Spreewaldkrimi – Tote trauern nicht

Christian Redl, Merten, Stiegler, Brüggenthies, Fehse. Wenn die Kähne Trauer tragen

Foto: ZDF / Jan Fehse
Foto Rainer Tittelbach

Der vierzehnte „Spreewaldkrimi – Tote trauern nicht“ (ZDF / Network Movie) musste ohne seinen maßgeblichen Erfinder und Begründer auskommen: Zum ersten Mal hat ein anderer Autor als Grimme-Preisträger Thomas Kirchner eine Episode der narrativ komplexen Krimi-Reihe entwickelt. Der Regisseur Jan Fehse schrieb die finale Drehbuchfassung, und der freie Produzent Wolfgang Esser musste sich sogar eine neue Produktionsfirma suchen. Trotzdem scheint es, als ob die Reihe eine sichere, erholsame Insel im reißenden Krimi-Strom bleibt, eine Reihe, die das Kontemplative, die Reflexion, das Poetische, aber immer wieder auch das Politische, Historische und die Tradition sucht und die in ihren Geschichten stets Innenwelten als Seelenlandschaften magisch und sinnlich nach außen kehrt. Die Psychologie der leicht veränderten Ermittlerkonstellation wirkt stimmig; auch die verschachtelte Erzählstruktur mit den ständigen Zeitsprüngen ist beibehalten worden. So entsteht in „Tote trauern nicht“ ein Puzzle, allerdings aus klar umrissenen Bausteinen. Die Narration wirkt etwas funktionaler, weniger assoziativ und undurchschaubar. Das Frühjahr verringert darüberhinaus die Düsternis, der Fall ist schrecklich genug. Die Spannung aber bleibt eine atmosphärische.

Thorsten Krüger (Christian Redl) hat sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen. Dem Spreewald bleibt er treu; noch immer lebt er in seinem Bauwagen, mitten im Wald, direkt am Flies. Sein Einsiedlerdasein hat auch mit dem Tod von Marlene (Claudia Geisler-Bading) zu tun, der Gerichtsmedizinerin, die emotional immer mehr wollte als er, nicht aber, dass er sie durch die schwere Zeit ihrer tödlichen Krankheit begleiten würde. Krüger macht sich Vorwürfe, gegenüber anderen aber ist er nachsichtiger, milder geworden. Sogar für Fichte (Thorsten Merten), der die intuitiven Ermittlungsmethoden seines Vorgesetzten stets belächelt hatte, findet er anerkennende Worte: „Danke, Fichte, für all die Jahre, für alles.“ Heimkehrerin Luise Bohn (Alina Stiegler) wird Fichtes neue Kollegin – und sie übernimmt sogleich die einfühlenden Methoden ihres Vorgängers. Das gelingt bislang jedoch eher mäßig, also ist nach wie vor das professionelle Gespür von Krüger gefragt. Als Pensionär hat der nun viel Muße für seine Visionen. Außerdem erscheint ihm Marlene; sie weist ihm mit Geisterhand den Weg und gibt ihm erleuchtende Hinweise. Eine Leiche wurde vor seiner „Haustür“ angespült. Bei dem Toten handelt es sich um den Umweltaktivisten Chris Wenzel (Remo Schulze), der vor drei Jahren schon einmal in der Gegend lebte. Mit neuem Job – und nicht mehr so kämpferisch – war er wieder für einige Tage zurück im Spreewald. Sein Abschied damals war tränenreich. Doch die Kähne tragen auch jetzt noch Trauer.

Spreewaldkrimi – Tote trauern nichtFoto: ZDF / Jan Fehse
Marie (Miri Sommer) findet in Chris Wenzel (Remo Schulze) einen Freund im einsamen Spreewald. Und zum Geburtstag schenkt er ihr einen Bludnik. Noch wirkt alles spät-frühlingshaft hell, aber das kann sich rasch ändern, auch in diesem Film.

