Februar im Spreewald. Eine tote Zeit – wäre da nicht die Fastnacht. Blogger Lukas (Matti Schmidt-Schaller), der jetzt in der Bankerstadt Frankfurt lebt, kehrt immer dann, wenn das „Zampern“ angesagt ist, sich das ganze Dorf verkleidet, Masken trägt und höllisch Party macht, in seine alte Heimat zurück. Dieses Jahr wird es das letzte Mal sein. Tage vor dem traditionellen Umzug hat Lukas mit seinen Kumpels kräftig vorgefeiert. Am Morgen danach ist er tot. Er liegt nackt auf einem Acker – erfroren, reichlich Alkohol und Ko-Tropfen im Blut, offenbar vergewaltigt. Kommissar Krüger (Christian Redl) wirkt ausgebrannt. Die Krankheit seiner Ex-Geliebten und Freundin, der Pathologin Marlene (Claudia Geisler-Bading), trägt mit dazu bei, dass sich seine kriminalistische Motivation in Grenzen hält. Außerdem beschäftigt es ihn, dass sich Fichte (Thorsten Merten) versetzen lassen will, ohne ihm etwas davon gesagt zu haben. Und der Fall wirft eine Menge Fragen auf. Warum war der junge Mann nackt? Wo wollte er hin? Wer hat ihn zuletzt gesehen? Wie war seine sexuelle Ausrichtung? Kann Nina (Marlene Tanczik) darauf eine Antwort geben? Oder vielleicht Vicki (Luiza Oppermann)? Könnte Eifersucht ein Motiv sein? Weshalb verhält sich Vickis Bruder (Karl Schaper) so unkooperativ? Warum macht Otto (Enno Trebs) den Toten schlecht? Und aus welchem Grund hat sich Lukas mit einem ehemaligen Lehrer (Thomas Bading) getroffen?
„Was bleibt vom alten Brauch? Was zählt? Nur Party und Besäufnis? Oder leuchtet dort auch eine tieferliegende Sehnsucht nach Tradition auf, nach Bewahrung und direktem Erleben in einer sich zunehmend marginalisierenden, im Digitalen auflösenden Welt? Mich reizte eine alte Kulturlandschaft und Tradition in einer neuen medialen Durchdringung. Und das Neue, das Sozial-Mediale, fördert wieder das Alte zutage, zuweilen auch archaisch Unsoziales: Gefühle von Verlust und Ohnmacht, Erniedrigung und Rache.“ (Autor Thomas Kirchner)
„Für ‚Totentanz‘ galt es, eine visuelle Umsetzung dafür zu finden, dass die Social Media Welt einerseits noch separiert von der realen Welt betrachtet wird, beide jedoch durch ihre wechselseitige Beeinflussung längst derart miteinander verschmolzen sind, dass sie sich gemeinsamen verheerend auf unser Leben auswirken können.“ (Produzent Wolfgang Esser)
„Schon der erste ‚Spreewaldkrimi‘ hat den besonderen Stil dieser Reihe begründet: die melancholische Zauberlandschaft als Seelenspiegel in einer Hauptrolle, das verblüffend selbstverständliche Spiel mit mäandernden Zeitebenen, in dem sich Legenden, Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig und gleichwertig dramatisch durchdringen, jeweils ein politisches, regional typisches Thema und intensive Schauspielerleistungen.“ (Redakteur Pit Rampelt)
Ein Mordmotiv liegt möglicherweise in den Fastnacht-Festen der Vorjahre verborgen. Um es offenzulegen, helfen Befragungen kaum weiter. Das Visuelle spielt im „Spreewaldkrimi“ seit jeher eine Hauptrolle. In „Totentanz“ sind es nun aber nicht nur die Zuschauer, denen mitunter die sichtbaren Manifestationen Aufschlüsse über die tödlichen Vorfälle geben, sondern auch die Ermittler müssen neue Wege gehen. In Bloggs zu stöbern, Hass-Posts auszuwerten und die ins Netz gestellten Fastnacht-Videos der letzten Jahre zu sichten ist allerdings keine Arbeit für Polizeibeamte alter Schule. Und so werden Krüger und Fichte im dreizehnten Film der ZDF-Ausnahme-Krimireihe unterstützt von einem jungdynamischen IT-Experten (Ron Helbig), der milde lächelt ob der digitalen Ausstattung im Land der Fließe. Und damit sich die Online-Recherche auch ansprechend vermittelt, werden neben einigen Splitscreen-Einstellungen die PC-Bilder oder Videos häufig in die Filmbilder hineinprojiziert. So taucht immer wieder der tote Blogger in den Szenen auf, hält seine dystopischen Reden – oder er erklärt das Leben zur Komödie. Diese Methode legt eine doppelte Sinnlichkeit an den Tag. Weder muss man sich ermüdende Ausführungen Dritter über das Opfer anhören, noch muss man als Zuschauer ständig auf Mini-Bildschirme oder Handys gucken. Die alte, dörfliche verschmilzt mit der neuen, medialen Welt. Als Sinnbild dafür steht ein Foto eines Spreewaldfließ‘, auf dem sich Posts ergießen. Die stille Schönheit der Natur vs. das dreiste, knallige Meinungsgewitter.
