da waren Hellsteins Sohn Knut (Tom Gramenz) und dessen Freundin Jackie (Jasna Fritzi Bauer), die ihn verzweifelt um Hilfe gebeten haben. Einem Ex-Knacki, der einige Wendehälse aus den frühen 90er Jahren erpresst hat, wollten sie austricksen und das erpresste Geld vor ihm abgreifen. Die Aktion ging schief, jetzt ist das junge Paar in Gefahr. Weil Krüger eine Mitschuld am Selbstmord von Hellstein senior verspürt, hilft er dessen Sohn – und stößt dabei auf eine Reihe unangenehmer alter Bekannter. Kollege Fichte versucht seinerseits, Krügers letzten Alleingang zu rekonstruieren.
Für den zehnten „Spreewaldkrimi“ hat sich Autor Thomas Kirchner etwas ganz Besonderes ausgedacht. Das Spiel mit den Zeit- und Wahrnehmungsebenen ist seit jeher eines der wesentlichen Alleinstellungsmerkmale der ZDF-Ausnahmereihe, die mit dem Einzelstück „Das Geheimnis im Moor“ (2006) begann und sich trotz der Vorbehalte im Sender zu einer bei Kritik wie Publikum gleichermaßen erfolgreichen Qualitätsmarke entwickelt hat. „Zwischen Tod und Leben“ arbeitet mit mehr als nur jenem dramaturgisch reizvollen Verschachtelungs-Prinzip, das den Zuschauer im Gegensatz zum klassischen Krimi-Mörderraten aktiv beteiligt am Entschlüsseln der Geschichte(n). Über diese (auch wahrnehmungs-psychologisch interessante) Dynamik hinaus, die die narrative Montage mit sich bringt, erfährt das Erzählte mit der Fahrt durch das Zwischenreich noch eine Steigerung von Mystik und Magie, die diese Reihe ja ohnehin auszeichnet. Neben dieser surrealen Welt, gibt es noch die beiden „Ermittlungsebenen“, die aktuelle von Fichte und die von Krüger, das, woran er sich an der Schwelle zum Totenreich erinnert. Außerdem gibt es Exkursionen, die dem toten Fährmann Aufschluss darüber geben, was geblieben ist von ihm, wie die Lebenden auf seinen Tod reagiert haben. In Szenen von HellsteinsTrauerfeier & Beisetzung geben sich Hauptdarsteller früherer Episoden, Sebastian Blomberg, Anna Loos und Anja Kling ein kurzes, prägnantes Stelldichein. Wie weitere Szenen mit Rückkehrerfiguren, gespielt von Herman Beyer, Christian Grashof und Ulrike Krumbiegel, sind sie aber mehr als nur eine verspielte gegenseitige Hommage der Reihe und seiner großartigen Schauspieler; so transportiert zum Beispiel die Friedhofsszene eine psychologische Nuance, die Krügers späteres Verhalten motiviert.
„Allen Spreewaldkrimis gemeinsam sind vielschichtige, verwobene Geschichten, fließende Erzählweisen und virtuose Spiele mit Zeit- und Wahrnehmungsebenen. Aus heutiger Sicht mag das vielleicht nur noch in der einzigartigen Kombination außergewöhnlich sein, vor 13 Jahren aber, als wir den Spreewaldkrimi erfanden, war jedes dieser Merkmale ein krasser Bruch mit den damals vorherrschenden Erzählweisen und Sehgewohnheiten.“ (Wolfgang Esser, Produzent)
„In diesem Film wollten wir außergewöhnliches zusammenbringen: Historie, augenzwinkernder Humor, ein Spiel mit der Mythologie und Phantasie und einen spannenden Krimi.“ (Kai Wessel, Regisseur & „Spreewaldkrimi“-Experte)
Die subjektiven Zugänge zur Geschichte sind in „Zwischen Tod und Leben“ also vielfältiger, sind wieder komplexer als in den letzten „Spreewaldkrimis“, komplizierter wahrzunehmen und schwerer zu verstehen sind sie allerdings nicht. Denn dafür ist diesmal das Hauptpersonal sehr überschaubar (Krüger, seine Bezugspersonen, der tote Hellstein, sein Sohn, dessen Freundin & einige alte Bekannte), und die Situationen sind klar und markant, häufig existentiell und fast universell: Da ist der Mordanschlag auf den Kommissar, die Nahtoderfahrung, dargestellt als komatöses Zwischenreich, ein Toter im Fließ, eine Verfolgungsjagd durch die Pampa, eine Beerdigung, Erpressung, Bedrohung, ein Besuch im Seniorenheim, zwei alte Haudegen beim politischen Plausch, ein Mann im