Der vierzehnte „Spreewaldkrimi“ musste ohne seinen maßgeblichen Erfinder und Begründer der anfangs vom ZDF nicht übermäßig geliebten Reihe auskommen. Zum ersten Mal hat ein anderer Drehbuchautor als Grimme-Preisträger Thomas Kirchner („Der Turm“, „Kruso“) eine Episode der narrativ komplexesten Krimi-Reihe der Mainzer entwickelt. Wolfgang Esser, der den „Spreewaldkrimi“ als freier Produzent 2006 mit dem noch als Einzelstück konzpierten „Das Geheimnis im Moor“ ins Leben rief, hatte im Vorfeld fünf Autoren in Abstimmung mit dem ZDF beauftragt, ein Exposé für einen an die Tradition der Reihe anknüpfenden „Spreewaldkrimi“ zu schreiben. Zwei der fünf Exposés wurden zur Verfilmung ausgewählt. Das erste stammt nun von Stephan Brüggenthies, einem erfahrenen „Tatort“-Autor („Das Monster von Kassel“ „Wendehammer“, ); es diente für Regisseur Jan Fehse, nach „Tödliche Heimkehr“ (2018) zum zweiten Mal im Spreewald im Einsatz, als Vorlage für das finale Drehbuch. Eine weitere Herausforderung stellte sich Produzent Esser, neben Kirchner die zweite kreative Konstante der Reihe: Für das Relaunch musste er eine neue Firma suchen; bei Network Movie fand er ein neues Dach. Produktionstechnisch hat sich also viel bewegt, da stellt sich die Frage: Bleibt die Reihe das, was sie fünfzehn Jahre war? Eine sichere, erholsame Insel im reißenden ZDF-Krimi-Strom, die das Kontemplative, die Reflexion, das Poetische, aber immer wieder auch das Politische, die Historie und die Tradition sucht und die in ihren Geschichten stets Innenwelten als Seelenlandschaften magisch & sinnlich nach außen kehrt.

Absolut plausibel erscheint in „Tote trauern nicht“ die Entwicklung der Hauptfigur. Krüger wird in seiner Trauer weicher und verständiger, und seine Pensionierung nimmt ihm die Doppelbelastung. Nun kann er sich ohne den Druck, jeden Tag als Beamter funktionieren zu müssen, aus freien Stücken seiner Imaginationskraft hingeben. Er kann eintauchen in das Märchenhaft-Mystische der Spreewaldlandschaft und sie mit seiner Phantasie und seinem Menschenkenner-Instinkt abgleichen. Er kann, aber er muss nicht. Diesmal gehen bei ihm Trauerarbeit und stilles Ermitteln Hand in Hand. Der Ex-Kommissar folgt Marlene, die ihn mit Zauberfunken in den Wald hineinlockt, ein kleines Mädchen an ihrer Hand. Es ist Marie (Miri Sommer), die Tochter von Jasmin Heyse (Sophie Lutz) und ihrem Mann Gerald (Jan Krauter), die sich vor einigen Jahren im Spreewald ein idyllisch gelegenes Häuschen gekauft haben. Das Glück aber fanden sie nicht. Erst gab es Streit, weil der Mann wegen eines gigantischen Infrastruktur-Projekts, der „Cottbusser Ostsee“, kaum noch aus Berlin wegkam. Der Phase der Entfremdung folgte ein Schicksalsschlag, von dem sich die Familie nicht mehr erholen sollte. Drei Jahre ist dieses bittere Ereignis nun her. Damals war auch der tote Chris Wenzel für ein Praktikum im Spreewald. Kannte er die Heyses? Als Wasserwerker und Gegner der „Cottbusser Ostsee“ hat er sich einige Feinde in der Region gemacht. Und selbst ein Aktivisten-Freund (Leonard Kunz) aus jener Zeit ist nicht mehr gut auf ihn zu sprechen.