Thomas Kirchner, Drehbuchautor und Erfinder der Reihe, dessen gesellschaftskritischer Geist sich in all seinen zwölf „Spreewaldkrimis“ immer eher in Kleinigkeiten manifestiert hat, verfällt auch in der dreizehnten Episode, die seine letzte sein wird, erfreulicherweise nicht auf dieselbe unversöhnliche Gut-Schlecht-Dichotomie, die in den (un)sozialen Medien so häufig durchschlägt. So wirkt beispielsweise der intelligente, bisweilen etwas verwirrte gesellschaftspolitische Influencer – nicht nur dank der Besetzung mit Matti Schmidt-Schaller – keineswegs unsympathisch. Dass Krüger, der immer noch im Wald wohnt, mitten in einem Funkloch, dem Internet nichts abgewinnen kann, versteht sich von selbst. Diesmal wirkt der Mann mit der gepflegten Sozialphobie, wenn er in geschlossenen Räumen ermitteln soll wie dem Hotelzimmer des Toten, mit dem ganzem technischem Kram, mehr denn je wie ein Fremdkörper. Einigermaßen zuhause fühlt sich Krüger nur, wenn er in seinem Kahn sitzt und durch die Fließe gleitet. Seine Ermittler-Intuition hat ihn verlassen. Keine Visionen, keine Erinnerungsbilder im Konjunktiv. „Ich kann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, ich bin völlig leer – zu viel Leid, zu viele Tragödien“, sagt er zu Marlene. Und der Kreis der Verdächtigen, diese Jungspunde, ohne jedes Unrechtsbewusstsein, dafür offenbar mit umso größerem Ego, sind auch nicht gerade dazu angetan, ihm die Arbeit angenehmer zu machen. Und Fichte? Auch der mag kein papierloses Büro – seinen Chef allerdings auch nicht besonders. „Wir haben nicht ein Mal zusammen gelacht“, stellt Krüger fest. Fichte schlägt vor, mal zusammen ein Bier trinken zu gehen. „Wir müssen ja nicht gleich übertreiben.“ Typisch Krüger.
Ist der Film auch nicht als Abrechnung mit der schönen neuen Medienwelt zu verstehen – so passt doch die Art und Weise, wie die jungen Leute hier direkt oder medial vermittelt kommunizieren, zur hoffnungslosen Grundstimmung des Films. Düster ging es in den „Spreewaldkrimis“ ja immer schon zu. Doch waren es sonst eher Einzelschicksale, individuelle Tötungsdelikte, die erzählt wurden, ist „Totentanz“ durch die Reflexion der digitalisierten Welt deutlich mehr als „eine melancholische Meditation über die Verlorenheit in einer verwaisten Provinz“ (Redakteur Pit Rampelt). Gab es sonst Auswege aus dem Dilemma, zeigt sich diesmal kein Licht am Horizont. Der zweifelnden, pessimistischen Grundfärbung dieser Reihe wird durch den gesellschaftspolitischen Ausflug in die Parallelwelt von Social Media in diesem bewusst grauen Februar-Film von Kai Wessel noch die Krone aufgesetzt, eine ganz besonders schwere. Die Älteren sind dem Tod geweiht oder verlassen das sinkende Schiff, die Jüngeren mit ihrer sozialen Inkompetenz, Mobbing-erfahren und Selbstjustiz-bereit, sind keine Hoffnungsträger. Die dystopische Schlusseinstellung im Nebel erinnert stark an Andrei Tarkovskijs Bildsprache. Mit „Totentanz“ setzt Kirchner für sich einen konsequenten Schlusspunkt; die Reihe selber soll weitergehen. Tut sie das im Stile vom „Schwarzwaldkrimi“, den „Toten vom Bodensee“ oder dem „Erzgebirgskrimi“, dann hat das ZDF bald eine seiner wenigen unverwechselbaren Krimi-Reihen weniger. Dann könnte dieser „Totentanz“ programmgeschichtlich eine geradezu symbolische Bedeutung bekommen.