Todeskampf… Die Situationen bekommen durch die Ausschnitthaftigkeit der Erzählung – das Nebensächliche wird „weggeschnitten“ – eine Aura des Essenziellen, sie bekommen fast etwas Abstraktes, Allgemeingültiges. Und mehr denn je erweckt die Struktur dieses zehnten „Spreewaldkrimis“ den Eindruck eines Puzzles. Die assoziativ zeitlich versetzten Szenen, die mitunter aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt werden, ergeben nach und nach ein Gesamtbild inklusive einer sich immer klarer abzeichnenden Chronologie der dramatischen Ereignisse. Nicht ohne Grund war der Arbeitstitel des Films: „Die Summe der Teile“. Es sind Wow-Effekt, wenn beim Sehen immer wieder diese kleinen Knoten platzen. Dieses plötzliche „Erkennen“ der Struktur ist nicht weniger aufregend als die kriminalistische Auflösung. Und auf der Zielgeraden zieht dann die Spannung noch mal richtig an: Krüger hat sich an den Mörder erinnert; es fragt sich nur, ob er schnell genug aus dem Koma erwacht, um einem erneuten Mordanschlag entgehen zu können. Dass der Kommissar es in letzter Sekunde schafft, darf schon verraten werden, schließlich wird die Reihe ja – mit Christian Redl – weitergehen. Fragt sich, wie. Die Schlusspointe (und nicht nur die) zielt jedenfalls überraschend & ungewohnt ins Komische.
Auch ein bisschen gesellschaftspolitische Kritik hat Autor Kirchner der Geschichte geschickt beigemengt. Die unmoralischen Machenschaften der Nachwendezeit – Stichwort: Stromdeal 1990, mit dem sich westdeutsche Energiekonzerne den Osten unter den Nagel gerissen haben – werfen moralische Schatten auf den dieses Mal sommerlich sonnigen Spreewald. „Wenn wir’s nicht gekauft hätten, hätten es andere gekauft“ – Wessi Krüger hört sich das alles altersmilde an und denkt sich seinen Teil. Die gewiss radikalere Meinung von Ossi Fichte zu den privatisierten Gewinnen und vergesellschafteten Kosten wird dem Zuschauer vorenthalten, denn der ist an Krügers inoffizieller Ermittlung nicht beteiligt. Das ist vielleicht auch ganz gut so, dadurch schwingt das politische Thema vergleichsweise leichtfüßig durch diesen „Spreewaldkrimi“ und stößt einem nicht moralinsauer auf. Ohnehin bestimmt das Surreale die Tonalität von „Zwischen Tod und Leben“. Damit verbunden ist eine entsprechende filmsprachliche Umsetzung. Ästhetisch gehört die Reihe ohnehin zum Besten, was das deutsche Fernsehen zu bieten hat. Kai Wessel, der zum dritten Mal die Regie übernommen hat, ist ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk gelungen. In „Das Geheimnis im Moor“ etablierte er das entschleunigte Landschaftserzählen im TV-Krimi, in „Mörderische Hitze“ holte er Sonne und Licht in den Spreewald und zauberte damit zeitweise einen coolen amerikanischen Look. Jetzt kombinieren er und Kameramann Nicolay Gutscher Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Tag und Nacht, Sonne und Finsternis – passend zu dieser Geschichte zwischen Leben und Tod. Die Köpfe von Kai Scheve und vor allem von Christian Redl wirken in den Großeinstellungen wie gemalt auf schwarzem Hintergrund. Und in der Halbtotalen haben die Szenen etwas von einem Theaterstück vor schwarzer Wand (erfreulicherweise sind die Texte – anders als oft im Theater – knapp und verständlich!). Überragend auch der kraftvolle, häufig lautmalerische Score, zum Teil eingespielt mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg, der stimmungsvoll die Landschaft belebt, nie wohlfeil das Geschehen dramatisiert, sondern Situationen akzentuiert und gelegentlich sogar mit den Charakteren zu kommunizieren scheint. Die Geschichte zu Wessels zweitem „Spreewaldkrimi Mörderische Hitze“ ist zwar ergiebiger; falls die Erinnerung aber nicht trügt, ist „Zwischen Tod und Leben“ filmästhetisch & dramaturgisch das Meisterstück dieser meisterlichen Reihe.