Spreewaldkrimi – Tote trauern nichtFoto: ZDF / Jan Fehse
Fichte (Thorsten Merten) und Luise Bohn (Alina Stiegler) fremdeln noch etwas. Aber das wird schon. Denn während der Polizist anfangs Krüger in alter Tradition noch „Chef“ nennt, rutscht ihm am Ende ein nicht weniger angebrachtes „Chefin“ raus.

Während Krüger Marlenes Erscheinung folgt, spüren Fichte und Luise Bohn den Fakten nach. Beide Methoden führen zum Ziel, doch der trauernde Eigenbrötler ist schneller. Insgesamt ist Christian Redl als Pensionär nicht mehr so präsent wie in früheren Episoden, aber in den entscheidenden Momenten ist er da. Damit bleibt er die Seele der Reihe. Ebenfalls beibehalten wurde das ästhetische „Markenzeichen“ der „Spreewaldkrimis“: die sprunghafte Montage und die verschachtelte Erzählstruktur, bei der die Zeitebenen ständig wechseln. Für das Familien-Drama bedeutet das: Die aktuellen Ermittlungen werden immer wieder kurzgeschlossen mit den Ereignissen der Heyses heute, vor drei Jahren und in der Zeit davor; und wir sehen den Ermordeten quicklebendig bei seinem Einsatz für die Naturschutzbehörde oder Gerald Heyse bei seinem moralisch fragwürdigen Juristenjob; auch Marlene wird noch einmal in einer Rückblende lebendig, und es gibt rätselhafte Szenen wie der Einsatz eines Rettungsdienstes.

Dramaturgisch wirkt das Ganze wie ein Puzzle, allerdings aus klar umrissenen Bausteinen. Das war früher mitunter anders: Kirchner liebte es offener, assoziativer, undurchschaubarer. Zeichen waren oft Chiffren bei ihm. Jetzt hat man den Eindruck, als sei die Narration etwas funktionaler gewebt. Ein wenig wirkt auch das Frühjahr der Düsternis vergangener Episoden, die häufig im Herbst gedreht wurden, entgegen. Hell ist aber allenfalls die Anmutung einiger Bilder. Das Erzählte ist schrecklich, es ist ein realer Schrecken. Dagegen wirkt die von Brüggenthies eingeflochtene Sage der Bludniki wie harmloser Geisterzauber. Und wie es immer so typisch war für die Reihe, bleibt auch „Tote trauern nicht“ ein Krimi-Drama, bei dem neben dem brüchigen Erzählfluss die Atmosphäre die ästhetische Hauptrolle spielt und bei dem der Hintergrund einer Tat deutlich wichtiger ist als die Frage nach dem Täter. Der „Spreewaldkrimi“ bleibt also weiter spannend: anders spannend! (Text-Stand: 28.2.2022)

Spreewaldkrimi – Tote trauern nichtFoto: ZDF / Jan Fehse
Gerald Heyse (Jan Krauter) ging es schon mal besser. Mittlerweile ist er arbeitslos, lebt nicht mehr am Flies und hat mit dem Trinken angefangen. Ein Merkmal zur Bestimmung des Zeitpunkts einer Szene – auch dieser „Spreewaldkrimi“ erzählt verschachtelt und springt durch die Zeiten – ist der Grat von Heyses Verwahrlosung.

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Reihe

ZDF

Mit Christian Redl, Thorsten Merten, Alina Stiegler, Sophie Lutz, Jan Krauter, Miri Sommer, Remo Schulze, Claudia Geisler-Bading, Benito Bause, Rita Feldmeier, Leonard Kunz

Kamera: Frank Blau

Szenenbild: Harald Turzer

Kostüm: Petra Fichtner

Schnitt: Christian Lonk

Musik: Ralf Wienrich

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Esser

Drehbuch: Stephan Brüggenthies, Jan Fehse

Regie: Jan Fehse

Quote: 6,49 Mio. Zuschauer (22,2% MA)

EA: 28.03.2022 20:15 Uhr | ZDF

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