Thorsten Krüger (Christian Redl) hat sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen. Dem Spreewald bleibt er treu; noch immer lebt er in seinem Bauwagen, mitten im Wald, direkt am Flies. Sein Einsiedlerdasein hat auch mit dem Tod von Marlene (Claudia Geisler-Bading) zu tun, der Gerichtsmedizinerin, die emotional immer mehr wollte als er, nicht aber, dass er sie durch die schwere Zeit ihrer tödlichen Krankheit begleiten würde. Krüger macht sich Vorwürfe, gegenüber anderen aber ist er nachsichtiger, milder geworden. Sogar für Fichte (Thorsten Merten), der die intuitiven Ermittlungsmethoden seines Vorgesetzten stets belächelt hatte, findet er anerkennende Worte: „Danke, Fichte, für all die Jahre, für alles.“ Heimkehrerin Luise Bohn (Alina Stiegler) wird Fichtes neue Kollegin – und sie übernimmt sogleich die einfühlenden Methoden ihres Vorgängers. Das gelingt bislang jedoch eher mäßig, also ist nach wie vor das professionelle Gespür von Krüger gefragt. Als Pensionär hat der nun viel Muße für seine Visionen. Außerdem erscheint ihm Marlene; sie weist ihm mit Geisterhand den Weg und gibt ihm erleuchtende Hinweise. Eine Leiche wurde vor seiner „Haustür“ angespült. Bei dem Toten handelt es sich um den Umweltaktivisten Chris Wenzel (Remo Schulze), der vor drei Jahren schon einmal in der Gegend lebte. Mit neuem Job – und nicht mehr so kämpferisch – war er wieder für einige Tage zurück im Spreewald. Sein Abschied damals war tränenreich. Doch die Kähne tragen auch jetzt noch Trauer.
Foto: ZDF / Jan Fehse
Der vierzehnte „Spreewaldkrimi“ musste ohne seinen maßgeblichen Erfinder und Begründer der anfangs vom ZDF nicht übermäßig geliebten Reihe auskommen. Zum ersten Mal hat ein anderer Drehbuchautor als Grimme-Preisträger Thomas Kirchner („Der Turm“, „Kruso“) eine Episode der narrativ komplexesten Krimi-Reihe der Mainzer entwickelt. Wolfgang Esser, der den „Spreewaldkrimi“ als freier Produzent 2006 mit dem noch als Einzelstück konzpierten „Das Geheimnis im Moor“ ins Leben rief, hatte im Vorfeld fünf Autoren in Abstimmung mit dem ZDF beauftragt, ein Exposé für einen an die Tradition der Reihe anknüpfenden „Spreewaldkrimi“ zu schreiben. Zwei der fünf Exposés wurden zur Verfilmung ausgewählt. Das erste stammt nun von Stephan Brüggenthies, einem erfahrenen „Tatort“-Autor („Das Monster von Kassel“ „Wendehammer“, ); es diente für Regisseur Jan Fehse, nach „Tödliche Heimkehr“ (2018) zum zweiten Mal im Spreewald im Einsatz, als Vorlage für das finale Drehbuch. Eine weitere Herausforderung stellte sich Produzent Esser, neben Kirchner die zweite kreative Konstante der Reihe: Für das Relaunch musste er eine neue Firma suchen; bei Network Movie fand er ein neues Dach. Produktionstechnisch hat sich also viel bewegt, da stellt sich die Frage: Bleibt die Reihe das, was sie fünfzehn Jahre war? Eine sichere, erholsame Insel im reißenden ZDF-Krimi-Strom, die das Kontemplative, die Reflexion, das Poetische, aber immer wieder auch das Politische, die Historie und die Tradition sucht und die in ihren Geschichten stets Innenwelten als Seelenlandschaften magisch & sinnlich nach außen kehrt.
Absolut plausibel erscheint in „Tote trauern nicht“ die Entwicklung der Hauptfigur. Krüger wird in seiner Trauer weicher und verständiger, und seine Pensionierung nimmt ihm die Doppelbelastung. Nun kann er sich ohne den Druck, jeden Tag als Beamter funktionieren zu müssen, aus freien Stücken seiner Imaginationskraft hingeben. Er kann eintauchen in das Märchenhaft-Mystische der Spreewaldlandschaft und sie mit seiner Phantasie und seinem Menschenkenner-Instinkt abgleichen. Er kann, aber er muss nicht. Diesmal gehen bei ihm Trauerarbeit und stilles Ermitteln Hand in Hand. Der Ex-Kommissar folgt Marlene, die ihn mit Zauberfunken in den Wald hineinlockt, ein kleines Mädchen an ihrer Hand. Es ist Marie (Miri Sommer), die Tochter von Jasmin Heyse (Sophie Lutz) und ihrem Mann Gerald (Jan Krauter), die sich vor einigen Jahren im Spreewald ein idyllisch gelegenes Häuschen gekauft haben. Das Glück aber fanden sie nicht. Erst gab es Streit, weil der Mann wegen eines gigantischen Infrastruktur-Projekts, der „Cottbusser Ostsee“, kaum noch aus Berlin wegkam. Der Phase der Entfremdung folgte ein Schicksalsschlag, von dem sich die Familie nicht mehr erholen sollte. Drei Jahre ist dieses bittere Ereignis nun her. Damals war auch der tote Chris Wenzel für ein Praktikum im Spreewald. Kannte er die Heyses? Als Wasserwerker und Gegner der „Cottbusser Ostsee“ hat er sich einige Feinde in der Region gemacht. Und selbst ein Aktivisten-Freund (Leonard Kunz) aus jener Zeit ist nicht mehr gut auf ihn zu sprechen.
Foto: ZDF / Jan Fehse
Während Krüger Marlenes Erscheinung folgt, spüren Fichte und Luise Bohn den Fakten nach. Beide Methoden führen zum Ziel, doch der trauernde Eigenbrötler ist schneller. Insgesamt ist Christian Redl als Pensionär nicht mehr so präsent wie in früheren Episoden, aber in den entscheidenden Momenten ist er da. Damit bleibt er die Seele der Reihe. Ebenfalls beibehalten wurde das ästhetische „Markenzeichen“ der „Spreewaldkrimis“: die sprunghafte Montage und die verschachtelte Erzählstruktur, bei der die Zeitebenen ständig wechseln. Für das Familien-Drama bedeutet das: Die aktuellen Ermittlungen werden immer wieder kurzgeschlossen mit den Ereignissen der Heyses heute, vor drei Jahren und in der Zeit davor; und wir sehen den Ermordeten quicklebendig bei seinem Einsatz für die Naturschutzbehörde oder Gerald Heyse bei seinem moralisch fragwürdigen Juristenjob; auch Marlene wird noch einmal in einer Rückblende lebendig, und es gibt rätselhafte Szenen wie der Einsatz eines Rettungsdienstes.
Dramaturgisch wirkt das Ganze wie ein Puzzle, allerdings aus klar umrissenen Bausteinen. Das war früher mitunter anders: Kirchner liebte es offener, assoziativer, undurchschaubarer. Zeichen waren oft Chiffren bei ihm. Jetzt hat man den Eindruck, als sei die Narration etwas funktionaler gewebt. Ein wenig wirkt auch das Frühjahr der Düsternis vergangener Episoden, die häufig im Herbst gedreht wurden, entgegen. Hell ist aber allenfalls die Anmutung einiger Bilder. Das Erzählte ist schrecklich, es ist ein realer Schrecken. Dagegen wirkt die von Brüggenthies eingeflochtene Sage der Bludniki wie harmloser Geisterzauber. Und wie es immer so typisch war für die Reihe, bleibt auch „Tote trauern nicht“ ein Krimi-Drama, bei dem neben dem brüchigen Erzählfluss die Atmosphäre die ästhetische Hauptrolle spielt und bei dem der Hintergrund einer Tat deutlich wichtiger ist als die Frage nach dem Täter. Der „Spreewaldkrimi“ bleibt also weiter spannend: anders spannend! (Text-Stand: 28.2.2022)
Foto: ZDF / Jan Fehse